Die Wirtschaft lahmtDeutschland hängt in der EU nun als Gewicht am Ende des Zugs
Die wirtschaftliche Stagnation ist zunehmend auch für Nachbarn wie die Schweiz ein Problem. Die Regierung gilt als wichtigstes Hindernis für eine schnelle Erholung.
Deutschland steckt in der Krise fest, der Rezession folgt keine Erholung, sondern eine Stagnation. Das war die bittere Botschaft, als Wirtschaftsminister Robert Habeck diese Woche den Jahresbericht der Regierung vorstellte. Letztes Jahr war die Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft, dieses Jahr soll sie um 0,2 Prozent wachsen. Noch im letzten Herbst hatte Habeck ein Wachstum von 1,3 Prozent prognostiziert.
«Dramatisch schlecht» seien die Zahlen, sagte der grüne Vizekanzler. Deutschland brauche dringend einen «Reformbooster», man müsse jetzt die Wettbewerbsfähigkeit der drittgrössten Volkswirtschaft der Welt verteidigen. Finanzminister Christian Lindner hatte den Befund zuvor schon als «nachgerade peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich» bezeichnet. Der FDP-Chef sagte, Deutschland sei träge geworden und brauche nun eine «Wirtschaftswende».
Auf einmal überall am Ende des Umzugs
Schmerzlich ist für Habeck und Lindner insbesondere der Vergleich: Statt wie früher als Lokomotive die Wirtschaft zu ziehen, hängt Deutschland in der Europäischen Union, in der Gruppe der weltwichtigsten Industrieländer (G-7) und jener der hoch entwickelten Länder (OECD) nun als Gewicht am Ende des Zugs. In der EU wächst nur Schweden noch schwächer, in der OECD Grossbritannien. Das ist nicht nur ein Problem für Deutschland selbst, sondern zunehmend auch für seine Nachbarn in Europa, etwa für die Schweiz.
Habeck nannte noch einmal die Gründe, die zuletzt die Konjunktur gelähmt hatten, teils als Folge von Russlands Überfall auf die Ukraine: die hohen Energiepreise, die hohen Zinsen, den schwächelnden Welthandel. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende des letzten Jahres seien zudem Subventionen in zweistelliger Milliardenhöhe weggefallen, was das Wachstum ebenfalls bremse.
In Habecks 178-seitigem Bericht werden aber auch die strukturellen Schwächen genannt, die das Potenzial auf Dauer einschränken: der Mangel an Fachkräften, die überbordende Bürokratie, die aufziehende Deglobalisierung, die den «Exportweltmeister» Deutschland härter trifft als andere Länder.
Habeck und Lindner (wie auch die meisten Ökonomen) sind sich nicht nur in der Bewertung der Krise einig, sondern im Prinzip auch darin, was dagegen zu tun wäre. Doch sie können sich bislang nicht darauf einigen, wie das nötige Wachstumspaket finanziert werden soll.
Unbestritten ist, dass Unternehmen steuerlich entlastet werden sollen, weil deren Belastung von fast 30 Prozent als nicht mehr wettbewerbsfähig gilt. Einig ist man sich auch, dass die Bürokratie abgebaut, Investitionen und Forschung gefördert und Fachkräfte leichter angelockt werden sollen.
Zur Finanzierung schlägt Habeck ein Sondervermögen von mindestens 100 Milliarden Euro vor – neue Schulden also, die an der Schuldenbremse vorbei im Grundgesetz verankert würden. Dafür wäre im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig, die Regierung wäre also auf die Zustimmung der oppositionellen Union (CDU und CSU) angewiesen.
Lindner wiederum lehnt eine neuerliche Aufweichung oder Umgehung der Schuldenbremse kategorisch ab. Er schlägt vor, die Anti-Krisen-Massnahmen zu finanzieren, indem Deutschland am Sozialstaat spart. Intern soll Lindner, dessen FDP in den Umfragen unter die 5-Prozent-Schwelle gefallen ist, offen «Brutalitäten in den Sozialsystemen» gefordert haben. Dies wiederum ist für den sozialdemokratischen und den grünen Koalitionspartner tabu.
Die politische Unsicherheit ist derzeit enorm
Wie bei so vielen Streitthemen ist die Ampelregierung also auch bei dieser Frage blockiert. Der liberale Ökonom Clemens Fuest hält die Ungewissheit, wohin diese Regierung Deutschland eigentlich steuern will, mittlerweile sogar für eines der grössten Hindernisse auf dem Weg zu einer schnelleren Erholung der Wirtschaft.
Die Ampel habe selbst viel Unsicherheit geschaffen, so Fuest, etwa mit dem Wirrwarr um den Austausch von Öl- und Gasheizungen, dann mit der verfassungswidrigen Verwendung von alten Schulden, die zu einer Haushaltskrise führte. Eine Studie belege, dass im sonst so stabilen Deutschland derzeit die politische Unsicherheit so gross sei wie in Grossbritannien im Jahr des Brexit. Das sei Gift für Unternehmen, Investoren und Konsumenten. Der linksliberale Ökonom Marcel Fratzscher fügt hinzu, auch die «Schwarzmalerei» von Habeck und Lindner sei bereits eine Wachstumsbremse.
Im Prinzip ist allen klar, was jetzt nötig wäre: «ein Wumms, ein Bumms, ein Doppelrumms», wie eine Kommentatorin im Berliner «Tagesspiegel» kalauerte. Die Regierung müsse sich unter Führung von Kanzler Olaf Scholz auf einen Befreiungsschlag einigen. Der Sozialdemokrat hat sich bisher – wie üblich – in den Streit zwischen Habeck und Lindner nicht öffentlich eingemischt.
Bleibt ein solches geeintes, kraftvolles Signal aus, droht Deutschland jedenfalls Schlimmes: Der Unmut in Wirtschaft und Gesellschaft wird weiter anschwellen, Europa wird unter der deutschen Handlungsunfähigkeit weiter leiden. Und die Zweifel werden wachsen, ob diese Regierung überhaupt noch über den Sommer hinaus durchhält.
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