AstraZeneca und die Corona-ImpfstoffeWas «Wirksamkeit» genau bedeutet
Nach einer Studie ist der AstraZeneca-Impfstoff in der öffentlichen Meinung tief gefallen. Dabei ist dieser alles andere als nutzlos, sagen Experten.
Der Impfstoff von AstraZeneca hat es derzeit schwer im Vergleich mit seinen Konkurrenten. Während die Hersteller Biontech und Pfizer oder Moderna mit einer Wirksamkeit von rund 95 Prozent prahlen können, musste sich das britisch-schwedische Produkt mit 70 Prozent begnügen. Das ist zwar immer noch gut und wäre noch im letzten Herbst euphorisch bejubelt worden, als man eine Wirksamkeit von über 90 Prozent noch ins Reich der Fantasie einordnete. Im Vergleich sieht es aber aktuell nicht mehr so gut aus. Für AstraZeneca kam es aber noch dicker: Zuerst warfen sich die Forscher mit Studienfehlern selbst Knüppel zwischen die Beine, und nun scheint er gegen die südafrikanische Variante zu versagen.
Die Schweiz hat 5,3 Millionen Dosen von AstraZeneca bestellt – eine Zulassung ist aber noch nicht in Sichtweite. Diese ist erst nach weiteren Studienergebnissen möglich, sagt Swissmedic, vermutlich werden diese im März vorliegen. Die Armeeapotheke rechnet allem Anschein nach aber derzeit gar nicht mit dem einstigen Hoffnungsträger – auf dem Lieferplan für 2021 fehlt er komplett.
Ist die einstige Nummer 3 hinter Biontech und Moderna also gescheitert? Eher Ja sagt Südafrika und hat AstraZeneca im Land gestoppt, weil der Impfstoff bei einer Gruppe von jüngeren Personen kaum vor milden Verläufen schützte. Eher Nein sagen Experten wie der deutsche Virologe Christian Drosten. Ein milder Verlauf könne beispielsweise Halsschmerzen bedeuten. Schütze der Impfstoff davor nicht, sei das vernachlässigbar – wichtig sei, dass er gegen schwere Verläufe nütze.
Schutz vor Husten oder Tod?
Lawrence Corey leitet in den USA mehrere klinische Studien zur Impfstoffwirksamkeit und bringt es in einem Beitrag im «Science»-Magazin auf den Punkt: «Wollen Sie einen Impfstoff, der Sie vor Husten schützt, oder wollen Sie einen Impfstoff, der Sie vor dem Tod bewahrt?» Den meisten Infektiologen gehe es nur um Letzteres. So wurde die Wirksamkeit des Johnson-&-Johnson-Impfstoffs bei 85 Prozent berechnet – vor schweren Verläufen oder dem Tod schütze er aber zu 100 Prozent. Für Lawrence ist das die wichtigere Zahl.
Wünschenswert wäre ein Impfstoff, der die weitere Verbreitung von Covid-19 verhindert. Das wird in Fachkreisen «sterile Immunität» genannt und ist für eine Herdenimmunität förderlich. Bei der «klinischen Immunität» schützt der Wirkstoff nur vor dem Ausbruch der Krankheit. Die Frage ist, was das Ziel der Impfübung sein soll: Ausrottung des Virus oder Schutz der Risikogruppen? In der Schweizer Strategie geht es derzeit nur um Letzteres, also den Schutz.
Somit gäbe es eigentlich keinen Grund, auf Impfstoffe zu verzichten, die Menschen vor schweren Verläufen, Spitalaufenthalten und lang anhaltenden Folgen schützen, nur weil diese möglicherweise nicht verhindern, dass die Krankheit weitergegeben wird. Das sieht auch Experte Christian Drosten so. Er sagt sogar, dass die Frage der Weitergabe erst in der Theorie geklärt sei. Selbst wenn bei Geimpften im Labor noch ein bisschen Virus auf den Schleimhäuten nachgewiesen werde, bedeute das noch lange nicht, dass sie auch weiter ansteckend seien. Ein Geimpfter werde das Virus eher weniger verbreiten als ein nicht Geimpfter.
Und auch der Virologe Hartmut Hengel von der Uniklinik Freiburg sagt der deutschen «Tagesschau», dass er sich «jederzeit mit dem AstraZeneca-Wirkstoff impfen lassen» würde, da ein Schutz gegen schwere Verläufe sehr wahrscheinlich sei.
