Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Staatssekretärin Budliger im Porträt
«Sister Helene» singt «Bella ciao»: Diese Frau stellt die Schweizer Wirtschaftsdiplomatie auf den Kopf

Alt text: Helene Budliger Artieda, Staatssekretärin für Wirtschaft der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Helene Budliger stieg 2022 überraschend zur neuen Staatssekretärin für Wirtschaft auf.
  • Bisher hat sie grosse Erfolge gefeiert – zum Beispiel ein Freihandelsabkommen mit Indien erfolgreich abgeschlossen.
  • Sie überzeugte die Gewerkschaften trotz anfänglichem Misstrauen durch intensiven Dialog.
  • Budliger wird für ihre unkonventionelle Herangehensweise gelobt.

Als Wirtschaftsminister Guy Parmelin im Mai 2022 Helene Budliger zur neuen Staatssekretärin für Wirtschaft ernennt, fallen die Urteile teils überrascht, teils vernichtend aus. «Selten hat ein Bundesrat so gedankenlos und schludrig eine der zentralen Führungspositionen in seinem Departement besetzt», kommentiert der «Nebelspalter». Parmelin habe «versagt». Kaum einer in der Wirtschaft kennt Budliger. Sie kommt aus einer anderen Welt, hat eine ungewöhnliche Laufbahn hinter sich. Auf dem Gebiet der Wirtschaftsdiplomatie hat sie keine nennenswerte Erfahrung.

Drei Jahre später sind die Zweifler verstummt. Budliger und ihr Staatssekretariat für Wirtschaft, kurz Seco, verbuchen gerade einen Erfolg nach dem anderen: Anfang dieser Woche ist Budliger nach Washington gereist und hat damit überraschend früh in Donald Trumps zweiter Amtszeit einen guten Kontakt zur US-Regierung hergestellt. Das Ziel ist, dass Trump die Schweiz aus seinem angekündigten Handelskrieg ausnimmt.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Am Donnerstagmorgen hat das Parlament das Freihandelsabkommen mit Indien angenommen, das die meisten Beobachter vor Budligers Amtsantritt für unerreichbar gehalten hattenen. Das Abkommen ist mit der Bestätigung des Parlaments wohl im Ziel. Den linken Parteien und ihnen zugewandten Organisationen ist ein Referendum offenbar zu wenig Erfolg versprechend.

Ebenfalls am Donnerstag empfängt Budliger zusammen mit ihrem Chef Parmelin die Präsidenten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, um deren Verhandlungen offiziell abzuschliessen. Diese haben über zwei Jahre lang Lösungen für den Lohnschutz im Inland gesucht, der durch die neu ausverhandelten Verträge mit der EU unter Druck kommen würde. Jetzt haben sich die Gewerkschaften und die Arbeitgeberorganisationen unter Vermittlung des Seco in fast allen Punkten auf Formulierungen geeinigt. Offiziell kommuniziert der Bundesrat am Freitag dazu.

Der Schlüssel zu diesen Erfolgen scheint ausgerechnet das zu sein, was viele Helene Budliger zu Beginn zur Last gelegt haben: dass sie von aussen kam.

Vertrauen zum Bundesrat und zu den Arbeitgebern aufbauen

«Helene Budliger arbeitet anders, als es sonst in der Verwaltung üblich ist», sagt Daniel Lampart, als Chefökonom des Gewerkschaftsbunds eine der Schlüsselpersonen der Verhandlungen um den Lohnschutz. Er meint das als Lob. Budliger gehe nach dem «System Radar» vor: «Sie redet und redet auf einen ein, macht Witze, setzt Attacken – und schaut, wie man reagiert. Wenn man nicht Nein sagt, fährt sie auf diesem Weg weiter.» Einige Beobachter nennen Budliger darum bereits die «blonde Badran». Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ist ähnlich wortgewaltig.

Budligers Aufgabe war es, auszuloten, wo zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber Überschneidungen bei den sogenannten flankierenden Massnahmen bestehen. Eine grosse Leistung war es, die Gewerkschaften überhaupt zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Roberto Balzaretti – der das 2021 gescheiterte Rahmenabkommen mit der EU verhandelt hatte – habe sich nie ernsthaft für den Lohnschutz interessiert, erzählt Lampart. «Das war ein Fehler. Deshalb ist er gecrasht.»

Budliger: «Bin bis heute neugierig»

Doch entscheidet sich an Details, ob eine Vermittlung in einem so komplizierten Feld erfolgreich ist. Budliger kniete sich in die Materie. Sie ging auf Baustellen, um Gewerkschaftern dabei zuzusehen, wie sie die Einhaltung der inländischen Mindestlöhne durch ausländische Firmen kontrollierten. Sie nahm eine Einladung der SP-Fraktion an eine Retraite an, erklärte dort ihr Vorgehen und gewann das Vertrauen der Parlamentarier. Und sie zeigte sich an Gewerkschaftsanlässen. Einmal hat sie sogar, so erzählen es Gesprächspartner, das Arbeiterlied «Bella ciao» mitgesungen, das dort ein Programmteil war.

