Kolumne «Miniaturen des Alltags»Erziehungsversuche im Mietshaus
Wie merkt man, dass sich die Nachbarn über etwas ärgern? Genau, sie sagen es mit einem anonymen Zettel.
Wer schon einmal eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus bewohnt hat, kennt sie: die nachbarschaftliche Kommunikation mittels anonymer Zettel. Denn um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, aber gleichzeitig nicht nur «die Faust im Sack» zu machen, bringen Herr und Frau Schweizer ihren Ärger über andere Hausbewohner gerne mittels Stift und Papier zum Ausdruck– quasi der Vorläufer des anonymen Schimpfens in den sozialen Medien und den Kommentaren auf Onlineplattformen.
Zugegeben, ich kannte dieses Phänomen lange nur aus Erzählungen. Da wurde über falsch abgestellte Velos, nicht richtig verschlossene Haustüren und natürlich die Waschküche umfassend diskutiert, ohne dass die Beteiligten je persönlich ein Wort miteinander gewechselt hätten. Ach, was habe ich gelacht und den Miethausgöttern für meine Nachbarn gedankt.
Nun scheint es mit dem Frieden jedoch vorbei zu sein. Das signalisiert zumindest der kürzlich – natürlich in der Waschküche – aufgetauchte Zettel, der die Hausbewohner auffordert, leere Waschmittelflaschen tunlichst selbst zu entsorgen statt, wie wir es alle seit Jahren tun, im Kübel im Keller. Hinter der anonymen Notiz stand ein gutes halbes Dutzend leerer Plastikflaschen Spalier.
Klar, es ist einfacher, einen Zettel zu hinterlassen, als bei jeder Wohnung zu klingeln und x-mal das gleiche Gespräch zu führen. Aber in einem Haus mit wenigen Parteien, die sich zudem alle kennen, schien mir dieses Vorgehen ziemlich eigenartig.
Doch was tun? Meine Gedanken über anonyme Erziehungsversuche in einem ebenfalls anonymen Antwortschreiben danebenkleben und womöglich einen Zettelkrieg vom Zaun brechen? Dem Frieden wäre damit wohl nicht geholfen. Also machte ich mit dem letzten Rest Waschmittel meine Wäsche und nahm die leere Flasche mit in meine Wohnung.
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