Aldi-Schweiz-Chef im Interview«Nur gut, um WC-Papier zu verkaufen? Das hat uns motiviert»
Jérôme Meyer spricht über den Erfolg des Discounters in der Schweiz, den Aufbau des eigenen Bio-Labels und Pläne für neue Filialen.

Herr Meyer, Aldi verkauft Bioprodukte, jedoch ohne die Knospe von Bio Suisse. Vermissen Sie dieses Label?
Natürlich würden wir uns freuen, wenn unsere Bioprodukte, die ebenfalls von durch Bio Suisse zertifizierten Betrieben stammen, mit der Knospe ausgelobt wären. Doch das bleibt uns verwehrt. Wir haben deshalb vor genau einem Jahr unser eigenes Biolabel «Retour aux Sources» lanciert. Es umfasst aktuell 34 Produkte wie Milch, Fleisch, Eier und Früchte. Es erfüllt sogar strengere Richtlinien als die Knospe von Bio Suisse.
Ist «Retour aux Sources» eine Trotzreaktion auf das Nein von Bio Suisse vor rund drei Jahren?
Es handelt sich um eine Initiative, die von den Biolandwirten selbst initiiert wurde – nicht durch uns. Sie wollten etwas unternehmen gegen Antibiotikaresistenzen. Inzwischen arbeiten wir mit insgesamt 370 Betrieben zusammen, wobei alle Milch- und Eierproduzenten bereits heute auf Antibiotika verzichten. Wir garantieren ihnen einen Aufpreis, denn die Produktion ohne Antibiotika ist aufwendiger als diejenige im normalen Biostandard.
Trotzdem ist «Retour aux Sources» meist günstiger als die Bioprodukte bei Coop und Migros. Verzichten Sie auf die Marge, um die Menschen in die Aldi-Läden zu locken?
Wir verdienen bei den Bioprodukten genauso viel wie mit anderen Produkten.
Was heisst das: Wie gross ist Ihre Marge bei Bio?
Konkrete Zahlen kann ich nicht nennen, doch: Bei Aldi haben Produkte im gleichen Warenbereich ungefähr die gleiche Marge – so haben wir etwa bei Biomilch dieselbe Marge wie bei konventioneller Milch.
Stimmt es, dass Bio Suisse damals die Kriterien auf Druck von Coop so angepasst hat, dass Aldi und Lidl sie nicht erfüllen können?
In die Verhandlungen über eine Partnerschaft mit Bio Suisse war auch ich eng involviert, denn ich betreute das Projekt seitens Aldi Schweiz. Ich erinnere mich an einen entscheidenden Auftritt bei einer Versammlung in Olten vor den 26 Delegierten der kantonalen Bio-Suisse-Organisationen. Dort ging es darum, ob Aldi die Knospe erhält oder nicht. Wir zeigten unser Bio-Engagement auf, unsere Ziele, die Art und Weise, wie wir unsere Bioprodukte positionieren wollen. Bei dieser Versammlung war die Stimmung sehr gut, die Delegierten waren uns gegenüber sehr wohlwollend. Deshalb überraschte mich anschliessend der Schritt von Bio Suisse sehr: Es hiess, die Präsentation sei zwar nett gewesen und sei bei den Landwirten sehr gut angekommen, doch nun würden die Spielregeln geändert.
«Unser Ziel war es, 400 Bioprodukte im Sortiment zu haben.»
Das klingt nach viel Frust.
Wir haben über zehn Jahre daran gearbeitet, die Anforderungen von Bio Suisse zu erfüllen. Unser Ziel war es, 400 Bioprodukte im Sortiment zu haben. Doch dann, kurz nachdem wir dieses Ziel erreicht hatten, erhöhte Bio Suisse kurzerhand die Anzahl nötiger Produkte auf 800. Bei insgesamt 1800 Artikeln, die wir im Sortiment haben, wäre das fast die Hälfte aller Artikel gewesen, die wir im Biostandard hätten anbieten müssen. Diese Vorgabe hätte zur Folge gehabt, dass unser Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Unser Modell basiert auf einer beschränkten Anzahl Produkte. Nur so können wir die Logistikkosten tief halten und letztlich unsere Produkte möglichst günstig verkaufen.
Für die Knospe müsste Aldi Lizenzgebühren von 0,9 Prozent auf dem mit Bio erzielten Umsatz an den Verband Bio Suisse zahlen. Würden Sie die Knospe trotzdem verwenden, wenn Sie dürften?
