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Vertrag mit Indien unterzeichnet
Die Schweiz kauft sich für 100 Milliarden ein Freihandels­abkommen

#India 🇮🇳and #EFTA States 🇮🇸🇱🇮🇳🇴🇨🇭 just signed the Trade and Economic Partnership Agreement (#TEPA) after 16 years & 21 rounds of negotiations! This will be India's 1st trade agreement with European partners, opening a new era of economic cooperation 🤝

https://twitter.com/DefrWbf/status/1766724070219911364/photo/1
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Guy Parmelin ist gelungen, woran seine Vorgänger Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard gescheitert sind: Er hat die Verhandlungen mit Indien über ein Freihandelsabkommen, die vor 16 Jahren initiiert wurden, zu Ende gebracht.

Der Schweizer Wirtschaftsminister hat das 70-seitige Papier am Sonntag in Delhi unterschrieben. Ebenfalls unterzeichnet haben einerseits die zuständigen Minister der anderen Länder der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta), nämlich Norwegen, Island und Liechtenstein, und Indien andererseits. Am Montagmorgen präsentierte Parmelin den Vertrag zusammen mit Wirtschaftsvertretern in Bern den Medien. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

Was sind die Eckpunkte des Vertrags?

Indien verpflichtet sich, über die nächsten Jahre die Importzölle von über 95 Prozent aller Industrieprodukte aus den Efta-Ländern entweder zu streichen oder deutlich zu senken. Bisher betragen diese zwischen 8 und 22 Prozent. Schweizer Produkte, die aufgrund des starken Frankens im internationalen Vergleich teuer sind, werden so in Indien um bis zu ein Fünftel günstiger.

Mit weniger als zwei Milliarden Franken pro Jahr machen die Exporte nach Indien heute weniger als ein Prozent aller Schweizer Ausfuhren aus; das ist ein Achtel der Exporte nach China. Da Indien mit seiner Bevölkerung von 1,4 Milliarden als Markt der Zukunft gilt, dürfte dieser Wert in den nächsten Jahren deutlich steigen.

Was hat Indien davon?

Weil die Schweiz auf Anfang dieses Jahres ihre Industriezölle für alle Handelspartner abgeschafft hat, konnte sie Indien diesbezüglich keine Verbesserung anbieten. Stattdessen bietet sie Indien Geld beziehungsweise Investitionen von Privaten: Innert 15 Jahren sollen aus den Efta-Ländern 100 Milliarden Dollar in die indische Wirtschaft fliessen und damit eine Million Arbeitsstellen geschaffen werden.

Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel: Heute belaufen sich die Direktinvestitionen aus den Efta-Ländern in Indien auf gut zehn Milliarden Franken. Für acht davon sind Schweizer Investoren verantwortlich – sie dürften auch den Löwenanteil der angepeilten 100 Milliarden stemmen.

Die Hoffnung ist, dass ähnlich wie bei früheren Abkommen auf einen Abbau von Zöllen der Aufbau einer eigenen Produktion im Land folgt. Werden die Ziele nicht erreicht, kann Indien im Extremfall die Handelsbeschränkungen wieder aufbauen.

Darüber hinaus wird unter anderem der Familiennachzug für indische Kaderangestellte in der Schweizer erleichtert. Zudem garantiert die Schweiz den Schutz des geistigen Eigentums zum Beispiel bei gewissen Reissorten und erlässt indischen Exporteuren die Zölle auf gewisse Früchte und Gemüsesorten. Bis auf diese Ausnahmen betrifft das Abkommen die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten nicht direkt.

Wer sind die Gewinner und Verlierer in der Schweiz?

Vor allem die Maschinenindustrie freut sich über den zollfreien Handel. Sie exportiert so viel wie keine andere Branche nach Indien, nämlich jährlich Güter im Wert von knapp einer Milliarde Franken. «Das Abkommen ist für Schweizer Hersteller zum Beispiel von Werkzeugmaschinen, elektrotechnischen Anlagen und Präzisionsinstrumenten ein willkommener Turbo», sagte Martin Hirzel, Präsident des Verbands der Techindustrie, Swissmem, am Montagmorgen. Seiner Branche gehe es im Moment aufgrund der weltweit abkühlenden Wirtschaft nicht gut; da sei das nun verhandelte Abkommen ein Lichtblick.

