Schadenersatzklage von 10 MillionenWarum die Schweiz wegen eines Tankers vor Gericht musste
Eine Ölhändlerin verklagte die Eidgenossenschaft wegen eines Schiffes, das jahrelang in Nigeria festgehalten wurde. Der Epilog einer verworrenen Affäre.

- Nigeria hielt einen Tanker unter Schweizer Flagge während Jahren fest.
- Im Dezember 2021 war der Streit auf diplomatischem Parkett gelöst.
- Eine Genfer Ölhändlerin verklagte die Schweiz danach vor dem Berner Obergericht auf Schadenersatz.
- Das Gericht hat sich nun zugunsten der Schweiz entschieden.
Die Schweiz und ihre Hochseeschiffe: Das ist eine fast schon unendliche Geschichte. Und vor allem eine teure. Die Politik musste mehrmals Kredite beschliessen für jene Schiffe unter Schweizer Flagge, für welche der Bund Bürgschaften gewährt hatte. Das kostete die Steuerzahlenden bereits mehrere 100 Millionen Franken.
Neben der Politik ist auch immer wieder die Justiz gefordert. Kürzlich befasste sich die Zivilabteilung des Berner Obergerichts mit einem Verfahren, bei dem es um einen zweistelligen Millionenbetrag ging. Klägerin war eine Ölhandelsfirma aus Genf. Sie warf der Eidgenossenschaft vor, einen Vertrag verletzt zu haben. Das Verfahren drehte sich um den Tanker San Padre Pio, den Nigeria während Jahren festgesetzt hatte.
Die Ölhändlerin forderte Schadenersatz in der Höhe von 10 Millionen Dollar. Zusammen mit den aufgelaufenen Zinsen hätte das inzwischen umgerechnet rund 12 Millionen Franken ausgemacht.
Mit Grossaufgebot vor Gericht
Wie wichtig das Verfahren für die Parteien war, zeigte das personelle Aufgebot am Obergericht. Die Eidgenossenschaft hatte einen auf Seerecht spezialisierten Anwalt engagiert, der von einer Assistentin begleitet wurde. Dahinter sassen drei Vertreter aus drei Departementen. Die Ölhändlerin kreuzte mit zwei Anwälten, dem Chef und dem Verwaltungsratspräsidenten sowie zwei eigenen Simultan-Übersetzerinnen auf.
Die Firma handelt hauptsächlich in Afrika. Und dort, vor der Küste Nigerias, begann im Januar 2018 die Angelegenheit, welche mehrere Bundesbehörden während Jahren und die Berner Justiz sieben Jahre später beschäftigte.
Illegale Geschäfte vermutet
Am 23. Januar 2018 setzte Nigerias Marine den Tanker San Padre Pio fest. Der westafrikanische Staat warf der Besatzung illegale Treibstoffgeschäfte vor. Das 113 Meter lange Schiff gehörte damals zur Hochseeflotte und war unter Schweizer Flagge im Golf von Guinea unterwegs.
Die Händlerin hatte das Schiff einer waadtländischen Reederei gechartert. Der Tanker war mit 5000 Tonnen Diesel beladen. Dessen Wert betrug gemäss den Angaben der Firma 3,5 Millionen Dollar.
Die Eidgenossenschaft, die Ölhändlerin und die Reederei versuchten, das Schiff freizubekommen. Die Schweiz bemühte sich auf dem diplomatischen Parkett. Selbst Aussenminister Ignazio Cassis legte sich Anfang 2019 bei einem Treffen am WEF in Davos ins Zeug.
Die Reederei und die Ölhändlerin ihrerseits engagierten spezialisierte Anwälte. Sie alle bissen in Afrika auf Granit. Der Schaden wurde von Tag zu Tag grösser. 12’000 Dollar bezahlte die Ölhändlerin täglich an Chartergebühren.
Gerichtshof gibt der Schweiz recht
Weil diese Bemühungen nicht fruchteten, klagte die Schweiz im Frühling 2019 vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg (Itlos) gegen Nigeria. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Binnenstaat den Gang an den Gerichtshof einschlug.

