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Reaktion nach CS-Datenleck
Weltweite Kritik am Umgang der Schweiz mit der Pressefreiheit

Das Bankengesetz bindet auch Journalisten – und es schützt ausländische Kunden, selbst wenn sie im Verdacht stehen, kriminell zu sein.
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Dutzende namhafte Redaktionen, von der «Süddeutschen Zeitung» bis zur «New York Times», arbeiteten in den letzten Monaten mit den geheimen Kundendaten der Credit Suisse. Dabei stellten sie überrascht fest, dass sie nach Schweizer Recht eine Strafuntersuchung riskieren, wenn sie einen Bankkunden aus dem Datenleck nur schon nennen. Selbst wenn er ein Krimineller ist.

«Journalisten können strafrechtlich belangt werden», bestätigt das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen. Und zwar, «wenn sie Daten publizieren, die sie über eine Person erhalten haben, die das Bankgeheimnis verletzte».

Irene Khan, UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit, zeigt sich auf Anfrage besorgt. Und sie warnt die Schweiz in deutlichen Worten: «Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, weil sie Bankdaten veröffentlichen, die von öffentlichem Interesse sind, würde gegen internationale Menschenrechtsvorschriften verstossen.» Sie will in der Sache demnächst mit dem Bundesrat Kontakt aufnehmen.

«Dieses neue Gesetz hat eine einschneidende Wirkung auf die Pressefreiheit.»

David Zollinger, Anwalt, Strafrechtsexperte und langjähriger Staatsanwalt in Zürich

Die Redaktionen, die an dem Projekt Suisse Secrets beteiligt sind, haben entschieden, sich über Schweizer Recht hinwegzusetzen und Kundennamen der Credit Suisse zu veröffentlichen. Gleichzeitig warnen die Chefredaktorinnen vom britischen «Guardian», von «Le Monde» und der «Süddeutschen Zeitung» die Schweiz eindringlich davor, Journalistinnen wegen des Bruchs des Bankgeheimnisses zu verfolgen.

In keinem anderen demokratischen Land ist es ein Verbrechen, über solche Konten zu berichten, solange die Enthüllungen im öffentlichen Interesse sind. Nur in der Schweiz musste Tamedia, zu der auch diese Zeitung gehört, auf die Recherche verzichten. Die juristischen Folgen wären unabsehbar.

«Wenn Journalisten Daten aus einer Bankgeheimnisverletzung veröffentlichen, gehen sie ein grosses Risiko ein, dass eine Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt, selbst wenn ihr Anspruch auf Aufdeckung von Missständen legitim ist», sagt David Zollinger, Anwalt, Strafrechtsexperte und langjähriger Staatsanwalt in Zürich. Für ihn ist klar: «Dieses neue Gesetz hat tatsächlich eine einschneidende Wirkung auf die Pressefreiheit.»

In der liberalen Schweiz wird die Pressefreiheit hochgehalten. Wie ist es also möglich, dass Journalistinnen riskieren, bestraft zu werden, wenn sie sich in ihren Recherchen auf vertrauliche Daten von Bankkunden stützen? Selbst wenn es um Informationen geht, die im höchsten öffentlichen Interesse stehen?

Um das zu beantworten, muss man ins Jahr 2010 zurückgehen. Es war die Zeit, als die Schweiz ihr Bankgeheimnis vehement gegen Angriffe aus dem Ausland verteidigte. Am 2. Februar jenes Jahres verkündete Kanzlerin Angela Merkel, dass die Finanzämter in Deutschland illegal beschaffte Bankdaten aus der Schweiz für Millionen von Euros kaufen dürften, um damit deutsche Steuersünder zu finden und zu bestrafen.

Der damalige Wirtschaftsminister Hans-Rudolf Merz protestierte lautstark gegen den Verkauf geheimer Bankdaten ins Ausland. 

Das sei «Hehlerei», also der Kauf von Diebesgut, empörte sich die Bankiervereinigung. Bundesrat Hans-Rudolf Merz protestierte «aufs Schärfste». Die bürgerlichen Parteien zeigten sich entsetzt.

Tausende deutsche Steuerhinterzieher packte nun die Angst. Zwei Datensätze seien im Umlauf, hiess es. Niemand wusste, von welcher Schweizer Bank sie stammten und wer enttarnt wurde. Die Folge: Innert weniger Wochen zeigten sich in Deutschland Tausende reuige Steuersünder vorsichtshalber gleich selbst an. Bei den Schweizer Banken flossen nun riesige Mengen deutsches Schwarzgeld ab. Sieben Milliarden Euro an Strafen und Steuern hat Deutschland in der Folge eingenommen. Und das alles wegen verratener Daten. Die Banken tobten.