Der Kreuzfahrtvergleich
Kommt dazu, dass viele Experten das Ende der Corona-Krise zumindest in naher Zukunft nicht in der Ausrottung von Sars-CoV-2 sehen. Wenn alle Menschen durch Impfung oder Erkrankung eine gewisse Immunität erreicht haben, wird es nur noch ein lokales Aufflammen geben, sagt beispielsweise der deutsche Epidemiologe Klaus Stöhr. Covid-19 könnte als harmlose Erkältung weiterexistieren, aber keine ernsthafte Bedrohung sein, da das Immunsystem der Betroffenen vorbereitet sei. Für dieses Ziel ist auch der AstraZeneca-Impfstoff nützlich.
Hier stellt sich wohl auch die Frage, wie man sich das künftige Leben vorstellt. Zum Beispiel eine Kreuzfahrt – man erinnere sich an den Diamond-Princess-Horror aus den Anfangstagen der Pandemie. Kreuzfahrtgesellschaften verlangen von ihren Passagieren künftig einen Impfnachweis. Aber müssen alle Passagiere auf dem Schiff eine «sterile Immunität» haben, damit sie das Virus nicht weitergeben können? Oder ist das egal, wenn sowieso alle Gäste geimpft und vor schweren Verläufen geschützt sind? Letztere Variante wäre sogar eine leichte Verbesserung gegenüber dem bisherigen Leben in einer Grippesaison.
Was bedeutet «95 Prozent Wirksamkeit»?
Es scheint somit klar, dass auch Impfstoffe die «weniger wirksam» sind, bei einem guten Schutz gegen schwere Verläufe ihren Beitrag zum Ende der Corona-Depression leisten können. Zumal «Wirksamkeit» sowieso ein etwas missverstandener Begriff ist. Denn dabei geht es nicht um das absolute Risiko, an Covid-19 zu erkranken, sondern um das relative. Sprich: Moderna schützt nicht 95 von 100 Menschen vor einer Ansteckung, sondern verringert das Ansteckungsrisiko um 95 Prozent.
Um das absolute Risiko zu berechnen, bräuchte es «Human Challenge»-Tests: Geimpfte müssten also wissentlich mit Sars-CoV-2 infiziert werden. So würde man erfahren, wie viele trotzdem angesteckt werden. Aus ethischen Gründen wird das nicht gemacht. Zur Anwendung kommen Vergleichsstudien: Eine Gruppe erhält den Impfstoff – eine gleich grosse Gruppe ein Placebo. Nachdem sich in der Placebo-Gruppe eine gewisse Anzahl Menschen mit Corona angesteckt hat, wird ein Zwischenfazit gezogen, und die Zahlen werden verglichen. Der Wert, wann es «genug» Infizierte gibt, wird so berechnet, dass aus den Daten mit statistischer Sicherheit Rückschlüsse möglich sind.
Bei Biontech war der Wert beispielsweise bei 162 Angesteckten in der Placebo-Gruppe erreicht. Im gleichen Zeitraum wurden 8 Geimpfte infiziert. Das entspricht rund 5 Prozent von 162. Mit dem Impfstoff wurden also 95 Prozent weniger Menschen infiziert.
Fiktives Beispiel zeigt wenig Ansteckungen
Ein Rechenbeispiel: In der Schweiz könnten mit den verfügbaren Dosen derzeit 403’000 Personen geimpft werden. Würden 5 Prozent davon trotzdem erkranken, wären das 20’150 Infizierte. Um aber korrekt zu berechnen, wie die Wirksamkeit gemeint ist, müsste man zuerst wissen, wie viele Personen ohne Impfung erkrankt wären. Das lässt sich natürlich nicht eruieren, höchstens theoretisch berechnen.
Klar ist, dass es in der Schweiz mindestens 532’000 nachgewiesene Ansteckungen gab, also waren mindestens 6,2 Prozent der Bevölkerung (8,65 Millionen) infiziert. Heruntergerechnet auf die 403’000 Personen, müssten sich mit diesem Wert also 24’770 von ihnen anstecken.
Wenn diese 403’000 nun geimpft sind und die Wirksamkeit 95 Prozent beträgt, werden nur noch 5 Prozent der errechneten 24’770 erkranken, also 1238 – wohl mit einem milden Verlauf. Mit der 70-prozentigen Wirksamkeit von AstraZeneca gerechnet, wären es mit dieser fiktiven Rechnung 7431 Angesteckte oder 1,8 Prozent der 403’000 Geimpften. Das Beispiel zeigt, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe wohl viel höher ist, als sich das viele vorstellen, wenn von «70 Prozent» gesprochen wird.
Zahlen aus Israel und Grossbritannien, wo schon ein grosser Teil der Bevölkerung geimpft ist, lassen sogar auf noch bessere Resultate hoffen, wie die ersten Erkenntnisse zeigen (mehr dazu: So gut wirken die Impfstoffe in der Realität).
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