Höhenflug der deutschen FDPIst er der Königsmacher – oder eine Geisel?
Ohne die Liberalen kann in Deutschland nach der Wahl schwer eine Regierung gebildet werden. Die Schwäche von CDU/CSU stürzt FDP-Chef Christian Lindner jetzt aber in ein Dilemma.
Die deutschen Liberalen haben keinen Kanzlerkandidaten, aber sie haben Christian Lindner. Auf den Wahlplakaten der FDP quer durch die Republik sieht man fast immer den smarten Parteichef: meist in Schwarzweiss, nachdenklich und mit dem Spruch: «Wie es ist, darf es nicht bleiben.»
Der 42 Jahre junge Lindner verleiht der FDP nicht nur ein Gesicht, er garantiert auch ihren Erfolg. Zweimal bereits hat er die Partei fast im Alleingang gerettet: 2017, als er sie nach vier Jahren ausserparlamentarischer Opposition eindrucksvoll in den Bundestag zurückführte. Und Ende 2020, als er sie mit hartnäckiger Kritik an der staatlichen Corona-Politik aus der Todeszone nahe der 5-Prozent-Grenze befreite.
Zehn Tage vor der Bundestagswahl liegt die FDP in den Umfragen bei 12 Prozent, nur noch vier Punkte hinter Annalena Baerbocks Grünen. Viele Wählerinnen und Wähler, die vom Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet enttäuscht sind, haben zuletzt bei den Liberalen Zuflucht gefunden. Weiterhin zieht die FDP viele Deutsche an, welche die im Vergleich zur Schweiz eher strengen Pandemiemassnahmen für überzogen halten.
Die meisten scheinen es vergessen oder Lindner verziehen zu haben, dass dieser 2017 die nächstliegende Koalition – und damit eine Regierungsbeteiligung seiner Partei – ohne Not ausgeschlagen hatte: das sogenannte Jamaika-Bündnis von CDU/CSU, Grünen und FDP. Diesmal, diesen Eindruck erweckt der Chef jedenfalls mit Erfolg, will die FDP aber auf jeden Fall mitregieren. Jede Stimme für seine Partei, so das Versprechen, soll die deutsche Politik nach dem Abschied von Angela Merkel liberaler machen.
Bis vor einem Monat ging Lindners Kalkül nahezu perfekt auf. Sein Freund Laschet, mit dem die FDP in Nordrhein-Westfalen regiert, habe die Wahl praktisch schon gewonnen, behauptete er landein, landaus. Aber man dürfe ihn jetzt keinesfalls allein mit den Grünen regieren lassen. Vielmehr sei eine möglichst starke FDP als Korrektiv nötig – und eine Jamaika-Koalition nach der Wahl.
Seit die Sozialdemokraten von Olaf Scholz die Union in den Umfragen überholt haben, hat sich die Lage freilich vollkommen verändert. Im Wahlvolk und in den Medien wächst die Erwartung, die FDP küre nach einem klaren SPD-Sieg Scholz zum Kanzler: durch eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Für Lindner und viele seiner Wählerinnen und Wähler ist die Ampel allerdings eine Schreckensvision. Was die Sozial-, Steuer-, Wirtschafts- und Pandemiepolitik angeht, schliessen sich die Programme von Rot-Grün und FDP praktisch aus. Steuererhöhungen und eine Aufweichung der Schuldenbremse lehnt Lindner kategorisch ab. Trotzdem will die FDP bislang – anders als 2009 und 2013 – eine Ampel nicht von vornherein ausschliessen.
Seine Skepsis kleidet Lindner in der Regel in die Worte, ihm fehle die «Fantasie», sich vorzustellen, welch attraktives Angebot «Herr Scholz» und «Frau Baerbock» der FDP machen könnten, damit diese Rot-Grün zur Macht verhelfe. Das Ziel seiner Partei sei es ja gerade, eine «Linksverschiebung der deutschen Politik» zu verhindern.
Das klingt mit Absicht eindeutiger, als es gemeint ist. Insgeheim bereitet es ein Narrativ vor, mit dem Lindner eine Ampel nach der Wahl sehr wohl rechtfertigen könnte. Die FDP könnte sagen, es gehe vor allem darum, eine Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei zu verhindern – aus staatspolitischer Verantwortung (die sie 2017 freilich noch schnöde verweigert hatte). Weil die Union derzeit so schwach sei, erzählt Lindner nun auf einmal, sei die FDP faktisch die neue Kraft von «Mitte und Mass». Und am Ende die einzige Partei, die verhindern könne, dass die linken Parteien Deutschland schadeten.
Was Lindner selbst will, weiss niemand. Vermutlich hofft er noch auf ein respektables Ergebnis Laschets, selbst wenn dieses wahrscheinlich nur zustande käme, wenn vor der Wahl viele Stimmen von der FDP an die Union zurückflössen. In diesem Fall könnte sich Lindner auch einem Wahlsieger Scholz verweigern – und stattdessen mit Laschet versuchen, eine Regierung mit den Grünen zu bilden.
Es kann gut sein, dass Lindner diesmal eher «schlecht regieren» muss als «gar nicht».
Wird Lindner nach der Wahl also der Königsmacher sein? Oder nicht vielmehr eine Geisel seiner Verweigerung von 2017? Viele glauben jedenfalls, seine FDP könne sich ein erneutes Abseitsstehen gar nicht leisten und müsse zur Not eher «schlecht regieren als gar nicht», um Lindners berüchtigten Satz von damals umzukehren.
Für den noch jungen Parteichef selbst wäre ein Ministeramt zudem ein logischer nächster Schritt. Lindner hat den Preis, den er persönlich für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei als angemessen betrachtet, bereits genannt: Deutscher Finanzminister wäre er allzu gern. Scholz würde diese Bedingung möglicherweise erfüllen. Bei Jamaika unter Laschet hingegen droht das zentrale Amt von einer anderen Partei als Belohnung eingefordert werden: von den Grünen, in der Person von Robert Habeck.
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