Weinbanken boomenSo wird in der Schweiz mit teuren Weinen gehandelt
Für die meisten Leute ist Wein ein Genussmittel, für manche ein Investment. Einblicke in eine Branche, die mit Tresoren und Börsen der Bankenwelt in nichts nachsteht.
Maurice Bridel zückt seine Karte. Die Tür geht auf, die Musik an, Lampen erleuchten die Weinbar. Der Gastronom eröffnete Anfang Monat die 13. Filiale des deutschen Unternehmens Wine Bank in der Berner Altstadt. Es ist die erste in der Schweiz, nächsten Herbst soll eine zweite in Zürich aufmachen. Die Wine Bank dient als Lagerort, exklusive Bar und Handelsplatz. Nur wer hier Wein lagert, hat Zugang zum Lokal. Man zahlt die Getränke mit Karte, der Wein sprudelt aus einem Automaten ins Glas. Oder man holt sich eine der eigenen Flaschen aus dem Schliessfach. Diese stehen im gekühlten Gewölbekeller. «In der Bar fühlt sich der Mensch wohl, im Lagerraum der Wein», sagt Bridel.
Hier stehen Weinflaschen in vergitterten Fächern. Ins kleinste passen 30 Flaschen. Das kostet 95 Franken im Monat. 72 Fächer sind vermietet. Neben teuren Jahrgängen, mit denen die Kunden Handel betreiben, entdeckt man auch einfachen Tafelwein. «Hierher kommt man vor oder nach dem Abendessen mit Freunden oder Kundschaft.» Der Wein findet in Bridels Weinbank stabile Bedingungen: 16 Grad und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit, 24 Stunden überwacht.
Die Wine Bank hat Mitstreiter, beispielsweise das Weinlager Laupen. Nicolas Stämpfli erweiterte 2019 das Familienunternehmen mit einem Tresor für Weine. Während gerade mal 10 Prozent seiner Kunden mit Wein handeln, wird sein Lager aus pragmatischen Gründen genutzt: «Die neuen Mietshäuser werden nicht mehr mit geeigneten Kellern gebaut.» Ein Kieselsteinboden sei wichtig, damit die Temperaturen im Winter und Sommer nicht allzu sehr schwanken.
Stämpfli sieht grosses Potenzial in seiner Geschäftsidee: Nächstes Jahr will er die Lagerfläche um das Doppelte ausbauen. Das kleinste Fach kostet 12.50 Franken Miete pro Monat und bietet Platz für bis zu 150 lose Flaschen. Wie viele Flaschen sich im Weinkeller befinden, will er aus Sicherheits- und Diskretionsgründen nicht verraten.
3 Millionen Flaschen – aber null Romantik
Üblicher als in der Deutschschweiz scheint dieser Geschäftszweig in der Romandie zu sein, dort existieren zwei riesige Lager, in denen Weinsammlungen deponiert sind. Dasjenige in Genf wird von Geneva Free Ports & Warehouses geführt und könnte der grösste Weinkeller der Welt sein: Dort sollen 3 Millionen Flaschen liegen. Die meisten haben ihre Besitzer noch nie gesehen, weil sie Investitionsobjekte sind.
Nicolas Stämpfli hat im Weinanbaugebiet Bordeaux erkannt, dass Engländer mit Wein viel aktiver Handel betreiben, als das hierzulande üblich ist. «Bei uns hat Wein noch immer diese romantische Seite», sagt er. Stämpflis Firma hat für den Handel eine Traderin angestellt, die die Kunden bei den Geschäften berät und die Weinpreise auf dem Markt beobachtet. Wer Flaschen verkaufen will, muss beweisen, dass der Wein bei richtigen Temperaturen und Bedingungen gelagert wurde. Das wird in einem digitalen Logbuch festgehalten.
Wie Wein gelagert werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander: Nicolas Stämpfli setzt auf 14 bis 15 Grad und 70 bis 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. «So entwickelt sich der Wein konstant und langsam weiter.» Anders bei der Plattform 1275collections.com, wo die Spekulationsobjekte bei 12 Grad und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit liegen.
