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Meinung

Kommentar zu Mob gegen Habeck
Das passiert nicht einfach so

Die Fähre legt besser nicht an: Szene vom Donnerstagabend in Schlüttsiel an der Westküste von Schleswig-Holstein.
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Niemand braucht sich zu wundern über das, was am Donnerstagabend am Fährhafen Schlüttsiel passiert ist. Dies passiert nicht einfach so. Um es mit einer Metapher aus der Landwirtschaft zu sagen: Die Saat dafür war seit langem gelegt.

Die verwackelten Videobilder zeigen, dass es den dort versammelten Bauern nicht um jenen inhaltlichen Protest und jenen Diskurs ging, der zur Demokratie gehört wie Weizen zum Feld. Wer legitim protestieren und seine Argumente vorbringen will, der meldet eine Kundgebung auf dem Marktplatz oder eine Traktordemo in Berlin an.

Der passt aber nicht einen Minister in einem Moment ab, in dem dieser eine Privatperson ist; Habeck kam mit der Fähre von den Ferien auf Hallig Hooge. Bereits mit der Wahl von Ort und Zeit hatten diese Bauern sich und ihr Anliegen ebenso diskreditiert wie jene Kollegen, die neulich mit ihren Traktoren im Dunkeln das Privathaus der grünen Landwirtschaftsministerin Niedersachsens blockierten. Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hat eine solche Bedrohung seiner Privatsphäre schon mehrmals erleiden müssen.

Das Wesen dieser Art von Protest ist: Wer meint, bei Ort und Zeit wahllos sein zu dürfen, der erhebt diesen Anspruch in der Regel auch für den Verlauf der «Debatte», die er dort zu führen gedenkt. Die Bilder aus Schlüttsiel zeigen eine aufgepeitschte Menge. Der Kapitän der Fähre tat das einzig Vernünftige: umkehren und so die körperliche Unversehrtheit von Robert Habeck und allen anderen sichern.

Ein paar Beispiele der allgemeinen Verrohung

Diese Form der Eskalation betrifft beileibe nicht nur die Agrarpolitik. Jeder, der bei Facebook oder X ein Konto hat, muss ja nur ein paar Sekunden durch seine Timeline scrollen, um festzustellen, welchen Ton immer mehr Leute inzwischen für gesellschaftsfähig halten; ganz egal, um welches Thema es geht. Auch Angriffe auf Sanitäter und Feuerwehrleute wären noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen.

Zur allgemeinen Verrohung trägt zudem ein Gewerkschaftsvorsitzender bei, der in der Auseinandersetzung mit Bahnvorständen den Ausdruck «Vollpfosten» für angemessen hält; oder ein stellvertretender bayerischer Ministerpräsident, der in der Debatte ums Heizungsgesetz in Richtung Grüne und Habeck rief: «Ihr habts ja wohl den Arsch offen.»

Auch dies trug zu einem Klima bei, in dem die Grünen massiven Polizeischutz bei ihren Wahlkampfauftritten brauchten, in dem vor einem Festzelt Tomaten, Gurken und Steine zum Kauf angeboten wurden (Letztere angeblich zum Scherz) und in dem ein Mann tatsächlich einen Stein in Richtung ihrer Spitzenkandidatin warf. Wohin soll das alles führen?

Bauernverband will keine Populisten und Extremisten

Wer nun wie die Bauern in Norddeutschland agiert, der nimmt sich eigentlich selbst aus dem Diskurs. Die freiheitliche Demokratie beruht immer auf einer grundsätzlichen Übereinkunft: über die Verfahren, also die Form jeder Auseinandersetzung. Diese gemeinsame Basis ist die Voraussetzung für jeden Streit, ob über Heizungen, Ukraine oder Agrardiesel. Das Kennzeichen von Populisten und Extremisten ist, dass sie diese Basis für unwichtig halten, dass sie das, was sie inhaltlich wollen, über jede Form erheben.

Vor allem unter diesem Gesichtspunkt ist von Bedeutung, wie der Deutsche Bauernverband seine Aktionswoche intoniert, mit der er von Montag an gegen die Landwirtschaftspolitik der deutschen Regierung protestieren will. Im Populistenmilieu sind etliche unterwegs, die sich unter anderem aus diesem Anlass bei Facebook oder Telegram Hoffnungen auf einen «Generalstreik» machen. Es spricht sehr für den Bauernverband, dass er bereits am Donnerstagabend – vor dem Vorfall mit der Fähre – in einem Tweet klarmachte: «Rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale haben bei uns keinen Platz.» Bei seinen Aktionen seien sie unerwünscht.

Am Freitagmorgen wartete der Vorsitzende Joachim Rukwied keinen Moment zu lange mit einer Äusserung; er hätte nur sehr gern schärfere Wörter als «distanzieren» und «No-go» wählen dürfen.

Eine Regierung, die Unsicherheit ausstrahlt

Es wird nun ein paar Tage dauern, mindestens, bis wieder in der Sache über die Agrarpolitik gestritten werden kann. Unabhängig jedoch davon, wie ihre Beschlüsse vom Donnerstagabend inhaltlich zu bewerten sind: Eine Regierung, die zum wiederholten Mal nach Protesten rasch ihre Beschlüsse widerruft, erweckt den Eindruck, diese vorher nicht wirklich durchdacht zu haben.

Damit strahlt sie Unsicherheit aus. Nichts aber fragen die Leute in aufgewühlter Zeit weniger nach als Unsicherheit. Und so meinen offenbar immer mehr, nach Belieben mit ihren Repräsentanten umspringen zu dürfen.