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Wirbel um AKW-«Geheimakten»
Habeck unter Druck – ging es beim Atomausstieg um Ideologie?

German Minister of Economics and Climate Protection Robert Habeck addresses a press conference on the presentation of the government's economic projection, in Berlin, on April 24, 2024. (Photo by JOHN MACDOUGALL / AFP)
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Für Michael Kruse ist die Sache klar: In Sachen Atomkraft wurde Deutschland hinter die Fichte geführt. «Ich bin von Robert Habeck enttäuscht», sagt der deutsche FDP-Energiepolitiker. «Den Bürgern dieses Landes und auch seinen Koalitionspartnern wurde die Wahrheit vorenthalten.» Mehr noch: In einer historischen Energiekrise habe sich Habeck nicht für das Wohl des Landes, sondern für grüne «Parteiideologie» entschieden. Der Generalsekretär der CSU, Martin Huber, hält den Wirtschaftsminister gar für «nicht mehr tragbar», die Rede ist von «Geheimakten».

Es geht um Unterlagen aus den Ministerien für Wirtschaft und Umwelt, die das Magazin «Cicero» zum Teil erklagt hat und über die am Donnerstag auch die «Bild»-Zeitung berichtete. Im Zentrum steht dabei ein Vermerk aus dem Wirtschaftsministerium, datiert auf den 3. März 2022, gut zehn Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine. Der Vermerk liegt dieser Redaktion vor. Habecks Beamte nehmen darin eine «vorläufige energiewirtschaftliche Bewertung» längerer Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke vor, und zwar bis zum 31. März 2023.

Die Brennstäbe sollten im Dezember ausdienen

Das Papier ist nüchtern. «Es ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, welche Massnahmen notwendig sind, um den Gasverbrauch im Stromsektor kurzfristig so stark wie möglich zu reduzieren», heisst es gleich eingangs. So sei genügend Kohle verfügbar, um Engpässe zu entschärfen. Allerdings könne es im Januar und Februar auch Tage geben, an denen es eng werden könnte, weil sich der Bedarf dann nur mit Gaskraftwerken decken lasse.

Wie viel Gas aber in den Speichern sein wird, ist in jenen Tagen nach Beginn des Krieges völlig unklar. «Eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke bis zum 31.3. kann helfen, diese Situation zu entschärfen», schreiben die Beamten. Sie könne auch Strompreise und Netzkosten dämpfen und solle deswegen weiter geprüft werden. Eine finale Entscheidung solle aber erst nach weiteren Berechnungen fallen, deren Ergebnis Ende März vorliege.

15.04.2024, Bayern, Essenbach: Das stillgelegte Kernkraftwerk Isar 1 (l) und 2. PreussenElektra informiert zum Rückbau des AKW Isar 2. Foto: Armin Weigel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Armin Weigel)

Der Atomausstieg warf damals schon seinen Schatten voraus. Schliesslich sollten am 31. Dezember 2022 die letzten drei Atomkraftwerke endgültig vom Netz gehen. Doch schon eine Woche nach Kriegsbeginn flammte die Diskussion über einen Ausstieg vom Ausstieg auf.

Die Minimalversion war dabei die «Streckung» des AKW-Betriebs über den Winter hinaus. Denn deren Brennstäbe waren eigentlich auf eine Abschaltung im Dezember ausgelegt. Die Kraftwerke hätten so betrieben werden müssen, dass sie auch im Januar und Februar noch hätten einspringen können. Aber dafür hätte das Atomgesetz geändert werden müssen – für die Grünen eine heikle Entscheidung.

Auch das Umweltministerium, zuständig für die Reaktorsicherheiten, schickte seine Leute in die Spur. Sie erarbeiteten einen ähnlich nüchternen Vermerk: Unter drei Optionen, die sie damals durchspielten, findet sich sogar eine jahrelange Verlängerung der Laufzeiten. Die Beamten gehen vor allem praktischen Fragen nach und können nicht jede davon beantworten. Grundsätzlich aber, so befinden sie, sei vieles «mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar». Ein weiterer Vermerk des Ministeriums ist in dieser Frage hingegen deutlich kritischer.

Energiekonzerne sahen es ähnlich wie die Grünen

Die Vorarbeiten mündeten schon am 8. März in einem gemeinsamen Prüfvermerk von Wirtschafts- und Umweltministerium. Zwar sei ein Streckbetrieb bis März 2023 möglich, heisst es darin. Allerdings überwögen die Risiken. Eine Laufzeitverlängerung sei «nicht zu empfehlen». Das klingt schon etwas anders als einige der Vorarbeiten der Beamten.

Allerdings liegt das Votum der beiden grünen Ministerien zu diesem Zeitpunkt auf einer Linie mit den deutschen Atomkonzernen. Der RWE-Konzern etwa warnt schon vier Tage nach Kriegsbeginn vor «erheblichen juristischen und ökonomischen Risiken» bei einem Weiterbetrieb, auch fehle das Personal. Aus dem Eon-Konzern fliegt dem Ministerium eine Liste mit Vorbehalten zu. «Passt nicht zu unserer strategischen Ausrichtung», befand Konzernchef Leonhard Birnbaum. Erst später sollte sich der Wind auch bei der Eon-Tochter Preussen-Elektra drehen.

Insgesamt spitzten sich die Dinge erst in den folgenden Monaten so richtig zu. Als Russland Ende August die Gaslieferungen durch die Ostsee einstellte, gingen Gas- und Strompreise durch die Decke – und auch die Grünen öffneten sich dem gestreckten Betrieb, zumindest für süddeutsche Reaktoren. Weil die FDP aber deutlich längere Laufzeiten wollte, musste schliesslich ein Machtwort des Kanzlers den Streit beenden: Bis zum 15. April 2023 sollten die drei Reaktoren nun laufen dürfen. So kam es dann auch.

Die Wunden aber sind offensichtlich noch nicht verheilt. «Die Prüfung erfolgte stets ergebnisoffen und transparent», betont nun das Wirtschaftsministerium. Im Mittelpunkt habe immer die Versorgungssicherheit gestanden. Und tatsächlich hatte Habeck nie den Eindruck gemacht, als hänge er übermässig am Atomausstieg – sehr zum Ärger von Parteifreunden. Auch das Umweltministerium fühlt sich grob missverstanden: Man habe «sorgfältig und ausschliesslich sachorientiert» geprüft. Natürlich stünden für die Atomaufsicht rechtliche Fragen im Zentrum.

Doch die Opposition verlangt Aufklärung. Der Verdacht der Lüge stehe im Raum, schreibt der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, am Donnerstag auf der Plattform X. Habeck müsse unverzüglich alle Akten auf den Tisch legen. «Ansonsten droht ein Nachspiel.»