Nach Eklat um SVP-InitiativeMartullo-Blochers Rolle bei Economiesuisse gerät unter Beschuss
Die SVP kündigt den Dialog mit dem Wirtschaftsdachverband, bei dem die Ems-Chefin im Vorstand ist. Dort fragt man sich jetzt, ob sie bleiben kann.

- Der Wirtschaftsverband Economiesuisse kritisiert die SVP-Initiative als Gefahr für den Standort Schweiz.
- Die SVP-Führung bricht den Kontakt mit Economiesuisse ab, während Martullo-Blocher im Vorstand verbleibt.
- FDP-Nationalrat Simon Michel fordert ein Überdenken von Martullo-Blochers Position.
Die Konstellation sorgt für Irritation: «Ich verstehe nicht, wie man die Zusammenarbeit mit Economiesuisse abbrechen und trotzdem im Vorstand verbleiben kann, zumal Frau Martullo im Vorstand engagiert mitmacht», sagt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie gehört ebenfalls dem Führungsgremium des Wirtschaftsdachverbands an.
Was ist passiert? Economiesuisse positionierte sich diese Woche mit markigen Worten gegen die 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP. Diese sei «radikal», schade dem Wirtschaftsstandort und gefährde die bilateralen Verträge mit der EU. Economiesuisse betitelte das Volksbegehren gar als «eine Gefahr für die Schweiz».
Die SVP reagiert unwirsch auf diesen Angriff. Die Parteispitze hat kurzerhand beschlossen, den Austausch mit Economiesuisse zu beenden. Die regelmässigen Treffen, die einmal pro Session im Bundeshaus auf dem Programm standen, finden nicht mehr statt.
Ypsomed-Chef: «Martullo-Blocher nicht beste Besetzung»
Der Bruch mit der Wirtschaft ist insofern erstaunlich, als die Volkspartei einen direkten Draht in die Economiesuisse-Führungsetage hat. SVP-Vizepräsidentin und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher ist Mitglied des Vorstands. Wie SVP-Präsident Marcel Dettling im «Blick» sagt, wird sich die Chefin der Ems-Chemie nicht zurückziehen. Er verweist darauf, dass sie im Economiesuisse-Vorstand den Verband Scienceindustries vertritt.
Das Vorgehen ist umstritten. «Frau Nationalrätin Martullo-Blocher ist nicht die beste Besetzung für den Einsitz von Scienceindustries im Vorstand von Economiesuisse», sagt Simon Michel. Der FDP-Nationalrat sitzt auch im Führungsgremium des Wirtschaftsdachverbands und führt das Medizinaltechnik-Unternehmen Ypsomed.

Michel betont, dass für die Chemie- und Pharmabranche die Fortsetzung des bilateralen Wegs elementar und das europäische Forschungsprogramm Horizon von zentraler Bedeutung sei. «Doch Martullo-Blocher gefährdet mit ihrer Partei die Beziehungen zur EU.» Als Unternehmerin und Politikerin bringe sie durchaus einen Mehrwert im Vorstand von Economiesuisse, aber nicht als Vertreterin von Scienceindustries. «Vielleicht sollte Scienceindustries Frau Martullo-Blochers Vertretung im Vorstand von Economiesuisse überdenken.»
Martullo-Blocher war am Samstag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Es ist aber durchaus möglich, dass die Angelegenheit an der nächsten Vorstandssitzung von Economiesuisse, die kommende Woche stattfindet, zur Sprache kommen wird.
SVP-Aeschi: «Versprechen wurde gebrochen»
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi äussert sich nicht zur Personalie Martullo-Blocher. Dafür erklärt er den Dialogabbruch. «Economiesuisse hat der SVP wiederholt versprochen, eigene Konzepte zur Begrenzung der Zuwanderung von schlecht qualifizierten Personen sowie gegen den Asylmissbrauch zu unterbreiten», sagt Aeschi. «Dieses Versprechen wurde jetzt gebrochen, denn Economiesuisse will gar nichts gegen die masslose Zuwanderung unternehmen, obwohl seit Einführung der EU-Personenfreizügigkeit mehr als 1,5 Millionen Personen netto in die Schweiz eingewandert sind.»
Noch im Dezember sagte Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder in einem NZZ-Interview, dass die Schweiz die Möglichkeit haben müsse, die Zuwanderung selber zu steuern, «wenn diese die erträglichen Grenzen überschreitet». Die Zuwanderung in den vergangenen Jahren sei zu stark gewesen.
Mäder hat sich auf Anfrage nicht äussern wollen und auf eine Stellungnahme von Economiesuisse verwiesen. «Wir sind einigermassen erstaunt, dass die SVP den Dialog mit der Wirtschaft abbrechen will», heisst es darin. «Wir pflegen seit je mit allen Parteien einen konstruktiven Dialog, und unsere Türen stehen für den Dialog weiterhin jederzeit offen.»
Scienceindustries schiesst noch schärfer gegen SVP
Die SVP-Initiative verlangt, dass die Wohnbevölkerung nicht vor 2050 auf 10 Millionen steigen darf. Falls sie das doch tut, und das ist wahrscheinlich, müsste der Bund Massnahmen gegen die Zuwanderung ergreifen – je nach Konstellation wäre sogar eine Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU nötig. Der Bundesrat beschloss am Freitag, der Initiative keinen Gegenvorschlag entgegenzustellen.
Die Initiative stösst auch bei Scienceindustries auf erbitterten Widerstand. Gemäss einer Mitteilung des Verbands ist die «Kündigungsinitiative eine ernsthafte Bedrohung für den Standort Schweiz». Der Verband warnt, dass nach einer Annahme nicht nur die Personenfreizügigkeit, sondern auch sechs weitere bilaterale Verträge wegfallen könnten. «Das wäre ein massiver Schlag für den Export, den Forschungsstandort Schweiz und die internationale Wettbewerbsfähigkeit.»
SVP stellt Dialog mit der FDP nicht ein
Selbst die FDP hat diese Woche die SVP-Initiative scharf kritisiert. Parteichef Thierry Burkart sagte an einer Medienkonferenz, dass es «fahrlässig» wäre, in dieser unsicheren Zeit den bilateralen Weg zu verlassen. FDP-Ständerat Damian Müller warnte gar vor fehlenden Arbeitskräften. «Wegen der SVP hätten wir künftig geschlossene Küchen. Sie müssten das Bier wohl selber zapfen.»
Im Gegensatz zu Economiesuisse stellt die SVP den Dialog zum Freisinn jedoch nicht ein. «Die Aussagen von Thierry Burkart und der FDP, die das Volk durch die EU entmachten und nichts gegen die masslose Zuwanderung unternehmen wollen, stören mich nicht», sagt Thomas Aeschi. Trotzdem kann er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. «Die Quittung für diese Politik gegen den Schweizer Mittelstand und unsere Heimat wird die FDP bei den nächsten Wahlen erhalten.»
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