Reaktionen auf MigrationspaktEU verschärft Asylrecht – SVP will nicht mitziehen
Mit einer grossen Reform will Europa die Migration bremsen. Die Reaktionen in der Schweiz erstaunen. SVP und Grüne erwägen ein Referendum gegen die hiesige Umsetzung.

- Die EU plant neue Asylzentren an den Aussengrenzen mit beschleunigten Verfahren.
- Die Schweiz muss sich am EU-Migrationspakt beteiligen oder riskiert sonst den Dublin-Ausschluss.
- SVP sowie Grüne erwägen ein Referendum gegen die geplante Asylreform.
Die EU drückt aufs Tempo. Im Sommer 2024 verabschiedete sie den Migrationspakt, Mitte 2026 soll er umgesetzt werden. Mit der Reform will sie die Einwanderung nach Europa reduzieren. EU-Länder müssen künftig stark belastete Staaten mit der Übernahme von Asylsuchenden entlasten oder sich mit Finanzbeiträgen freikaufen. Von der Schweiz als Dublin-Mitglied wird erwartet, dass sie in einigen Bereichen mitarbeitet.
Gegenüber heute bedeutet die neue europäische Asylpolitik eine Verschärfung. Kern der Reform sind Zentren an den Aussengrenzen, in denen Asylsuchende mit geringen Aufnahmechancen quasi inhaftiert werden. Die Verfahren inklusive Rückführung sollen in sechs Monaten über die Bühne gehen, die EU will die Kooperation mit Herkunftsländern intensivieren. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe spricht von einer «massiven Verschärfung auf Kosten des Flüchtlingsschutzes».
SVP-Nationalrat Rutz äussert Zweifel am Modell
Dennoch lehnt die SVP die Beteiligung der Schweiz am EU-Migrationspakt ab. Dies, obwohl die Reform langjährige Anliegen der SVP aufnimmt, etwa die Auslagerung von Asylverfahren an die Grenze oder in andere Länder. Die Angelegenheit sei für die Schweiz «bürokratisch und kostspielig», die Schweiz müsse ihre Landesgrenzen «souverän, einseitig und unabhängig» kontrollieren.
«Wir begrüssen zwar, dass die EU in der Asylpolitik eine härtere Gangart einlegt», sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Doch er bezweifle, dass das Modell wirklich funktioniere. «Bei der Einführung von Schengen-Dublin 2005 wurde uns versprochen, dass Asylsuchende lediglich im Erstland ein Gesuch stellen können. Wäre dem so, hätte die Schweiz schon lange keine Asylgesuche mehr.» Der «sogenannte Solidaritätsmechanismus» im Migrationspakt mache alle anderen Bemühungen nutzlos. Die SVP werde sich mit der Vorlage eingehend beschäftigen, ein Referendum sei nicht ausgeschlossen, sagt Rutz.
Grüne: «Massive Verletzung der Grundrechte»
Auch die linke Seite tut sich schwer. Die Grünen sprechen von einer massiven Verletzung der Grundrechte. «Wir weisen die Bundesratsvorlage in der vorliegenden Form zurück», sagt Nationalrat Balthasar Glättli. «Es ist wie in der Drogenpolitik: Repression und Abschreckung allein bringen keine Lösung, sondern vergrössern das Elend.» Die Schweiz dürfe nicht nur Verschärfungen der EU übernehmen, sondern sie müsse sich der EU auch dort anpassen, wo dies für die Geflüchteten Verbesserungen bringe, etwa beim Schutz von Kriegsflüchtlingen. «Sollte dies abgelehnt werden, gehe ich davon aus, dass die Grünen ein Referendum gegen die Vorlage unterstützen.»
Angesprochen auf den Widerspruch, dass die Grünen einen EU-Beitritt zum Ziel haben, sagt Glättli: «Die EU ist bei weitem nicht perfekt, aber im Vergleich zur chinesischen Diktatur oder Trumps Broligarchie gelten in der EU Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit noch etwas.»
Die SP befürwortet die Beteiligung der Schweiz an dem Pakt mit Widerwille – immerhin helfe die Schweiz bei den «negativen Auswirkungen» des Migrationspakts nicht mit. FDP, Mitte und GLP befürworten das Vorhaben des Bundesrats vollständig.
Was bewirkt der Migrationspakt?
Schnelle Verfahren an den EU-Aussengrenzen, in grossen Verfahrenszentren, etwa in Italien oder Griechenland. Diese Verfahren sind vorgesehen für Asylsuchende, die die Behörden vorsätzlich täuschen, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen oder geringe Chancen auf Asyl haben. Letzteres ist der Fall, wenn die Schutzquote unter 20 Prozent liegt. Dies trifft zurzeit etwa auf Asylsuchende aus den Maghrebstaaten zu.
Während des Verfahrens dürfen die Betroffenen die Zentren an den Grenzen nicht verlassen. Formell werden diese Asylsuchenden gar nie in den EU-Raum eingewandert sein und sollen bei einem negativen Entscheid direkt abgeschoben werden.
EU-weit sollen zu Beginn 30’000 Plätze für diese Schnellverfahren zur Verfügung stehen. Da die Verfahren in längstens 12 Wochen entschieden und die Abschiebung innerhalb weiterer 12 Wochen erfolgen soll, ergibt das Platz für 60’000 Asylsuchende pro Jahr. Die Kapazität der Zentren wird sukzessiv erhöht.
Diese 60’000 Asylsuchenden sind nur ein kleiner Teil des gesamten europäischen Asyl-Aufkommens von rund 1 Million Gesuchen pro Jahr (2023). Es wird somit auch ab 2026 weiterhin viele Asylsuchende geben, deren Verfahren gemäss den Dublin-Regeln in den einzelnen Ländern abgewickelt werden. Neu gilt die Zuständigkeit des Erst-Aufnahmestaats während dreier Jahre (bisher eineinhalb Jahre). Damit wird das Untertauchen unattraktiver.
Die EU-Staaten leisten mit der Übernahme von Asylsuchenden oder mit einer Freikaufsumme von 20’000 Euro pro Person einen Solidaritätsbeitrag. Für die Schweiz ist die Beteiligung am Solidaritätsmechanismus freiwillig.
Die Schweiz steht unter Druck
Faktisch hat die Schweiz wenig Spielraum. Beteiligt sie sich nicht am EU-Migrationspakt, fliegt sie aus dem Schengen-Dublin-Verbund raus. Bisher hat sie von der Mitgliedschaft unter dem Strich profitiert: In den vergangenen 15 Jahren konnte die Schweiz rund 40’000 Asylsuchende an Dublin-Länder überstellen und musste im Gegenzug nur 12’000 von anderen Staaten übernehmen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Schweiz dank der Dublin-Mitgliedschaft rund 270 Millionen Franken Asylkosten jährlich spart.
Ein Ausschluss hätte laut den Schweizer Migrationsbehörden weitreichende Folgen. Die Zahl der Asylgesuche könnte sich erhöhen, so wie es in Grossbritannien nach dem Brexit geschehen ist. Auch hätte die Schweiz keinen Zugriff mehr auf die europäischen Sicherheits- und Informationssysteme und könnte etwa nicht in Erfahrung bringen, ob ein Asylsuchender in der EU bereits abgewiesen wurde.
National- und Ständerat werden die Gesetzesänderungen voraussichtlich in der Sommer- und der Herbstsession beraten. Danach läuft die Referendumsfrist. Eine Volksabstimmung über die Anpassungen an den EU-Migrationspakt könnte im Juni 2026 stattfinden.
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