Plagiatsvorwürfe gegen KanzlerkandidatinAuf einmal ist Annalena Baerbock eine Last
Die deutschen Grünen reagieren mit einer Mischung aus Trotz, Ärger und Panik auf die Fehler ihrer Kanzlerkandidatin. Die Umfragewerte sinken weiter.
Es ist noch keine drei Monate her, da hatte die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ihre Grünen in einen Höhenflug versetzt, den sich die Beteiligten selbst nicht hätten schöner malen können. Manche Medien und manche Grüne sahen die 40-Jährige schon als Nachfolgerin von Angela Merkel im Kanzleramt.
Dann kamen die Fehler: Erst stellte sich Baerbocks Lebenslauf als hochgeföhnt heraus, dann musste sie Nebeneinkünfte nachmelden, die vergessen gegangen waren, jetzt wirft ihr ein professioneller Plagiatsjäger vor, sie habe in ihrem im Juni erschienenen Buch «Jetzt» ganze Passagen aus dem Internet übernommen.
Die Glaubwürdigkeit der Kandidatin ist erheblich beschädigt. Laut Umfragen ist Baerbock weit hinter ihre Konkurrenten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) zurückgefallen. Gleiches gilt für ihre Partei. Diese liegt nun wieder bei 20 Prozent statt bei knapp 30, weit hinter den Christdemokraten und gemäss einer Umfrage nur noch knapp vor der SPD. Eine weitere Umfrage belegt sogar, dass zwei von drei Deutschen ihre Kandidatur mittlerweile für «einen Fehler» halten. Robert Habeck, der die Partei gemeinsam mit ihr führt, hatte ihr den Vortritt gelassen.
Eine belanglose Werbeschrift
Baerbocks Buch ist eine von einem Team und mithilfe des Schriftstellers Michael Ebmeyer eilig zusammengekleisterte und weitgehend belanglose Werbebroschüre für Kandidatin und Partei, die nun zur schweren Belastung wird. Der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber hat enthüllt, dass viele Passagen wortwörtlich aus fremden Quellen abgeschrieben waren.
Zuletzt listete Weber auf seinem Blog insgesamt 29 solche Stellen auf; die Prüfung läuft aber weiter. Unter den «Kopierten» sind grüne Politiker wie Jürgen Trittin oder das eigene Parteiprogramm, Medien wie «Süddeutsche», NZZ oder «Spiegel», aber auch Fachpublikationen.
«Niemand schreibt ein Buch allein»
Die Grünen reagierten heftig, sprachen von «Rufmord», engagierten einen bissigen Medienanwalt, drohten dem Plagiatsjäger mit Klage und schlossen jede Urheberrechtsverletzung kategorisch aus. Je mehr Stellen bekannt werden, umso schwerer ist aber diese Verteidigungslinie zu halten. Bei einigen der neuen Plagiate könnten durchaus Urheberrechte verletzt sein, meinen jetzt Experten. Dies ist dann der Fall, wenn die Stellen «persönliche» oder «originelle» Gedanken enthalten.
Baerbock selbst verteidigte sich, indem sie sagte, sie habe keine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit geschrieben, ja nicht einmal ein «Sachbuch», sondern nur zeigen wollen, was sie politisch bewege. «Niemand schreibt ein Buch allein.» Statt mit ihr um besseren Klimaschutz zu streiten, führten ihre Gegner lieber mit «Fake News» eine «Kampagne» gegen sie als Frau.
In der Partei haben Baerbocks Fehler Frust, Trotz, Sorge, teilweise sogar Panik ausgelöst. Nach aussen stehen die Grünen nach wie vor hinter ihrer Kandidatin, die in den eigenen Reihen sehr beliebt ist. Viele verteidigten sie, manche gingen auch zum Gegenangriff über und attackierten die politischen Kontrahenten oder konservative Medien.
Nach innen wachsen gleichzeitig Unruhe und Konsternation. Baerbock, zuvor für ihren Perfektionismus gerühmt, mache einfach zu viele Fehler, heisst es. Schuld daran sei nicht die Geschäftsstelle der Partei, sondern Baerbocks eigenes Team, das parallel arbeite. Dort wirken offenbar seit Februar persönliche Berater, die mit der restlichen Führung nichts zu tun haben. Sie wären für die Prüfung des Lebenslaufes ebenso verantwortlich gewesen wie für die des Buches. Über die Nebeneinkünfte wiederum hätte ihr Büro im Bundestag wachen müssen.
Habeck, der seine eigene Ambition für Baerbock zurückstellte, hatte diese bei früheren Fehlern stets verteidigt. Bei den Vorwürfen gegen ihr Buch hielt er sich nun auffällig zurück. Das kann auch damit zu tun haben, dass der 51-Jährige als Schriftsteller selbst 16 Bücher geschrieben hat, davon 4 über Politik. Aufgrund der Originalität seines Denkens und Tons sind ähnliche Vorwürfe gegen ihn jedenfalls schwer vorstellbar.
Kommt jetzt doch noch Habeck?
Dass die Grünen die Kandidatin Baerbock nun im letzten Moment doch noch gegen Habeck austauschen, wie es jetzt sogar eine Autorin der linken «Tageszeitung» fordert, ist wenig wahrscheinlich, aber nicht vollkommen ausgeschlossen – je nachdem, welche Fehler noch folgen. Eine unfreiwillige Rochade kurz vor der Wahl käme für die Grünen allerdings einem Fiasko gleich, das der Partei womöglich noch mehr schaden könnte als eine gefallene Kandidatin.
Für Baerbock selbst würde es danach vermutlich sogar schwer, in einer Regierung mit grüner Beteiligung noch Ministerin zu werden. Die Grünen haben sich mit ihrem euphorischen Entscheid vom Frühjahr an sie gekettet – im Guten wie im Schlechten.
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