Weil ein ordentliches Verfahren lange dauerte, beantragte die Schweiz vorsorgliche Massnahmen. Der Gerichtshof gab der Schweiz recht und ordnete an, dass Nigeria die San Padre Pio mit Besatzung und Fracht freigeben müsse. Das Gericht verlangte aber im Gegenzug, dass die Schweiz eine Sicherheit in der Höhe von 14 Millionen Dollar hinterlegen müsse.
Für die Verantwortlichen der Ölhändlerin sei das eine gute Nachricht gewesen, sagte einer der Firmengründer vor Obergericht. Doch schon wenige Tage später sei der Schock gekommen. Er sprach von einem cauchemar, einem Albtraum.
Ringen um die Kaution
Denn die Schweiz hinterlegte die Kaution nicht. Zu viele Punkte zu den Formalitäten seien im Itlos-Entscheid vage geblieben, begründete die Eidgenossenschaft.
Sie habe keine Kompetenz gehabt, einfach 14 Millionen Franken auszugeben, sagte die damalige Verhandlungsführerin der Schweiz als Zeugin vor Obergericht. Noch dazu für die teure Hochseeflotte. Das Geschäft musste zuerst in den Bundesrat.
Während Monaten verhandelten die beiden Länder über die Modalitäten der Garantie. Eine Einigung kam nicht zustande. Im November 2019 sprach ein nigerianisches Gericht die Besatzung schliesslich frei. Ihr konnte nichts Illegales nachgewiesen werden. Fünf Monate später bestätigte ein Berufungsgericht den Freispruch. Für den Firmenchef hiess das rückblickend: «Wir haben nichts falsch gemacht.»
Vereinbarung wird zum Streitobjekt
Parallel dazu liefen die Verhandlungen nach dem Urteil des Seegerichtshofs zwischen Bern einerseits und der Reederei und der Ölhandelsfirma andererseits. Die Eidgenossenschaft fragte die Firmen an, ob sie bereit wären, sich an der Kaution zu beteiligen, in der Grössenordnung von je 2,5 Millionen. Das gemeinsame Ziel war die rasche Freisetzung von Schiff und Besatzung.
Anfang Oktober 2019 einigten sich die Eidgenossenschaft und die Firmen in einem Vertrag auf das weitere Vorgehen, abgesegnet vom Bundesrat. Dessen Inhalt war der Hauptstreitpunkt der Verhandlung vor Gericht.
Das Unternehmen war der Ansicht, dass sich die Schweiz, als Gegenleistung zur Beteiligung an der Kaution, verpflichtet habe, bei den Verfahren gegen Nigeria vor dem Seegerichtshof die Schadenersatzansprüche der Ölhändlerin geltend zu machen. «Aus reiner Barmherzigkeit hätte sich die Firma nicht finanziell an der Garantie beteiligt», sagte deren Anwalt.
Von einer Verpflichtung wollte der Bund nichts wissen, legte der Anwalt dar. Das Verfahren vor dem Seegerichtshof sei eines zwischen zwei Staaten auf der Basis des Völkerrechts. Firmen hätten keine Parteirechte.
Diplomatische Einigung zwischen Schweiz und Nigeria
Das Verfahren vor dem Seegerichtshof leitete die Eidgenossenschaft zwar noch ein. Doch die diplomatischen Bemühungen gingen weiter. Dabei stellte Nigeria Bedingungen: Die Schweiz müsse ihre Klage vor dem Itlos zurückziehen und Nigeria zahle keinen Schadenersatz.
Im Mai 2021 einigten sich die Länder diplomatisch. Bevor der Tanker den Hafen verlassen konnte, musste er nach der langen Standzeit wieder flottgemacht werden.
Am 11. Dezember 2021 teilte der Bundesrat unter dem Titel «Erfolg für die Schweizer Diplomatie» mit, dass der Tanker Nigeria verlassen habe. Die Differenzen zwischen der Schweiz und Nigeria um die San Padre Pio seien beigelegt. Der Bund zog die Klage am Seegerichtshof zurück.
Klage folgt auf Rückzug der Klage
Damit begann aber das nächste Verfahren. Die Ölhändlerin verklagte die Schweiz, weil sie mit dem einseitigen Rückzug der Klage gegen Nigeria den Vertrag vom Oktober 2019 verletzt habe. Sie war überzeugt, dass die Chancen vor dem Seegerichtshof gut gewesen wären.
Zuerst wäre die Ölhändlerin gut genug gewesen, um einen finanziellen Engpass beim Bund zu stopfen, monierte deren Anwalt. Später werde dieselbe Firma vom Bund im Regen stehen gelassen.
Das oberste Ziel der fraglichen Vereinbarung sei gewesen, Schiff und Besatzung freizubekommen, betonte der Anwalt des Bundes. «Hätte die Schweiz den Deal mit Nigeria ablehnen sollen, nur weil die Schadenersatzforderung nicht inbegriffen war?» Die Schweiz sei nicht zuständig für das Inkasso einer Firma.
Schweiz muss für Schaden nicht aufkommen
Nun hat das Obergericht die Klage abgewiesen. Beim Rückzug der Klage gegen Nigeria vor dem Seegerichtshof habe die Schweiz keine Vereinbarung verletzt. Das Nichtbezahlen einer Kaution an das afrikanische Land sei nachvollziehbar gewesen. Die Firma muss jetzt die Verfahrenskosten von 100’000 Franken übernehmen und dem Bund über 300’000 Franken an Parteientschädigung bezahlen.

Die Ölhändlerin will den Entscheid nicht kommentieren. Sie lässt durch ihren Anwalt mitteilen, dass sie nicht ans Bundesgericht gelangt sei. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Schlussstrich unter die Affäre San Padre Pio
Beim zuständigen Eidgenössischen Finanzdepartement nimmt man das Urteil mit Genugtuung zur Kenntnis. Der Entscheid bestätige die Position des Bundes und habe die Vorwürfe gegen den Bund zurückgewiesen. Aktuell seien in diesem Zusammenhang mit der San Padre Pio keine weiteren Verfahren hängig.
Obwohl die Schweiz der Ölhändlerin kein Geld schuldet, hat die Angelegenheit sie einiges gekostet. Denn der gesamte Aufwand im Zusammenhang mit dem während Jahren in Nigeria festgehaltenen Schiff sei gross gewesen, schreibt die EFD auf Anfrage. Eine spezifische Abrechnung bestehe jedoch nicht.
Ein Betrag steht jedoch fest. Die lange Beschlagnahme des Schiffes führte bei der Eigentümerin zu einem Ertragsausfall. Sie war nicht mehr in der Lage, der Bank die Zinsen und Amortisationen zu bezahlen. Als Bürgin musste die Eidgenossenschaft geradestehen und über vier Millionen Franken bezahlen, wie im Bericht der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte nachzulesen ist.
Die San Padre Pio kreuzt weiterhin über die Weltmeere, aber nicht mehr als Teil der Schweizer Hochseeflotte mit Bundesbürgschaft. Seit Frühling 2022 ist sie unter dem Namen Maria Immaculata und unter maltesischer Flagge unterwegs.
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