«Ich habe keine Berührungsängste», sagt Budliger über sich selbst. «Es klingt ein bisschen altmodisch, aber ich finde, wenn ich so ein tolles Land wie die Schweiz vertrete, dann muss ich Interesse zeigen und darf mich nicht im Büro verschanzen. Ich sehe es als meinen grossen Vorteil, auch mit 59 Jahren noch sehr neugierig zu sein. Das ist zwar manchmal ein Problem für meine Mitarbeiter, die mich gern öfter im Amt sehen würden. Aber ich hatte mit meiner Art bisher immer Erfolg.»

Budliger tickt bürgerlich, ist aber keine Ideologin. Die intensive Überzeugungsarbeit bei der Linken scheint ihrem Ruf auf der Gegenseite nicht geschadet zu haben. Roland Müller, als Direktor des Arbeitgeberverbands einer von Daniel Lamparts Gegenspielern, lobt sie: «Sie will verstehen, wie die Dinge in der Praxis funktionieren. Dadurch ist sie in der Lage, in allen Details mitzureden und Positionen infrage zu stellen. Sie tut das direkt und offen, aber nie verletzend.»

Staatssekretärin Helene Budliger Artieda nimmt Unterlagen aus ihrer Handtasche vor einer Medienkonferenz des Bundesrates zum Lohnschutz in Bern am 19. Februar 2025.

Budliger kommt ursprünglich aus Dübendorf am Zürcher Stadtrand. Sie war knapp 20 Jahre alt und arbeitete im Genfer Hotel Rex, als sie an einem langweiligen Abend an der Rezeption eine Annonce des Aussendepartements in der Zeitung las: «Möchten Sie als Sekretärin im Ausland arbeiten?» Der «Aargauer Zeitung» erzählte sie später: «Eigentlich hatte ich mich fürs Hotelfach entschieden. Bei der Hotelfachschule Luzern war ich schon angemeldet.» Man könnte sie sich heute auch gut als hemdsärmelige Hotelmanagerin vorstellen. Doch das Zeitungsinserat veränderte ihr Leben.

Budliger arbeitet zuerst in den Schweizer Botschaften im chaotischen Nigeria und im kommunistischen Kuba, ab Mitte der 1990er-Jahre in Peru und Kolumbien. In Peru lernt sie beim Gleitschirmfliegen ihren Mann kennen, dessentwegen sie mit zweitem Nachnamen Artieda heisst. Wenn es ihr heute an hitzigen Sitzungen zu viel wird, droht Budliger manchmal im Scherz, sie ziehe bald zurück nach Peru: Dort habe sie immer noch eine Wohnung und einen Chauffeur.

In Kolumbien studiert sie, bereits über 30-jährig, das erste Mal an einer Universität: Weil die Sicherheitslage wegen des Drogenkriegs so schlecht gewesen sei, sei das soziale Leben sowieso flachgelegen, erzählt sie. Darum habe sie sich in Bogotá für Betriebswirtschaft eingeschrieben.

Der Abschluss ermöglicht Budliger den Aufstieg in der Berner Zentrale. Unter der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey wird sie stellvertretende Finanzchefin und später Chefin über die Ressourcen des Departements. Dort richtet sie vieles neu aus, stösst Altgediente vor den Kopf. 2015 wird sie Botschafterin, erst in Südafrika, ab 2019 in Thailand.

Freihandel mit Indien dank ungewöhnlichem Angebot

Als der Bundesrat 2022 die Stelle als Seco-Chefin ausschreibt, bewirbt sie sich. «Es hat nie jemand mit mir gerechnet, das hat einige gestört», blickt Budliger zurück. «Ich wurde von der Sekretärin zur Assistentin, dann von der ersten weiblichen Amtsdirektorin zur Botschafterin. Natürlich hat mir die Kritik der anderen jeweils keinen Spass gemacht. Aber das gehört jetzt zu mir. Ich wäre erschrocken, wenn ich beim Start im Seco Vorschusslorbeeren erhalten hätte.»

Parmelins Mut, sie erfahreneren Handelsdiplomaten vorzuziehen, hat sich ausbezahlt. Das Seco hat die riesigen Herausforderungen im Bereich der Sanktionen, die es nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kurz vor Budligers Amtsantritt durchlebte, ohne grössere Unfälle überstanden. Budliger betreibt eine neue Form der Öffentlichkeitsarbeit, indem sie Journalisten regelmässig zu Hintergrundgesprächen mit ihren wichtigsten Angestellten einlädt.

Der Abschluss mit dem Milliardenland Indien gelang Budliger mit einem ungewöhnlichen Angebot: Sie versprach Indien, dass Firmen aus der Schweiz und den anderen Efta-Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein in den nächsten 20 Jahren 100 Milliarden Dollar in Indien investieren.

Doch gilt nicht nur bei den Gewerkschaften, dass es für einen erfolgreichen Abschluss immer auch Vertrauen braucht: Siebenmal reiste Budliger nach Indien, um mit dem dortigen Handelsminister Piyush Goyal gute Beziehungen aufzubauen und ihn vom Deal zu überzeugen. Mittlerweile nennt Goyal sie «Sister Helene».

Die grösste Aufgabe steht ihr aber noch bevor: In den nächsten Jahren wird sie versuchen, die Schweiz aus Konflikten mit der Trump-Regierung herauszuhalten. Dem ersten Besuch in Washington werden weitere folgen. Nur auf einen Spitznamen sollte sie nicht hoffen: Donald Trumps Kreationen sind meistens abwertend bis beleidigend.