Ja, wir würden die Knospe nutzen, wenn uns dies erlaubt wäre. Doch, wissen Sie, wenn man zehn Jahre lang vertrauensvoll miteinander auf ein Ziel hinarbeitet und dann, nachdem man es bereits erreicht hat, die Spielregeln geändert werden, redet man nicht mehr viel miteinander. Für uns war und ist aber glasklar: Wenn Bio Suisse morgen zu uns kommt und uns die Knospe anbietet, würden wir das annehmen und uns bedanken, doch: Ein solches Spielchen würden wir nicht noch mal mitmachen.
Spüren auch Sie die Inflation – ähnlich wie die anderen Grossverteiler, wo der Bioanteil letztes Jahr gesunken ist?
Aktuell beträgt unser Bioanteil rund 10 Prozent. In der Pandemie verzeichneten wir bei Bioprodukten Zuwachsraten von 55 Prozent. Jetzt sind wir weiterhin auf diesem hohen Niveau, ohne dass es einen Einbruch gegeben hätte. Das ist sensationell, denn der Schweizer Biomarkt ging im letzten Jahr um zwei Prozent zurück im Vergleich zum Vorjahr. Es lief sogar so gut, dass wir Ende des letzten Jahres zu wenig Biomilch vorrätig hatten.
Sie laufen ins gleiche Problem, mit dem auch Bio Suisse kämpft: bei steigender Nachfrage genügend Produkte nach strengem Biostandard anbieten zu können.
Wir mussten tatsächlich zwischenzeitlich unser Biosortiment anpassen. Inzwischen haben wir weitere Produktionsbetriebe gefunden, die schon länger antibiotikafreie Tierhaltung praktizieren und ihre Milch an uns liefern werden. Zudem werden wir ab Sommer «Retour aux Sources»-Brote verkaufen. Daneben kommt Pouletfleisch von unserem Bruder-Hahn-Projekt ins Sortiment. Bei unseren «Retour aux Sources»-Eiern werden die Brüder der Legehennen nämlich aufgezogen. Ebenfalls noch in diesem Jahr werden wir weitere Früchte sowie Gemüse in unserem Biostandard lancieren – zum Beispiel Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln.

Mittlerweile trifft man fast in der ganzen Schweiz auf Aldi-Filialen. Wollen Sie trotzdem weiter wachsen?
237 Filialen, die wir hierzulande betreiben, sind tatsächlich viele. Es gibt nicht mehr viele weisse Flecken auf der Schweizer Karte. Beispielsweise in der Westschweiz werden wir weitere Läden eröffnen, daneben fokussieren wir auf die Städte Genf und Zürich, wo wir derzeit nach geeigneten Standorten suchen. Dafür lassen wir uns die nötige Zeit.
Sie haben bislang immer von «mittelfristig 300 Filialen» gesprochen. Wird daraus nichts?
Früher wollte ich unser Filialnetz möglichst rasch auf 300 ausbauen. Inzwischen scheint mir der schnelle Ausbau nicht mehr das richtige Ziel. Wir müssen vielmehr beobachten, was gut funktioniert, und später auf Basis dieser Beobachtungen unser Filialnetz erweitern.
«Statt dass wir viel mehr neue Filialen eröffnen, haben wir in die bestehenden investiert.»
Coop und Migros wollen jedoch neue Filialen, vor allem kleinere, an gut frequentierten Lagen. Bleibt Aldi Schweiz also vorerst bei rund 250 Läden?
An unserem Ziel von 300 Filialen halten wir fest. Wir passen aber das Tempo an.
Ist Aldi Schweiz weniger erfolgreich, als 2005 beim Markteintritt erwartet, sodass nun das Geld für den weiteren Ausbau fehlt?
Nein, wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung. Die Pandemie war ein regelrechter Beschleuniger. Weil der Einkaufstourismus entgegen unseren Erwartungen stockt, konnten wir das hohe Umsatzniveau, das wir während Corona erreicht hatten, sogar halten. Statt dass wir viel mehr neue Filialen eröffnen, haben wir in die bestehenden investiert. Wir haben sie so umgebaut, dass die Frische besser zur Geltung kommt: Gemüse direkt beim Eingang, Fleisch im Hochregal und eine gute Auswahl an frisch aufgebackenem Brot.
Sie müssen also die Aldi-Filialen denen von Migros und Coop anpassen und gleichzeitig günstiger sein als die beiden Platzhirsche?
Wir haben unser eigenes Konzept. Bei unserem Start vor 18 Jahren sagten viele, wir seien höchstens gut, um WC-Papier zu verkaufen. Das hat uns gewaltig motiviert.
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