Schweiz unter internationalem DruckSeco-Chefin zu Kritik aus den USA: «Ich habe mich an unsere Gesetze zu halten»
Warum handelt die Schweiz im Umgang mit Russland so gehemmt? Helene Budliger, neue Staatssekretärin für Wirtschaft, wehrt sich gegen die Kritik und begründet ihr Nein zu Waffenausfuhrgesuchen.
Frau Budliger, die Schweiz steht wegen des Ukraine-Kriegs unter internationalem Druck. Sie haben im August 2022, mitten in der Krise, den Job als Seco-Chefin angetreten. Wie hart ist der Job?
Weniger hart, als viele Leute denken. Ich muss im Ausland allerdings oft unser politisches System und unsere Neutralität erklären. Da sehe ich mich an vorderster Front. Gleichzeitig sind unsere universellen internationalen Beziehungen eine Stärke.
Haben Sie mit Ihren Erklärungen Erfolg? Viele Länder fordern, dass die Schweiz die Wiederausfuhr ihrer Waffen in die Ukraine erlaubt.
Ja, es gibt definitiv diesen Druck. Wir wurden mit drei Anfragen konfrontiert, die wir ablehnen mussten.
Sie werden von Ihrer Position aber nicht abweichen?
Unsere Gesetzgebung verbietet uns im Moment, diese Gesuche zu bewilligen. Ich habe mich an unsere Gesetze zu halten.
Hoffen Sie persönlich, dass das Parlament die Wiederausfuhr der Waffen noch möglich macht?
Ich bin keine Politikerin, sondern vertrete die bundesrätliche Haltung. Persönlich denke ich, für das Land wäre es gut, wenn das Parlament diese Debatte in absehbarer Zeit noch führt.
«Die G-7-Länder bescheinigen uns eine gute Zusammenarbeit auf technischer Ebene auch ohne Beitritt.»
Eine andere Forderung lautet, dass die Schweiz in der sogenannten Repo-Taskforce mitmacht, die mit der Aufspürung russischer Oligarchengelder betraut ist. Auch hier müssen Sie sich widersetzen.
Der Wunsch, dass wir uns anschliessen, ist da. Doch gleichzeitig bescheinigen uns die G-7-Länder eine gute Zusammenarbeit auf technischer Ebene auch ohne Beitritt. Wir werden diese Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern weiter intensivieren.
US-Botschafter Scott Miller sieht es nicht so rosig. Er warf Ihnen persönlich in einem Interview vor, den Nutzen der Russland-Sanktionen zu verkennen.
Scott Miller und ich verstehen uns bestens. Er interessiert sich sehr für das Schweizer System der Berufslehre. Wir haben kürzlich gemeinsam den Campus Sursee besichtigt, wo die Privatwirtschaft viel Geld in die Ausbildung junger Berufsleute investiert.
Aber warum dann die Attacke auf Sie?
Seine Interview-Aussage war an die Politik adressiert, entsprach aber nicht den diplomatischen Gepflogenheiten. Ich weiss, dass Botschafter Miller mit viel Leidenschaft kämpft, wenn ihm eine Sache wichtig ist. Das respektiere ich.
«Ich schätze an den USA, dass die Gespräche sachlich verlaufen und man schnell auf den Punkt kommt.»
Wer ist anstrengender für Sie: Miller oder Brian Nelson vom US-Finanzministerium, der kürzlich eigens in die Schweiz reiste, um uns wegen der Russland-Sanktionen einzuheizen?
Mit beiden ist das Verhältnis sehr gut! Ich schätze an den USA, dass die Gespräche sachlich verlaufen und man schnell auf den Punkt kommt. Brian Nelson hat die Zusammenarbeit mit der Schweiz ausdrücklich positiv bewertet.
Und doch bleibt der Eindruck, dass sich die Schweiz bei den Sanktionen immer etwas verspätet und widerwillig bewegt. Wie beurteilen Sie die Reaktion des Seco im Rückblick?
Ich möchte unterstreichen, dass wir im Seco wissen, wie Sanktionen funktionieren. Wir wurden zu Beginn überrollt, wie die anderen Länder auch. Noch nie mussten wir ein Land von der geopolitischen Bedeutung Russlands sanktionieren. Es galt, die internationalen Sanktionen mit den Hunderten von Rechtstexten ins schweizerische Recht zu übernehmen. Wir waren mit 20’000 Anfragen von Firmen oder Anwälten konfrontiert, denen wir Auskunft erteilen mussten. Inzwischen konnten wir personell aufstocken und sind eingespielt.
Wie viele Versuche, die Sanktionen zu umgehen, haben Sie ermittelt?
