Freihandels-Deal Welche Branchen sich am meisten über das Abkommen mit Indien freuen
Noch ist der Handel mit dem asiatischen Land vernachlässigbar. Aber verschiedene Industrien hoffen nun auf den Jackpot.
Guy Parmelin hat am Wochenende in Mumbai einen Coup gelandet. Ein Freihandelsabkommen mit Indien ist sechzehn Jahre nach den ersten Verhandlungen auf der Zielgerade. Bis Ende Februar könnten die letzten Details geklärt sein und Handelsminister Parmelin mit seinem indischen Amtskollegen Piyush Goyal die Unterschriften unter den Vertrag setzen. (Lesen Sie hier unsere Berichterstattung zu Parmelins Reise.)
Das Abkommen soll die Wirtschaft unterstützen, denn seit rund zehn Jahren stagnieren die Schweizer Exporte nach Indien. Und zwar auf tiefem Niveau: Mit einem Volumen von 1,8 Milliarden Franken machten sie 2022 nicht einmal ein Prozent aller Schweizer Ausfuhren aus.
Bisher ist nur wenig zum Inhalt des Abkommens bekannt – ausser dass es Zölle auf viele Produkte deutlich senken oder ganz aufheben soll. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rückt nur ein kurzes Statement raus: «Zu den Grundzügen, in denen eine Einigung erzielt wurde, gehört zum Beispiel der in der Vergangenheit umstrittene Patentschutz sowie auch ein neuartiges Investitionspromotionskapitel.»
Der Hinweis auf den Patentschutz deutet an, dass eine zufriedenstellende Lösung für die Pharmabranche gefunden wurde. Sie ist für ein Drittel aller Ausfuhren nach Indien verantwortlich. Weil sie zudem in den vergangenen Jahren deutlich mehr Vorprodukte von dort importiert hat, ist sie zudem der Haupttreiber der steigenden Importe aus Indien.
Folgende Branchen spielen beim bevorstehenden Abkommen eine bedeutende Rolle:
Pharmabranche
Indien hat in der Pharmawelt eine besondere Bedeutung: Das Land stellt günstige Nachahmermedikamente für die eigene mittellose Bevölkerung sowie für den weltweiten Export in einkommensschwache Staaten weltweit her. Deswegen gilt Indien als Apotheke der Armen.
Grund dafür ist eine enge Auslegung des Patentrechts: Indien hält sich zwar an die zwanzig Jahre gültigen Patente, wie dies die Welthandelsorganisation vorschreibt. Aber: Für kleine Veränderungen an Medikamenten, für die in Industriestaaten ein neuer Patentschutz erteilt wird, akzeptiert Indien dies nicht. Novartis verlor aus diesem Grund 2013 einen Gerichtsprozess um den Patentschutz seines Krebsmittels Glivec.
Was Indien ausserdem zum Paradies für Generikafirmen macht: Für Biotech-Nachahmermedikamente braucht es keine teuren, neuen klinischen Studien mit Hunderten von Teilnehmenden. Das spart Geld und Zeit.
Die Schweizer Pharmaindustrie sah die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen deswegen von Anfang an skeptisch: Sie fürchtete, die Schweiz würde ein striktes Patentrecht nicht durchsetzen können. Dies scheint nun aber der Fall zu sein.
Für Nichtregierungsorganisationen wiederum wäre dies bedenklich: «Das wäre schlimm für die Generikaproduktion, ohne die das Menschenrecht auf Gesundheit keine Chance hat», sagt Isolda Agazzi vom Hilfswerkeverbund Alliance Sud.
Médecins sans Frontières bestätigt dies: «Wir haben in den letzten Jahrzehnten erfahren müssen, wie Freihandelsabkommen unsere Bemühungen zur Rettung von Menschenleben torpedieren», sagt eine Sprecherin. Denn es fehlt an günstigen Medikamenten.
Maschinenindustrie
Noch mehr als die Pharma- exportiert die Schweizer Maschinenindustrie nach Indien. 2022 waren es Güter im Wert von über 900 Millionen Franken. Und es soll noch viel mehr werden. «Indien will China als Werkbank der Welt ablösen, und dafür braucht es Schweizer Maschinen», sagt Stefan Brupbacher, Direktor des Verbands der Maschinenindustrie Swissmem.
Wenn jetzt die Zölle fielen, könnten Schweizer Firmen in einem ersten Schritt mehr Maschinen nach Indien exportieren. «Sobald die Nachfrage dort gross genug ist, lohnt es sich sogar, dort eigene Standorte zu eröffnen.» Darauf zielt das vom Bund erwähnte «Investitionspromotionskapitel»: Es soll KMU vereinfacht werden, in Indien zu investieren. Oder nochmals anders: Indien erhofft sich dank des neuen Abkommens Investitionen aus der Schweiz, diese will ihren Firmen neue Märkte in Wachstumsregionen eröffnen.
Uhrenbranche
Die Uhrenbranche liegt bei den Exporten nach Indien auf Platz drei. Wie bei der Pharma wäre auch hier ein Abkommen hilfreich, das über die reine Abschaffung von Zöllen hinausgeht. Eines der grössten Probleme der Schweizer Uhrenindustrie sind Fälschungen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Denkbar ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit den indischen Behörden bei der Bekämpfung des illegalen Geschäfts.
Finanzsektor
Asien ist für Schweizer Banken schon jetzt ein wichtiger Pfeiler, insbesondere in der Vermögensverwaltung. Indien aber gehört nicht dazu. Die Fachverantwortliche der Bankiervereinigung Vanessa Dubra erklärt: «Der indische Finanzmarkt, inklusive dem Bankensektor, ist sehr streng reguliert. Ausländische Finanzinstitute können indische Kundinnen und Kunden nur über die passive Dienstleistungserbringung, das heisst auf ihre eigene Initiative, bedienen.» Ob sich daran mit dem neuen Abkommen etwas ändern wird, ist bisher noch nicht öffentlich bekannt.
Und die Landwirtschaft?
Sie sind die üblichen Verdächtigen, wenn es um die Bekämpfung des Freihandels geht. Schliesslich produzieren die Schweizer Landwirte deutlich teurer als ihre Berufskollegen im Ausland – jede Liberalisierung wäre für sie eine existenzielle Bedrohung. Jetzt aber sagt eine Sprecherin des Bauernverbands, dass man das Thema in letzter Zeit nicht auf dem Radar gehabt habe: «Der Bund hat uns mitgeteilt, dass die Landwirtschaft höchstens im Rahmen der bisherigen Kontingente vom Abkommen betroffen sein werde und es deshalb keine negativen Auswirkungen auf die einheimische Produktion gebe. Indien sei nicht an Exporten in diesem Bereich interessiert.»
Gleich wie beim Freihandelsabkommen mit Indonesien, das die Bevölkerung 2021 an der Urne nur knapp angenommen hat, ist auch in diesem Fall nach Beratung im Parlament ein Referendum möglich. Vom Bauernverband zumindest muss der Bundesrat wohl keinen Widerstand gegen sein Vorhaben befürchten.
Anmerkung: In der ersten Version dieses Artikels stand, die Maschinenindustrie exportiere jährlich Güter im Wert von knapp 600 Millionen Franken nach Indien. Sie sei damit diesbezüglich hinter der Pharma die Nummer zwei. Das stimmt so nicht. Tatsächlich exportiert die Maschinenindustrie Güter im Wert von mehr als 900 Millionen Franken pro Jahr nach Indien, deutlich mehr als jede andere Branche.
Fehler gefunden?Jetzt melden.