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Meinung

Leitartikel zur Europapolitik
Und die Schweiz kann es doch

Bundesrat Guy Parmelin und Staatsekretärin Helene Budliger Artieda bei einer Medienkonferenz zum Lohnschutz in Bern am 21. März 2025.
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Die Temperaturen steigen, auf den Wiesen blühen die Krokusse. Ein wenig Frühling war am Freitag auch im stickigen Konferenzsaal des Bundeshaus-Medienzentrums zu verspüren. Der Bundesrat hat dort zwei wichtige Beschlüsse kommuniziert. Justizminister Beat Jans (SP) legte dar, wie man die Volksinitiative der SVP gegen die «10-Millionen-Schweiz» bekämpfen will. Und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) gab die Massnahmen bekannt, mit denen das neue Paket von Verträgen zwischen der Schweiz und der EU innenpolitisch abgesichert werden soll. In Kombination stehen die beiden Entscheide dafür, dass die Schweiz bei der Europapolitik endlich aus ihrer langjährigen Winterstarre erwacht.

Bei der SVP-Initiative verzichtet der Bundesrat darauf, einen Gegenvorschlag zu lancieren; er regt lediglich ein paar Kleinreformen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Wohnungswesen und Asyl an. Diese Zurückhaltung erscheint auf den ersten Blick gewagt, zumal die SVP mit der Initiative einmal mehr versucht, Unmut des Volks über die Zuwanderung abzugreifen. 

Eine Abwehrwaffe, die oft versagt

Tatsächlich aber sind Gegenvorschläge als Abwehrwaffen eine trügerische Angelegenheit; die Taktik, mit ihrer Hilfe unerwünschte Volksinitiativen zu verhindern, ist in der Vergangenheit oft gescheitert. Es erstaunt daher, dass die Mitte-Partei nun ankündigt, im Parlament einen Gegenvorschlag einzubringen. Die Mehrheit sollte hier standhaft bleiben.

Denn ein Gegenvorschlag wäre auch inhaltlich falsch. Gegenvorschläge sind dazu da, im Kern berechtigte Anliegen von Initiativkomitees in entschärfter Form umzusetzen. Das SVP-Begehren mit dem verschleiernden Titel «Nachhaltigkeitsinitiative» will verhindern, dass mehr als zehn Millionen Menschen in der Schweiz leben. Es zielt hierzu auf eine Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit auf den Abriss des bilateralen Vertragskonstrukts mit der EU – ein altes Herzensanliegen der SVP. Ihr hierbei mit einem Gegenvorschlag zu sekundieren, wäre ein verqueres Signal. Richtig ist das Gegenteil: Die Schweiz sollte in ihrem Verhältnis zur EU endlich für wahrhaftige «Nachhaltigkeit» sorgen.

Das Resultat zäher Verhandlungen

Darum sind die weiteren Beschlüsse wichtig, die der Bundesrat am Freitag getroffen hat. Mit insgesamt vierzehn Massnahmen will er das Niveau der Schweizer Löhne absichern – und so stabile politische Mehrheiten für das neue Vertragspaket mit der EU schaffen. Dreizehn dieser Massnahmen gehen auf eine Einigung zwischen Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden zurück. Sie sind das Resultat zäher Verhandlungen und sehen unter anderem verbesserte Kontrollen bei Dienstleistern aus dem Ausland und eine Stärkung der Gesamtarbeitsverträge vor.

Zwar wird die vom Bundesrat hinzugefügte Massnahme Nummer 14, ein verschärfter Kündigungsschutz für bestimmte Personengruppen, noch zu reden geben. Denn die Gewerkschaften sind damit zufrieden, die Wirtschaftsverbände lehnen sie ab. Insgesamt jedoch ist den Beteiligten ein Kunstwerk helvetischer Kompromisskultur geglückt.

Gefordert sind nun die Parteien. Gewiss stehen die Chancen gut, den neuen SVP-Angriff auf die Personenfreizügigkeit abzuwehren: Es droht kein gröberer Dissens unter den Gegnern der Initiative. Namentlich die FDP kontert die Schlagbaum-Rhetorik der SVP neuerdings überaus markig.

Obsiegen die Bedenkenträger?

Viel weniger entschlossen wirken die Parteien bei den Bilateralen. Der erwähnte Kündigungsschutz wird beileibe nicht der einzige Streitpunkt bleiben: In Teilen der bürgerlichen Parteien kursieren grundlegende Bedenken gegen die institutionellen Mechanismen, die von der Schweizer Diplomatie mit der EU ausgehandelt wurden. Man fürchtet einen Verlust an Souveränität, man zweifelt an der Notwendigkeit einer vertieften Integration.

Vielleicht aber wirkt der konstruktive Geist, der das Zusammenwirken von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Bundesverwaltung in den letzten Monaten kennzeichnete, für das Parlament inspirierend. Und vielleicht stärkt die gegenwärtige Disruption auf globaler Ebene die Einsicht, dass es zu vertiefter Partnerschaft mit Gleichgesinnten und einer Stärkung der Rechtssicherheit keine sinnvolle Alternative gibt.

Die Schweiz jedenfalls, in den letzten Jahren oft als kraftlos und gelähmt hingestellt, zeigt sich aktuell handlungsfähiger als auch schon – und vor allem handlungsfähiger als viele Nachbarn. Mutmacher wie an diesem Freitag können wir gut gebrauchen.