Inzwischen sind es 130 Verdachtsfälle. In 29 Fällen führten sie zu Verwaltungsstrafverfahren, davon wurden 14 rechtskräftig abgeschlossen. In 36 Fällen konnte auf deren Eröffnung verzichtet werden. Der Rest wird noch abgeklärt.
In der «SonntagsZeitung» war von 10 Milliarden Franken der russischen Zentralbank die Rede, die in der Schweiz vorhanden sein sollen. Können Sie das bestätigen?
Das 10. Sanktionspaket sieht eine Meldefrist für Vermögenswerte der russischen Zentralbank vor. Diese Frist ist im April abgelaufen. Wir verschaffen uns jetzt eine Übersicht und konsolidieren die Zahlen. Wir sind bemüht, so schnell wie möglich eine Zahl nennen zu können.
Die Schweiz ist unter Druck, US-Botschafter Miller sieht sie in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Worauf müssen wir uns Ihrer Meinung nach einstellen?
Ich bin von Natur aus optimistisch. Vieles spricht für die Schweiz. Wir haben eine historisch tiefe Arbeitslosigkeit, sind nicht in eine Rezession geraten, haben den Winter gut überstanden, und unsere Währung ist stabil. Um all dies werden wir international beneidet.
Wird das Ende der Credit Suisse unserer Wirtschaft schaden?
Wir erwarten kurzfristig keine Auswirkungen auf die Konjunktur. Sorgen bereitet uns eine allfällige Massenentlassung bei den Grossbanken. Wirtschaftsminister Guy Parmelin steht diesbezüglich mit den Personalverbänden in Kontakt.
Als Seco-Vorsteherin sind Sie auch zuständig für den Abschluss neuer Freihandelsabkommen. Da harzt es seit längerem. Erwarten Sie irgendwo einen Durchbruch?
Wir sehen einen vielversprechenden Impuls bei Indien. Dieser Markt ist für uns von grosser Bedeutung. Indien ist das bevölkerungsreichste Land der Erde mit einem starken wirtschaftlichen Wachstum.
Der frühere Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann zeigte sich bei Indien allerdings schon vor einem Dutzend Jahren optimistisch. Wirklich weiter sind wir heute nicht.
Indien ist zuletzt selber aktiv geworden und hat Freihandelsabkommen mit Australien und den Vereinigten Arabischen Emiraten abgeschlossen. Mit Grossbritannien steht man offenbar kurz vor dem Abschluss, mit Kanada laufen Verhandlungen. Wir haben dieses Momentum gespürt und genutzt. Ich war dreimal für Kurzbesuche in Indien und hoffe, mich noch diesen Monat ein viertes Mal mit dem indischen Handelsminister in Europa treffen zu können.
Aus Ihrem Amt hört man, Sie seien fast ständig unterwegs. Führen Sie noch immer Ihr früheres Diplomaten-Reiseleben?
Keineswegs. Ich habe, als eine meiner ersten Massnahmen, die Zuständigkeit für die Direktion für Aussenwirtschaft abgegeben. Zutreffend ist, dass ich seit meinem Amtsantritt sehr viele Anfragen von den zahlreichen Anspruchsgruppen des Seco erhalte. Es ist mir ab Beginn wichtig, ein Kontaktnetz aufzubauen und zu pflegen, was terminlich in der Tat eine Herausforderung ist …
«Sie können nicht Erfolg haben, wenn Sie sich hinter Ihrem Pult verschanzen.»
Wir haben es gemerkt: Einen Interviewtermin mit Ihnen zu erhalten, ist schwierig.
Ich bekenne mich schuldig. (lacht) Sie können als Seco-Chefin nicht Erfolg haben, wenn Sie sich hinter Ihrem Pult verschanzen. Die Kontakte zu den Verbänden, den Kantonen und der Wirtschaft sind wichtig. Man darf sich nicht zu schade sein, Türklinken zu putzen – das habe ich in meiner früheren Tätigkeit als Botschafterin gelernt.
Geniessen Sie es, als Kapitänin im Sturm zu stehen?
Mir gefällt Gestaltungsspielraum, weil er mit Verantwortungsbewusstsein kombiniert ist. Im Seco arbeiten viele Mitarbeitende am Limit. Aufgrund der jüngsten Krisen wie der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine leisten immer wieder zahlreiche Personen Sonderschichten. Ich stelle an mich den Anspruch, zu meinen Leuten Sorge zu tragen. Und mich, wenn nötig, vor sie zu stellen.
Und denken Sie, dass Sie Ihrem Anspruch gerecht werden?
Vielleicht kann ich da auch noch mehr tun. Ich bin eigentlich nie mit mir zufrieden. Das ist manchmal etwas anstrengend. (lacht)
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