Kolumne «Miniaturen des Alltags»Wo die Messer gewetzt werden
Leserbriefe folgen meist den Gesetzen des Anstands. Online-Kommentare viel seltener.
Wird Ihnen bei Horrorfilmen schlecht? Mir auch. Trotzdem gibt es Leute, die inszenierten Gräuel gern sehen. Ich ergötze mich lieber an einem anderen Schlachtfeld: Online-Kommentare zu Zeitungsartikeln. Sie folgen einer simplen Regel: Spätestens nach dem vierten Beitrag beharken sich die Schreiberinnen und Schreiber gegenseitig. Das eigentliche Thema, sei es noch so banal, verschwindet im verbalen Gemetzel der Empörung.
Beispiele gefällig? Bitteschön: «Was wollen Sie damit sagen?» «Bringen Sie brauchbare Argumente.» «Wer so schreibt wie Sie, hat noch viel einfachere Dinge nicht verstanden.» «Erfinden Sie nicht irgendwelche Märchen.» «Wieder mal ein Verschwörungstheoretiker, der nicht lesen kann.» «Allez-hopp, wir warten darauf, dass Sie die Schweiz retten!» «Ach herrje! Meier! Schon wieder Sie!» «Damit machen Sie sich nur lächerlich.» «Das ist doch Schwachsinn.» «Leute wie Sie sind nicht wirklich relevant für unsere Gesellschaft!» «Schau mal auf deinen Finger, mit dem du auf andere zeigst. Und siehe da – 3 Finger zeigen zurück. Also was ist dein Beitrag?» «Erstaunlich, dass Ihr Kenntnisstand noch immer so rückständig und löchrig ist.» «Sie erzählen schon einen ziemlichen Stuss.»
Den Unterhaltungswert kann man mit einem Wettbewerb steigern: Wer findet mehr Grammatik- und Rechtschreibfehler in den Beiträgen? Die strotzen nämlich davon. Je hasstriefender der Kommentar, desto grösser die Fehlerquote. Das stimmt mich versöhnlich. Wer so schlecht schreibt, hat nicht wirklich etwas zu sagen.
Vorsicht: Suchen Sie keine Unterhaltung in den Social Media zu Corona, Ausländerpolitik und anderen einschlägigen Themen. Dort geht es primitiv, radikal, menschenverachtend und aufhetzerisch zu. Das ist Horror – und bestenfalls interessant für Psychiater.
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