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Gewerkschaftschef zu EU-Verhandlungen
«Wir haben in wenigen Wochen mehr erreicht als während drei, vier Jahren davor»

Pierre-Yves Maillard, ein sozialistischer Nationalrat aus dem Kanton Waadt und Präsident der Union syndicale suisse, sitzt auf einem Tisch in einem Raum in Lausanne, aufgenommen am 11. August 2022.
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In Kürze:
  • Die Gewerkschaften haben mit Arbeitgebern dreizehn Massnahmen zum Lohnschutz vereinbart.
  • Der ausgehandelte Kompromiss sichert Angestellten von EU-Firmen Schweizer Lohnbedingungen zu.
  • Das Staatssekretariat vermittelte erfolgreich bei einem strittigen Punkt zum Kündigungsschutz.
  • Pierre-Yves Maillard mahnt zur Vorsicht bezüglich möglicher Änderungen im Parlament.

Es wurde kein Champagner serviert, als Wirtschaftsminister Guy Parmelin am Donnerstagmittag die Präsidenten der Sozialpartner bei sich empfing. Doch allen Anwesenden war bewusst: Das ist ein Meilenstein.

Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber haben sich darauf geeinigt, wie sie sicherstellen wollen, dass bei einer Annahme der neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU der Lohnschutz im Inland gewährleistet bleibt. Der Prozess dauert noch Jahre, an seinem Schluss steht eine Volksabstimmung. Ein Ja ist mit der jetzigen Einigung wahrscheinlicher geworden.

Die Sozialpartner haben sich unter Vermittlung des Staatssekretariats für Wirtschaft auf 13 Massnahmen geeinigt. Das Ziel ist, dass EU-Firmen, die Aufträge in der Schweiz erledigen, ihren Angestellten dafür die gleichen Bedingungen bieten wie die Konkurrenz im Hochlohnland Schweiz. Das betrifft vor allem den Bau.

Bereits Mitte Februar hatten sich die Verhandlungspartner grundsätzlich auf die groben Inhalte geeinigt. Seither haben sie die Gesetzestexte ausformuliert. Der Bundesrat wird diese im Mai in die Vernehmlassung schicken. Im Frühling 2026 wird er das gesamte Paket ans Parlament überweisen.

Die Massnahmen reichen von der Weiterentwicklung des Meldeverfahrens bis zur Tragepflicht eines Baustellenausweises. Auch ist eine Gesetzesanpassung geplant, die die Entsendebetriebe zum Bezahlen von Schweizer Spesen zwingt. In einem einzigen Punkt haben sich die Sozialpartner nicht auf eine Formulierung einigen können: Bei der Massnahme für einen verbesserten Kündigungsschutz für Personalvertreterinnen und -vertreter hat der Bundesrat den genauen Text bestimmt.

Am Freitag hat Bundesrat Parmelin die Resultate der Verhandlungen den Medien erklärt. Vor der Pressekonferenz hat diese Redaktion mit Pierre-Yves Maillard darüber gesprochen, Waadtländer SP-Ständerat und als Präsident des Gewerkschaftsbunds eine der Schlüsselfiguren der Verhandlungen.

Herr Maillard, Sie haben mit den Arbeitgebern eine Lösung gefunden. Unterstützen die Gewerkschaften jetzt das Vertragspaket mit der EU?

Dafür ist es noch zu früh. Aber wir haben einen grossen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Was fehlt noch?

Jetzt ist das Parlament an der Reihe. Wir müssen auch abwarten, welches Ergebnis der Bundesrat im Bereich des internationalen Bahnverkehrs und der staatlichen Beihilfen im Detail mit der EU erzielt hat. Zudem lehnen wir die volle Liberalisierung im Stromabkommen ab.

Aber dem innenpolitischen Teil können Sie jetzt schon zustimmen?

Ja. Das Verhandlungsergebnis der Sozialpartner zum Lohnschutzpaket im Inland ist geeignet, um die Rückschritte im Abkommen mit der EU aufzuwiegen. Beim Anlauf für ein Rahmenabkommen war der Lohnschutz als Ganzes bedroht. Darum waren wir zufrieden damit, als der Bundesrat den Prozess 2021 beendet hat. Jetzt haben wir eine Lösung verhandelt, die wir unterstützen können. Allerdings haben wir Sozialpartner mit dem Parlament in letzter Zeit schlechte Erfahrungen gemacht.