In dieser aufgeheizten Stimmung blies die FDP im Nationalrat zum Gegenangriff. Sie lancierte im Frühling 2010 die parlamentarische Initiative «Den Verkauf von Bankkundendaten hart bestrafen». Das Verraten von Schweizer Konten gegen Geld solle nicht mehr ein kleines Vergehen sein, sondern neu ein Verbrechen, und mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden – «um eine abschreckende Wirkung entfalten zu können», schrieb die FDP.

Vor allem aber sollen künftig nicht nur die Bankmitarbeiter verurteilt werden, welche die Konten verraten, sondern auch «Dritte», welche solche Kundendaten «anderen offenbaren» – also auch Journalisten.

«Solche Mindeststrafen sind schwersten Verbrechen vorbehalten.»

Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 19.5.2014

In den folgenden vier Jahren brach das Bankgeheimnis zusammen. Die Schweiz musste sich verpflichten, die Daten vieler ausländischer Kunden automatisch an die Finanzämter ihrer Heimatstaaten zu schicken. Das Resultat: Niemand zahlte mehr für illegal beschaffte Bankdaten. Prompt hörten die Diebstähle auf. Die Gesetzesverschärfung schien nicht mehr dringend.

Doch der Furor der Politiker war auch 2014 noch ungebrochen. Unbeirrt trieben sie die Gesetzesinitiative voran. Die FDP wollte die Bankdaten-Weitergabe zunächst so hart bestrafen wie schwere Fälle der Geiselnahme oder Brandstiftung, mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Gefängnis. Die Wirtschaftskommission musste eingreifen. Solche Strafen seien nur «schwersten Verbrechen vorbehalten», erklärte sie der liberalen Partei.

In der Vernehmlassung wies einzig der Kaufmännische Verband Schweiz auf die drastische Einschränkung der Pressefreiheit hin. Die Verschärfung könne doch zur Folge haben, dass «Journalistinnen und Journalisten oder Whistleblower strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie auf illegale Gelder hinweisen».

Journalistenverbände wurden zu der Vernehmlassung gar nicht erst eingeladen – dafür die Bankiervereinigung.

«Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten.»

Andrea Caroni, 2014 Nationalrat, heute Ständerat FDP

In der Debatte im Nationalrat im September 2014 bestätigte dann Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf: «Grundsätzlich sind auch die Medien dieser Gesetzgebung unterstellt.» Doch sie spielte die Tragweite herunter. Sie wies darauf hin, dass es künftig für straffällige Journalistinnen ja womöglich vor Gericht «Entschuldigungsgründe» gebe.

Doch in der Schweiz ist es für Whistleblower oder Journalistinnen praktisch unmöglich, quasi auf Notstand zu plädieren, wenn sie im öffentlichen Interesse illegal verratene Bankdaten preisgeben. Dies hat das Bundesgericht im Fall von zwei Whistleblowerinnen des Zürcher Sozialamtes bestätigt. Obwohl ihre Informationen erhebliche Missstände aufdeckten, sah das höchste Gericht dies nicht als Entschuldigung an und verurteilte sie.

SP-Nationalrätin Ada Marra fragte in der damaligen Nationalratsdebatte noch, was denn nun passiere, wenn Journalistinnen künftig auf kriminelle Machenschaften von Bankkunden hinweisen. «Werden sie mit drei Jahren Gefängnis bestraft, weil sie ihre Arbeit gemacht haben?»

Die Antwort von FDP-Nationalrat Andrea Caroni kam prompt. «Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu verletzen», verkündete er vom Podium. «Das gehört schlichtweg nicht zu ihrem Job.»

Das Parlament winkte die Verschärfung Ende 2014 durch. In Artikel 47 des Bankengesetzes heisst es nun neu «Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft», wer ein derartiges Bankgeheimnis «weiteren Personen offenbart».

Doch wie wichtig es sein kann, solche geheimen Bankdaten zu offenbaren, zeigten die Journalisten noch einmal, kurz bevor das neue Gesetz in Kraft trat.

Im Februar 2015 enthüllte das Tamedia-Recherchedesk zusammen mit internationalen Journalistinnen unter dem Schlagwort «Swissleaks», dass die Genfer Bank HSBC Konten führte von mutmasslichen Terror-Financiers, Waffenschiebern und Blutdiamanten-Händlern. Über 120 Kunden mit Schweizer Konto tauchten in Verbrecherregistern von Europol und der französischen Polizei auf.

Aufgrund der Berichte führte die Genfer Staatsanwaltschaft eine Razzia in der Bank durch, die danach 40 Millionen Franken bezahlte, um sich zu befreien.

Nach den Enthüllungen der Swissleaks wird der Sitz der HSBC in Genf durchsucht. Der Genfer Staatsanwalt Olivier Jornot gibt vor der Bank eine Pressekonferenz.

Swissleaks war die letzte Recherche, die auf grossen Mengen von illegal weitergegebenen Bankdaten beruhte. Kurz darauf, am 1. Juli 2015, trat das neue Gesetz in Kraft. Und das änderte alles. Denn schon wenig später zeigte sich, dass die Gerichte den neuen Paragrafen gegen die Weitergabe von Bankdaten rigoros auslegen.