Weniger begeistert ist dagegen die Pharmaindustrie, die im Handel mit den meisten anderen Ländern die wichtigste Schweizer Exportbranche ist. Sie hätte sich einen stärkeren Schutz des geistigen Eigentums bei ihren Produkten gewünscht; dieses Ziel haben die Schweizer Unterhändler nur teilweise erreicht. Indien ist einer der wichtigsten Produktionsstandorte für Generika, also Nachahmermedikamente; in der Vergangenheit war es wiederholt zu Patentstreitigkeiten zwischen Schweizer Herstellern und indischen Generikafirmen gekommen.

Für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern hingegen wird sich trotz der genannten Importerleichterungen für indische Landwirtschaftsprodukte wenig ändern: Der Vertrag mit Indien geht diesbezüglich nicht über bereits bestehende Freihandelsabkommen hinaus, tastet also zum Beispiel den Grenzschutz für Fleisch und Milch oder Gemüse und Früchte innerhalb der Anbauperiode nicht an. Dagegen senkt Indien die Zölle für gewisse Schweizer Produkte, unter anderem Wein.

Warum dauerten die Verhandlungen so lange?

Bisherige Versuche scheiterten jeweils an unterschiedlichen Vorstellungen betreffend das geistige Eigentum, das insbesondere für die Pharma-, aber auch die Uhrenbranche entscheidend ist. In den letzten Jahren jedoch hat diesbezüglich in Indien ein Umdenken stattgefunden: Neben Generika will Indien künftig auch selbst innovative Produkte herstellen – dafür ist ein hoher Patentschutz entscheidend. Dass Parmelin und nicht seine Vorgänger das Abkommen unterschreiben durfte, verdankt er also vor allem äusseren Umständen.

Die Schweiz und die anderen Efta-Staaten haben mit ihren Unterschriften vom Sonntag schwergewichtige Konkurrenten ausgestochen: Seit Jahren verhandeln auch das Vereinigte Königreich und die EU mit Indien. In den letzten zwei Jahren jedoch überholte die Efta-Verhandlungsdelegation – angeführt von der Schweiz – diese: Offenbar konnte sie die Inder überzeugen, dass sich die kleinere und wirtschaftlich weniger komplexe Efta besser als erster Freihandelspartner im Westen eignet.

Bei der Volksabstimmung über das Abkommen mit Indonesien 2021 war die Nachhaltigkeit das wichtigste Thema. Und jetzt?

«Damals drehte sich alles nur ums Palmöl», sagte der Schweizer Verhandlungsführer Markus Schlagenhof im Gespräch. «Vom fünfjährigen Buben bis zum 95-jährigen Grosi hatte jeder und jede in der Schweiz eine Meinung dazu.» Tatsächlich dominierte die Frage, ob die im Abkommen integrierten Massnahmen für einen nachhaltigen Handel mit Palmöl ausreichend seien, damals die Debatte. 

Im Abkommen mit Indien sehe er keine solchen Streitfragen, sagte Schlagenhof. Zudem enthalte der Vertrag ein rechtlich verbindliches Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit. Unter anderem dürfen laut diesem die Parteien den Schutz der Arbeitsbedingungen und der Umwelt nicht schwächen, um damit ihre Bedingungen im internationalen Handel zu verbessern. 

Die Nichtregierungsorganisation Public Eye überzeugt das nicht: Anders als für den Rest des Abkommens hätten die Parteien für dieses Kapitel keinen Streitschlichtungsmechanismus eingebaut. Das heisst, bei Nichtbeachtung kann der Vertragspartner nicht auf eine Umsetzung pochen. 

Für die angepeilten 100 Milliarden Direktinvestitionen seien zudem keine Auflagen bezüglich Menschenrechte und Umweltstandards definiert worden, schreibt Public Eye. Auch habe der Bund nicht untersuchen lassen, was die Auswirkungen des Abkommens auf die Menschenrechte seien.

Was kann jetzt noch schiefgehen?

Nachdem die Regierungen das Freihandelsabkommen unterschrieben haben, muss dieses noch in den jeweiligen Ländern ratifiziert werden. Setzt eines der am Abkommen beteiligten Länder das Abkommen nicht in Kraft, scheitert es auch für alle anderen.

In Indien, Norwegen, Island und Liechtenstein dürfte die Bestätigung durch die Parlamente Formsache sein. Auch in der Schweiz dürfte das Parlament das Abkommen genehmigen – allerdings könnte diesem wie im Falle Indonesiens Widerstand aus der Bevölkerung drohen. Public Eye richtet aus, man ziehe zusammen mit anderen Organisationen in Erwägung, das Referendum zu ergreifen.