Sie sprechen die Reform der beruflichen Vorsorge an, bei der das Parlament den Kompromiss der Sozialpartner abgeändert hat. Sie bekämpften das Ergebnis, die Bevölkerung lehnte dieses im vergangenen Sommer deutlich ab. Verwenden Sie das jetzt als Drohung?

Nein, es ist nur eine Tatsache. Das Risiko existiert, dass das Parlament den hart erarbeiteten Mindestkonsens auch dieses Mal zerschlägt.

Warum?

Die Europa-Frage spaltet heute viele Parteien und die Wirtschaftsverbände. Aber spätestens bei der Volksabstimmung werden alle sich positionieren müssen.

Können Sie deutlicher werden?

Wenn das Parlament unser Paket aufschnürt und der Lohnschutz nicht gesichert ist, können wir es nicht mehr unterstützen. Dann können uns viele die Schuld für das Scheitern geben. Das ist die Gefahr.

Wen meinen Sie?

Es gibt viele Kreise, die sich hinter den Gewerkschaften verstecken wollen. Aber ich nenne keine Namen.

Bereits die Verhandlungen der Sozialpartner liefen harzig. Es war immer wieder von Störmanövern die Rede.

Das ist so. Wir erleben seit einigen Jahren, dass sogar in traditionellen Wirtschaftsverbänden die Sozialpartnerschaft infrage gestellt wird.

Sie meinen Stefan Brupbacher, Direktor des Techverbands Swissmem und Ex-Generalsekretär der FDP und von Bundesrat Johann Schneider-Ammann.

Es handelt sich nicht um eine einzelne Person. In den letzten Monaten kamen plötzlich Forderungen, die wir so noch nie erlebt hatten, und das zum schlechtesten Zeitpunkt für das EU-Dossier.

Das ist Teil des politischen Spiels.

Ich habe kein Problem damit, dass wir uns nicht am ersten Tag der Verhandlungen geeinigt haben. Ich spreche von Angriffen, die ausserhalb des eigentlichen Dossiers stattgefunden haben.

Zum Beispiel?

Angriffe auf allgemein verbindliche Gesamtarbeitsverträge, die bereits in Kraft sind. Angriffe auf Lohnbeiträge, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber für dessen Durchsetzung zahlen. Das ist alles ideologisch motiviert und schwächt die Sozialpartnerschaft, ein Erfolgsmodell der Schweiz. Ich hoffe, dass nun mit dem Sozialpartner-Kompromiss und den guten Verhandlungen der letzten Wochen eine neue Dynamik möglich ist. In den turbulenten Zeiten, in denen wir leben, ist eine gute Sozialpartnerschaft so wichtig wie gute Beziehungen mit der EU.

Sie waren auch kein Lamm. Während der Verhandlungen haben Sie die Zwischenergebnisse mehrmals öffentlich als unbrauchbar kritisiert.

Weil es damals stimmte. Als der Bundesrat kurz vor Weihnachten erste Punkte des Verhandlungsergebnisses verkündet hat, hat er immer noch nicht zugegeben, dass diese den Lohnschutz im Inland schwächen. Dann hat Staatssekretärin Helene Budliger interveniert und das erstmals öffentlich anerkannt. Danach haben wir in wenigen Wochen mehr erreicht als während drei, vier Jahren davor.

Über 80 Prozent der SP-Wählenden wollen dem Vertragspaket mit der EU laut einer neuen Umfrage zustimmen. Haben Sie mit Ihrer Kritik an der Basis vorbeipolitisiert?

Solche Zahlen sollten wir mit Vorsicht behandeln, da kommt es auf Details bei der Fragestellung an. Zudem sind die wichtigen Entscheidungen wie gesagt noch nicht gefallen. Die meisten Menschen werden sich erst entscheiden, wenn die Abstimmungskampagne läuft.

Die Umfrage zeigt auch einen Röstigraben, wie die NZZ berichtet hat. In der Romandie sehen deutlich weniger Menschen Vorteile im bilateralen Verhältnis zur EU als in der Deutschschweiz. Woran liegt das?

Es gibt dort mehr Regionen in Grenznähe, in denen der Druck auf die Löhne hoch ist. Darum ist ein starker Lohnschutz für die Europadiskussion so wichtig. Dazu kommt die Kaufkraftkrise: Die Mieten und Krankenkassenprämien steigen ohne Limit und erreichen in vielen Kantonen ein untragbares Niveau.

Anmerkung: In einer ersten Version dieses Artikels stand, die Sozialpartner hätten sich auf 14 Massnahmen geeinigt. Das stimmt nicht, es sind 13.