Das belegt der Fall eines Bankers, der im Jahr 2016 einem Gericht ein Dokument mit Namen von US-Kunden vorlegte, um sich in einem Arbeitsrechtsstreit zu verteidigen. Er wurde nach altem Recht wegen Bruch des Bankgeheimnisses verurteilt. Doch jetzt verklagte die Zürcher Staatsanwaltschaft auch gleich noch seinen Anwalt nach neuem Recht: Einzig, weil der die verbotenen Bankdaten dem Gerichtspersonal weitergegeben hatte.

Der Fall ging bis vor das Bundesgericht, das nach dem neuen Gesetz von 2015 gegen den Anwalt entschied. Es spielte keine Rolle, dass er kein Banker ist, dass er selbst die Daten nicht illegal beschafft hatte, dass er sie nicht an irgendein Finanzamt verkaufen wollte, sondern nur an das Gerichtspersonal weiterleitete. Das Bundesgericht hielt sogar fest, dass es nicht einmal ein Rechtfertigungsgrund ist, wenn der Anwalt dies nur im Zuge seiner Arbeit für seinen Klienten tut.

Inzwischen ist der Fall ein zweites Mal vor Bundesgericht, um Einzelfragen zu klären. Aber unabhängig davon, was dort noch entschieden wird – das Grundsatzurteil des höchsten Gerichts wird bestehen bleiben. Mit Folgen für die Pressefreiheit in der Schweiz.

Denn die Redaktionen in der Schweiz gerieten nun jedes Mal in ein Dilemma, wenn sie geleakte Schweizer Bankkonten von mutmasslichen Kriminellen nennen wollten. Sollten sie zugunsten des öffentlichen Interesses eine Strafverfolgung ihrer Journalisten riskieren?

Viele Journalistinnen gingen das Risiko in Einzelfällen bisher ein. Denn solange sie nur wenige Kontodaten erhielten, blieb es für die Staatsanwaltschaft schwierig, sie zu verfolgen. Das liegt an einer Besonderheit des Gesetzes.

Die Vorwürfe gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz, hier auf dem Weg ins Gericht, kamen erst durch Bankdaten ans Licht, die bei einem Journalisten landeten. Prompt ermittelt die Justiz.

Wenn einzelne Daten zum Beispiel von einem Sekretär oder einer Freundin des Bankers an Journalisten weitergegeben wurden – also von jemandem, der nicht unter Bankgeheimnis steht –, ist die Veröffentlichung vom neuen Gesetz nicht erfasst. Ein prominenter Einzelfall zeigt, warum die Staatsanwaltschaft in solchen Fällen Mühe hat.

Die Machenschaften des ehemaligen Raiffeisenchefs Pierin Vincenz kamen ans Licht, weil Banktransaktionen bei der Bank Julius Bär an den Journalisten Lukas Hässig gelangten, der in der Folge im Portal «Inside Paradeplatz» darüber schrieb. Am 29. November 2019 eröffnete die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich deswegen ein Strafverfahren gegen unbekannt wegen Bankgeheimnisverletzung.

Doch inzwischen hat sie das Verfahren unterbrochen. Die Staatsanwaltschaft hielt zwar fest, dass man dem Journalisten womöglich den «Vorwurf» der «Offenbarung eines Bankgeheimnisses» machen könne. Doch es sei ihm derzeit nicht nachzuweisen, dass er seine Daten von einem Insider habe.

Sollte dies den Ermittlern doch noch gelingen, ist es durchaus möglich, dass ausgerechnet der Journalist, der eine der grössten Wirtschaftsaffären der letzten Jahrzehnte ins Rollen brachte, angeklagt wird.

«Es ist für mich nicht klar, ob eine Vincenz-Story heute noch publik gemacht würde – weil für Journalisten seit 2015 doch ein beträchtliches Risiko einer Verfahrenseröffnung gegen sie besteht», sagt Strafrechtsexperte und Ex-Staatsanwalt Zollinger. «Die Medien gehören entgegen den Ausführungen im Parlament zu den Hauptbetroffenen dieser Gesetzesverschärfung.» Und das gelte erst recht, wenn – anders als bei Hässig – sehr viele Daten weitergegeben werden.

Denn bei einem massiven Leck mit Tausenden Konten aus einer Schweizer Bank wie bei den Suisse Secrets ändert sich die Lage der Journalisten grundlegend. «Wenn grosse Mengen von Daten nach aussen gelangen, die in jedem Fall innerhalb der Bank lagern, ist das Risiko noch einmal sehr viel höher», sagt Zollinger. Denn es sei evident, dass nur ein Insider so etwas beschaffen könne. «Und damit ist jede Weitergabe illegal.»