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Widerstand gegen 10-Millionen-Initiative
«Da können Sie im Spital lange klingeln» – Jans warnt vor Fachkräftemangel

Bundesrat Beat Jans und Vincenzo Mascioli bei einer Medienkonferenz zur Volksinitiative ’keine 10 Millionen Schweiz’, Bern, 21. März 2025.
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In Kürze:
  • Die SVP will mit der Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» die Zuwanderung begrenzen.
  • Der Bundesrat sieht bei einer Annahme den Wohlstand der Schweiz gefährdet.
  • Economiesuisse rechnet mit einem Mangel von 297’000 Vollzeitstellen nach der Pensionierung der Babyboomer.

Wer kürzlich im Spital gewesen sei, wisse es: «Ohne das Personal aus Deutschland oder Frankreich können Sie lange klingeln.» Das sagte Bundesrat Beat Jans am Freitag vor den Medien, als er die Argumente des Bundesrates gegen die SVP-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» erläuterte. Seine Botschaft: Das Gesundheitssystem würde ohne Zuwanderer zusammenbrechen.

Der Bundesrat warnt davor, dass der Fachkräftemangel mit der demografischen Entwicklung zunehmen wird. «Es gibt Leute, die sagen, dass sich die Zuwanderungsdebatte noch verändern wird», sagte Jans. Er deutete damit an, dass plötzlich nicht mehr volle Züge, sondern lange Wartezeiten auf Arzttermine das grosse Thema sein könnten. Der Bedarf nach Arbeitskräften werde in den nächsten Jahren stark steigen, sagte Jans.

Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse macht darauf aufmerksam. Nach seinen Berechnungen werden mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt in zehn Jahren rund 297’000 Vollzeitbeschäftigte fehlen. Wolle die Schweiz die Wohlstandsentwicklung der letzten Jahre fortschreiben, bräuchte sie aber 163’000 zusätzliche Vollzeitbeschäftigte, schreibt der Verband. Er kündigt an, die Wirtschaft werde die Initiative «entschlossen» bekämpfen.

Initiative gefährde laut Bundesrat den Wohlstand

Die SVP fordert, dass die Bevölkerung der Schweiz die Grenze von zehn Millionen Einwohnern nicht vor dem Jahr 2050 überschreiten darf. Andernfalls müsste die Schweiz das Abkommen zur Personenfreizügigkeit mit der EU kündigen. Das steht nicht zum ersten Mal zur Debatte: 2014 nahm das Stimmvolk die Masseneinwanderungsinitiative knapp an, die das Parlament allerdings nicht nach dem Geschmack der SVP umsetzte. 2020 wurde die Begrenzungsinitiative mit ähnlichem Anliegen deutlich abgelehnt.

Vor der ersten Abstimmung hatte der Bundesrat noch vor steigender Arbeitslosigkeit gewarnt. Vor der zweiten war der Fachkräftemangel bereits ein wichtiges Argument. Diesmal könnte er nun im Vordergrund stehen. In seiner Botschaft ans Parlament schreibt der Bundesrat, er lehne die Initiative ab, weil sie den Wohlstand gefährde und den bilateralen Weg mit der EU aufs Spiel setze.

Mehr Asylgesuche nach Brexit

Würde die Initiative angenommen, müsste die Schweiz das Freizügigkeitsabkommen mit der EU kündigen, wenn die 10-Millionen-Grenze überschritten wird. Das verlangt die SVP diesmal explizit. Damit wäre laut dem Bundesrat auch die Teilnahme der Schweiz am Schengen/Dublin-System gefährdet. Einen Automatismus gibt es zwar nicht. Die EU nehme aber eine politische Verknüpfung vor, erklärte Vincenzo Mascioli, der Staatssekretär für Migration. 

Wäre die Schweiz nicht mehr Teil des Schengen/Dublin-Systems, würde sie zur Schengen-Aussengrenze. Mascioli wies auf die Erfahrungen Grossbritanniens hin. Dort habe sich die Zahl der Asylgesuche nach dem Brexit verdreifacht. Jans sagte, das Asylsystem würde teurer, und die Schweiz wäre von Sicherheitsinformationen abgeschnitten.

Weniger klar ist, welche Verträge sonst noch wegfallen würden oder gekündigt werden müssten – und was die Folgen wären. Im Initiativtext steht, dass «bevölkerungswachstumstreibende» Abkommen neu verhandelt oder gekündigt werden sollen. Der Bundesrat schreibt, damit müssten «voraussichtlich» auch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention gekündigt werden. 

Das Ende des bilateralen Weges

Sicher ist: Bei einer Annahme der Initiative würden sich die weiteren Diskussionen über das neue Vertragspaket mit der EU erübrigen. Ausgehandelt hat die Schweiz auch eine präzisierte Schutzklausel. Damit könnte sie an ein Schiedsgericht gelangen und Massnahmen ergreifen, wenn die Zuwanderung zu schwerwiegenden Problemen führt. In welchen Fällen sie das tun würde, ist noch nicht bekannt. Jans sagte aber, man könne die Schutzklausel durchaus als eine Art Gegenvorschlag zur SVP-Initiative verstehen.

Im technischen Sinne gibt es keinen Gegenvorschlag. Der Bundesrat verzichtet darauf, weil er das Kernanliegen der Initiative nicht teilt. Negative Auswirkungen der Zuwanderung wie die Wohnungsknappheit will er mit den sogenannten Begleitmassnahmen bekämpfen. So will er etwa mehr Geld für den gemeinnützigen Wohnungsbau ausgeben und die Bedingungen verschärfen, unter welchen Personen im Ausland Immobilien in der Schweiz kaufen können. 

Zur Abstimmung gelangt die Initiative frühestens in einem Jahr. Mit ziemlicher Sicherheit wird das Stimmvolk darüber entscheiden, bevor es sein Urteil über das neue Vertragspaket mit der EU fällt. Jans sieht die Schweiz vor einem Grundsatzentscheid: «Entweder wir beenden den bilateralen Weg, wie das die Initiative will. Oder wir stabilisieren den bilateralen Weg und entwickeln ihn weiter, wie das der Bundesrat will.»