Iranischer AngriffWie Israel sich vor Raketen schützt
Rund 180 ballistische Raketen feuerte der Iran auf Israel ab. Fast alle Geschosse konnten jedoch abgewehrt werden. Möglich macht es ein mehrstufiges Abwehrdispositiv.
Die Ereignisse entwickelten sich schnell: Am Dienstagmittag warnte die USA vor einem «unmittelbar bevorstehenden Angriff» des Iran auf Israel. Nur wenige Stunden später gingen bereits die ersten iranischen Raketen auf verschiedene Teile in Israel nieder. Videos der Attacke zeigen, wie leuchtende Geschosse den Nachthimmel über Tel Aviv erhellten. Der Beschuss dauerte über eine Stunde an. Nach Angaben des israelischen Militärs feuerte der Iran 180 ballistische Raketen auf Israel ab.
Die Attacke sei die Vergeltung des Iran für den Tod von Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah, sagten die iranischen Revolutionsgarden. Dieser wurde vergangenen Freitag in Beirut bei einem israelischen Luftangriff auf einen Bunker getötet. Mit dem Angriff wolle man zudem auch den Tod des Hamas-Führers Ismail Hanija vom vergangenen Juli rächen. Bereits im vergangenen April feuerte der Iran etwa 110 ballistische Raketen und 30 Marschflugkörper auf Israel ab, als Reaktion auf die Tötung des iranischen Generals Zahedi.
Der Angriff am Dienstag konnte grösstenteils abgewehrt werden. Die meisten Raketen seien von israelischen Luftabwehrsystemen abgeschossen worden, sagte ein israelischer Sicherheitsbeamter. Israelische Medien meldeten dennoch mehrere Verletzte und einen Toten. In Jericho kam während des iranischen Angriffs offenbar ein Palästinenser ums Leben. Ein Korrespondent des britischen Fernsehsenders BBC in Jerusalem berichtete, dass möglicherweise einige Militärbasen sowie Restaurants und Schulen getroffen worden seien.
Angesichts der grossen Anzahl der vom Iran abgefeuerten Raketen fielen die Schäden insgesamt jedoch gering aus. «Der Angriff scheint vereitelt worden und unwirksam gewesen zu sein», sagte der US-Präsident Joe Biden am Mittwoch vor Reportern. Nachfolgend die wichtigsten Elemente des israelischen Abwehrdispositives.
Iron Dome
Der Iron Dome («Eiserne Kuppel») ist das bekannteste Abwehrsystem der israelischen Armee. Es wurde im März 2011 in Betrieb genommen und ist darauf angelegt, Kurzstreckenraketen abzufangen. Seither fängt es regelmässig Geschosse der Hamas und der Hizbollah ab. Am 7. Oktober 2023 schoss die Hamas nach israelischen Quellen 2200 bis 3000 Raketen über die Grenze, was zu einer Überlastung führte (lesen Sie hier, wie die Hamas den Iron Dome ausgehebelt hat). Einige Raketen schlugen in Israel ein. Bei dem iranischen Angriff vom vergangenen April zeigte der Iron Dome jedoch, wieso er als militärische Erfolgsgeschichte gilt. Die eiserne Kuppel schoss diverse Flugkörper im israelischen Luftraum ab, unter anderem über dem Felsendom in Jerusalem.
Ein Radar des Iron Dome erkennt ankommende Geschosse aus einer Entfernung von 4 bis 70 Kilometern. In einem Kontrollzentrum werden diese Informationen verarbeitet und an eine Abschussvorrichtung weitergeleitet. Diese schiesst eine Abwehrrakete ab. Der Iron Dome kann auch Drohnen zerstören. Landen Raketen in menschenleerem Gelände, reagiert der Iron Dome nicht. Das ist wichtig, weil der Abschuss einer Abwehrrakete 40’000 bis 50’000 US-Dollar kostet.
Patriot-Abwehrsystem
Der Patriot ist das älteste Element der israelischen Raketenabwehr. Es wurde erstmals 1991 während des ersten Golfkriegs eingesetzt. Aktuell ist es vor allem aus dem Ukraine-Krieg bekannt. Kiew ist dringend auf Patriots angewiesen, um den schweren Beschuss von Grossstädten wie Charkiw abzuwehren.
Patriots haben mit bis zu 160 Kilometern eine grössere Reichweite als der Iron Dome und können auch grössere Ziele abschiessen. Ein Patriot-System besteht aus einem Radarsystem, einem Feuerleitstand und mehreren Startgeräten für Abwehrraketen.
Arrow-Langstreckenraketen
Die Arrow-Raketen sind für die Langstreckenabwehr zuständig. Sie fangen ballistische Raketen mit einem abnehmbaren Sprengkopf ab. Der «Pfeil» wurde von Israel und den USA spezifisch entwickelt, um sich gegen iranische Raketen zu wehren. Unterschieden wird zwischen Abwehrraketen des Typs «Arrow 2» und «Arrow 3», die sich in ihrer Reichweite unterscheiden. Arrow-3-Raketen kommen auf eine Reichweite von 2400 Kilometern und können ballistische Raketen sogar ausserhalb der Erdatmosphäre abfangen. Die Arrow-Raketen dürften an der Abwehr von der Attacke vom Dienstag massgeblich beteiligt gewesen sein. Im April sagte ein ehemaliger Finanzberater des IDF-Stabschefs gegenüber der israelischen Zeitung «Ynet News», dass eine Arrow-Rakete in der Regel 3’500’000 Dollar pro Stück (umgerechnet etwa 2’900’000 Franken) kostet.
David’s Sling
Das Abwehrsystem mit dem biblischen Namen David’s Sling (Davids Schleuder) ist seit 2017 im Einsatz und ergänzt die bestehenden Arrow-Systeme. Es handelt sich um ein Abwehrsystem, das je nach Typ eine Reichweite von 90 bis 150 Kilometer aufweist. David’s Sling ortet Raketen per Infrarot oder per Radar. Es wird von Israel vor allem genutzt, um Kurz- und Mittelstreckenraketen abzuschiessen. Eine David’s Sling-Abfangraketen soll etwa 1 Mio. Dollar (umgerechnet etwa 846’000 Franken) kosten.
Internationale Hilfe
Die Flugdistanz vom Iran bis nach Israel ist so gross, dass genug Zeit bestand, um die Flugbahn der Raketen und Drohnen zu identifizieren. Auch beim Abschuss der iranischen Flugkörper konnte sich Israel auf seine Alliierten verlassen. «Während des Angriffs stimmte sich das US-Militär eng mit den israelischen Verteidigungskräften ab, um die Verteidigung Israels zu unterstützen», hiess es am Mittwoch in einer Meldung des Verteidigungsministeriums.
Ein Sprecher des Pentagons sagte, zwei Schiffe, sogenannte «Zerstörer», der US-Marine hätten im östlichen Mittelmeer etwa ein Dutzend Abfangjäger gegen iranische Raketen abgefeuert, die auf Israel gerichtet waren. Wie viele der iranischen Raketen durch die USA abgeschossen wurden, ist derzeit unbekannt.
Eine erste Version dieses Artikes wurde am 16. April 2024 publiziert.
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