Neue ETH-StudieDer Regen nimmt im Sommer ab, dafür wird er intensiver
Starkniederschläge nehmen im Sommer in einer wärmeren Welt im Alpenraum deutlich zu. Extremereignisse in kleineren Tälern wie in diesem Jahr können häufiger werden.
Es waren Bilder der Zerstörung in diesem Sommer. Ein Murgang nördlich von Lostallo im Misox staut die Moesa. Der Fluss sucht sich innert Kürze ein neues Flussbett und schwemmt dabei ein Stück der Autobahn weg. Eine reissende Maggia reisst die Brücke mit, die das obere mit dem unteren Tal verbindet. Wasserfluten führen im Wallis zu massiven Überschwemmungen. In Brienz bricht ein unerwarteter Murgang ins Dorf ein. Es werden Dörfer zerstört. Es sterben Menschen.
Die Hochwasserstatistik des Bundes ergibt: Vielerorts stiegen Flüsse so hoch an, wie das nur alle 50 bis 100 Jahre der Fall ist, an manchen Orten sogar alle 100 bis 300 Jahre. Und das innert weniger Stunden, weil zum Beispiel im Misox lokal über 100 Millimeter Regen fielen, davon 85 Millimeter in nur zwei Stunden. So auch in den südlichen Tälern des Wallis – und auch im Waadtländer Jura. Das sind ungewöhnliche Extreme.
Die Ereignisse zeigen: Gewitter in kleinen Einzugsgebieten können grosse Zerstörung bringen. Es stellt sich nun die Frage, wie diese Ereignisse klimatologisch einzuschätzen sind. «Wir müssen uns neu überlegen, wie wir uns an künftige Bedingungen anpassen», sagt Christoph Schär. Der erst kürzlich emeritierte ETH-Professor am Institut für Atmosphäre und Klimawissenschaften beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den physikalischen Prozessen in der Atmosphäre und deren Modellierung. Er ist zwar vorsichtig, diese Ereignisse als direkte Folge des Klimawandels zuzuordnen. «Extreme Temperaturen sind zuverlässiger einzuordnen als extreme Niederschläge», sagt er. Für die letzte Gewissheit bräuchte es längere Beobachtungsreihen und mehr Modellsimulationen.
Weniger Regen, aber intensiver
Dennoch wagt er zu sagen: «Für mich ist klar, dass zumindest ein Anfangsverdacht gegeben ist, denn das Muster der Ereignisse deckt sich mit dem, was wir vom Klimawandel erwarten.» Darin bestärkt wird er durch eine neue, noch unveröffentlichte Studie der ETH Zürich, bei der seine Mitarbeiterin Rebekka Estermann als Hauptautorin zeichnet.
Das Forschungsteam zeigt auf, dass es im Sommer in den alpinen Regionen bis Ende des Jahrhunderts um 20 bis 40 Prozent weniger regnet, falls die globale Erwärmung in gleichem Masse zunimmt wie bisher. Das ist unter anderem mit häufigeren Hochdrucklagen zu erklären. Andererseits nimmt die Intensität der Regenereignisse im Sommer paradoxerweise deutlich zu, weil sich mit der Erderwärmung mehr Wasser in der Atmosphäre befindet und dadurch die Luftmassen an Feuchtigkeit zunehmen. Die Modellergebnisse bestätigen die sogenannte Clausius-Clapeyron-Regel: Eine Erwärmung um 1 Grad erhöht den Wasserdampf in der Atmosphäre um 7 Prozent.
Heisse Tage, feuchte Luft – das sind die Hauptfaktoren für extrem starke Gewitter, wie sie im Juni in der Schweiz erfolgten, als warme, feuchte Luftmassen aus dem Süden in den Alpenraum strömten. «Starkniederschläge, wie wir sie in diesem Sommer erlebten, nehmen substanziell zu, und entscheidend ist dabei die Anfeuchtung der Luft», sagt ETH-Forscher Christoph Schär.
Ein anderes Bild ergeben die Modelle für den Winter: In Zukunft gibt es mehr Niederschlag, und auch Extremniederschläge treten häufiger auf. Für Schär bedeutet das: In Zukunft spielen in den Alpen im Sommer kleine Einzugsgebiete immer mehr eine Rolle. «Murgänge werden wohl häufiger niedergehen, weil in den Tälern sehr viel Geschiebe und Geröll in den Bächen liegt, das bei extremen Regenereignissen in Bewegung kommt», so Schär.
Die neuen Ergebnisse bestätigen Resultate früherer Studien, haben aber eine ganz andere Qualität. Erstmals haben Forschende ein Ensemble verschiedener Simulationen für stündliche bis fünftägige Niederschlagsereignisse analysiert. Die Modelle sind imstande, im Alpenraum im Abstand von 2 bis 4 Kilometern Daten zu physikalischen Vorgängen in der Atmosphäre zu liefern. Damit können jene Faktoren modelliert werden, die zu starken Gewittern führen: Kleinräumige Auf- und Abwinde, Feuchtigkeit und Kondensation sowie Wärme.
Das war in früheren Regionalmodellen mit einer räumlichen Auflösung von 12 bis 50 Kilometern nicht möglich. Die Zuverlässigkeit der neuen Ergebnisse wurden mit stündlichen Radarbeobachtungen (von 2000 bis 2009) verglichen. «Natürlich bestehen Unsicherheiten, aber Modelle, Theorie und Beobachtungen stimmen weitgehend überein», sagt Schär. Die Resultate seien zudem weitgehend konsistent für zahlreiche unterschiedliche Modelle. Und es gebe eine überzeugende physikalische Erklärung. Bereits gibt es erste Studien, die eine Zunahme der Starkniederschläge in den Messungen finden.
Anstieg der Hochwasserspitzen
«Ich gehe davon aus, dass die zunehmenden Niederschlagsintensitäten insbesondere in kleinen Einzugsgebieten auch zu einem Anstieg der Hochwasserspitzen führen werden», sagt Manuela Brunner. Die Klimaforscherin am Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften an der ETH Zürich und am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung untersucht, wie Wetter und Wasser extreme Ereignisse entstehen lassen.
«Wir haben in der Schweiz mehr als 1000 Wildbäche, die statistisch gesehen einmal in 100 Jahren extremes Hochwasser führen. Das würde heissen, in der Schweiz müsste es rein rechnerisch jedes Jahr zehn Ereignisse geben. Das ist die Grössenordnung», sagt Andreas Zischg vom Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern.
Die neuen Daten helfen nicht nur der Wissenschaft, künftige Entwicklungen durch den Klimawandel zuverlässiger abschätzen zu können. Sie sind auch für Behörden und Raumplaner ein Instrument, wenn es darum geht, in den Gemeinden der Alpenregion das Risiko der Naturgefahren neu einzuordnen. «Der Klimawandel muss verstärkt in die Massnahmenplanung einbezogen werden», sagt Helen Gosteli, Leiterin der Geschäftsstelle Planat der Nationalen Plattform Naturgefahren, die im Auftrag des Bundesrats die Strategie im Umgang mit Naturgefahren entwickelt hat.
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