Ein weiterer Schweizer Mitstreiter ist Splint Invest, wo 24’000 Nutzer online Handel betreiben. Das Start-up wurde 2022 von Aurelio Perucca und Mario von Bergen gegründet. Die Produktpalette ist breit: Autos, Handtaschen, Uhren, Pokémon-Karten, ganze Whiskey-Fässer – und eben Wein.
Die bekannteste Investitionsmethode dürfte der Kauf und Weiterverkauf von bestimmten Jahrgängen der bekannten Weingüter sein. Beispielsweise Château Mouton Rothschild, Petrus, Opus One oder Dom Pérignon.
Weinjournalist Yves Beck kennt sich aus mit grossen Jahrgängen. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Bordeauxweinen, bloggt für 65’000 Abonnenten und warnt vor illusorischen Renditewünschen. «Jahrgänge wie der exzeptionelle 1986 konnte man damals für 70 Franken kaufen. Das ist heute gar nicht mehr möglich.»
Auch Flaschen eines jungen Mouton Rothschild gelangen heutzutage nicht unter 500 Franken in den Verkauf. Deshalb seien diese riesigen Renditen nicht mehr möglich. «Wer 125 Franken oder 25 Prozent herausholt, hat einen guten Deal gemacht.»
Das weiss auch Aurelio Perucca, er setzt deshalb auf weitere Strategien: Einkaufen, bevor der Wein in Flaschen abgefüllt wird. Das nennt man «en primeur». «Hier hat man ein hohes Risiko, weil der Jahrgang noch keine Bewertungen hat», sagt der 35-Jährige.
Yves Beck sieht grosse Risiken bei dieser Investitionsart. Als Branchenbeobachter sagt er: «Die Winzer sind derzeit angespannt, weil viel weniger Wein getrunken wird.» Ein aktuelles Beispiel seien die Carmes-Haut-Brion-Weine. «Diese sind im Normalfall innert weniger Tage ausverkauft, dieses Jahr hingegen hat die Auktion mehr als zwei Monate gedauert, bis alles verkauft war.»
Die dritte Art, auf die Splint setzt, sind grosse Mengen. «Restaurants wollen Wein nicht mehrere Jahre lagern. Sie kaufen bei uns ein, nachdem wir den Wein bis zur Trinkreife gehütet haben.» Das dauert gut und gern sechs Jahre. Und Zeit ist bekanntlich Geld: Diese Hunderte von Flaschen sind gebundenes Geld. «Dieses Taschengeld, wie ich es nenne, muss man erst mal haben. Und darauf langfristig verzichten können», gibt Bordeaux-Experte Yves Beck zu bedenken.
Geschäft mit Gewinngarantie?
Alle bei Splint wollen Geld verdienen. Ein Rechenbeispiel: Wenn jemand 100 Franken Wein kauft, gehen davon bis zu 6 Prozent an Splint. Vom Gewinn bei einem Verkauf gehen noch einmal 2 Prozent weg. Ist Wein ein Geschäft mit Gewinngarantie, wenn man auf die richtigen Flaschen setzt? «Nein, Wein als Investment bringt Risiken mit sich. Wichtig ist, die Geschäftsbedingungen gut zu studieren und sicherzustellen, dass der Wein im Eigentum des Verkäufers ist», sagt Perucca.
Für den Handel und die Preisbestimmung zieht Splint erfahrene Experten bei. Wichtig sei auch die Londoner Weinbörse Liv-ex. «Als Käufer zieht man die Preise bei der Börse als Referenz bei, aber der Handel ist auch ausserhalb der Börse zulässig.» Beispielsweise helfe die Plattform Wine-Searcher, Preise zu vergleichen.
Ein Bericht, den Splint kürzlich veröffentlicht hat, zeigt Zahlen, die zurückgehen: «Während der Pandemie sind die Preise massiv angestiegen. Wir beobachten nun eine Normalisierung», sagt Aurelio Perucca. Das hingegen bezweifelt Bordeaux-Experte Beck stark. «Die Preise sind immer noch überhitzt.» Von einer Investitionsblase will Beck hingegen nicht sprechen. «Fallen die Preise zusammen, kann ich den Wein ja schlimmstenfalls immer noch trinken.»
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