Analyse zum Abschluss der Kanzler-TrielleWas alles nicht gesagt wurde
In der dritten TV-Debatte sah Olaf Scholz schon wie der sichere Sieger aus, Baerbock wirkte genervt – und Laschet scheint sich seinem Schicksal zu ergeben.
Was drei Wochen Wahlkampf nicht alles verändern können! In der ersten TV-Debatte deutete sich die neue Hierarchie zwischen dem Sozialdemokraten Olaf Scholz, dem Christdemokraten Armin Laschet und der Grünen Annalena Baerbock erst an. In der zweiten verfestigte sie sich. Und in der dritten, eine Woche vor der Wahl, wirkte sie nun bereits so gut wie unvermeidlich.
Scholz, der Favorit aller Umfragen, wirkte am Sonntagabend bei den deutschen Privatsendern Pro Sieben, Sat 1 und Kabel 1 für seine Verhältnisse schon fast gelöst, souverän, selbstbewusst, ja lebhaft. Selbst seine Ohren wahrten diesmal locker ihre Farbe. Laschet, der Scholz laut Demoskopen trotz vieler Mühen nicht näherkommt, argumentierte dagegen müde. Selbst zum Angriff musste er manchmal richtiggehend getragen werden.
Oder rührte Baerbocks Ärger eher daher, dass die Grünen in diesem Wahlkampf eine historische Chance verspielt haben?
Baerbock wiederum war früh genervt – worüber, war nicht so ganz klar. Über Laschet, gewiss, über dessen Argumente sie immer wieder lachte, und dem sie einmal sogar ein entsetztes «Ich frage mich, was mit Ihnen eigentlich los ist» entgegenblaffte, ohne dass ersichtlich wurde, worüber sie sich aufregte. Oder rührte der Ärger womöglich daher, dass die Grünen in diesem Wahlkampf eine historische Chance verspielt haben – und sie, Baerbock, von vielen, auch in der eigenen Partei, dafür verantwortlich gemacht wird?
Ebenfalls neu, wenigstens in dieser Deutlichkeit, war beim letzten Dreikampf, wie Scholz und Baerbock gemeinsam Front gegen Laschet machten und ganz offen für eine rot-grüne Koalition warben. Die CDU gehöre nach 16 Jahren Regierung unter Angela Merkel in die Opposition, forderte Baerbock am Ende der Sendung – und Scholz pflichtete ihr nicht nur bei, sondern fügte noch hinzu, dies sei offensichtlich auch der Wunsch der meisten Wählerinnen und Wähler. Dass Sozialdemokraten und Grüne nach der Wahl vom nächsten Sonntag voraussichtlich über keine Mehrheit verfügen werden, wirkte da allenfalls wie ein kleiner Schönheitsfehler.
Das Urteil des TV-Publikums fiel nach der letzten Debatte ziemlich ähnlich aus wie die beiden vorhergehenden Male: Laut einer Blitzumfrage des Forsa-Instituts fanden 42 Prozent der Befragten, Scholz habe den Redewettbewerb «gewonnen», 27 Prozent sagten das von Laschet, 25 Prozent von Baerbock.
Was bleibt also nach fast fünf Stunden Fernsehdebatte der drei Kandidaten? Abgesehen von Nuancen, Stimmungen und den genannten Gewichtsverschiebungen fiel auf, dass die Inhalte in allen drei Sendungen mehr oder weniger dieselben waren: Die grossen sozialen und wirtschaftspolitischen Fragen, der Klimaschutz, die Corona-Politik und die Themen Sicherheit und Digitalisierung überstrahlten alles andere.
Einige Themen wurden in den Debatten schmerzlich vermisst – und manche Parteien auch.
Gerade deswegen wurde zum Ende aber auch unüberhörbar, was in all diesen Debatten nicht gesagt wurde und nicht Thema war. Die prominenteste Abwesende war ohne Zweifel die Aussen- und Sicherheitspolitik. Ein, zwei Fragen zum Debakel der westlichen Mächte in Afghanistan – damit hatte es sich. Wie sich Deutschland künftig zu Russland oder China verhalten soll, wie zum immer unzuverlässigeren Verbündeten Amerika, wie Berlin die Europäische Union weiterentwickeln will, all diese epochalen Fragen kamen nicht zur Sprache.
Dabei hätten sich durchaus Unterschiede gezeigt. Weniger in der Europapolitik, in der Sozialdemokraten, Grüne und der deklarierte «Herzenseuropäer» Laschet näher zusammenliegen als auf anderen Gebieten. Was Russland, die Türkei oder China angeht, verfolgen die Grünen beispielsweise einen Kurs, der erheblich mehr Wert auf Menschenrechte legt als auf Handelsbeziehungen. Die Union wiederum will Deutschland, die EU und die Nato militärisch stärken, was den friedensbewegten Sozialdemokraten und Grünen eher suspekt ist.
Natürlich dominiert die Innenpolitik auch in anderen Wahlkämpfen als dem deutschen die mediale Debatte. Dass der aussen- und sicherheitspolitische Ideenwettbewerb aber ausgerechnet jetzt ausfällt, wo nach eineinhalb Jahrzehnten ein neuer Kanzler oder eine neue Kanzlerin gewählt wird, irritiert dann doch. Französische und angelsächsische Medien interpretieren den Ausfall zu Recht als Symptom: als andauernden Unwillen, in der Welt mehr Verantwortung zu tragen – obwohl die deutsche Politik ja gerade dies seit Jahren verspricht.
Noch ein anderes Thema, das laut Umfragen viele Wählerinnen und Wähler für eines der wichtigsten halten, fehlte in den Debatten fast vollständig: die Einwanderungs- und Asylpolitik. Die Alternative für Deutschland, deren wichtigster Mobilmachungsgrund das Thema ist, beschuldigte die Fernsehsender deswegen bereits, die Frage mit Absicht zu verschweigen. Um ein Komplott handelt es sich jedoch nicht, vielmehr hat sich während der Pandemie die Einwanderung nach Deutschland deutlich reduziert. Die ungelösten Fragen der Integration werden in der Bevölkerung aber trotzdem immer noch sehr kontrovers diskutiert.
Schliesslich lässt sich auch fragen, ob den Debatten nicht nur zusätzliche Themen, sondern auch weitere Parteien fehlten. Als im Frühling Union und Grüne in den Umfragen noch weit vorauslagen, diskutierten die TV-Sender, ob die traditionellen Debatten nur zwischen diesen beiden Parteien ausgetragen werden sollten – als Duell also, wie früher, nur diesmal ohne SPD. Beim heutigen Stand der Umfragen stellt sich eher die Frage, ob die Grünen bei der Debatte eigentlich noch zu Recht dabei sind. Oder, andersherum, warum nicht auch die FDP oder die AfD mittun, die nur noch um wenige Punkte hinter den Grünen zurückliegen.
Vor allem FDP-Chef Christian Lindner war bei den «Triellen» zuletzt so etwas wie der «unsichtbare Vierte». Um nach der Wahl eine Regierung zu bilden, kommt es auf seine Meinung jedenfalls mindestens so sehr an wie auf die von Annalena Baerbock. Und nicht nur Liberale fragen mittlerweile, ob der medial auf ein Trio zugespitzte Kampf um die Kanzlerschaft nicht eigentlich den Wettbewerb verfälscht.
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