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Jahr der Entscheidung
Vasellas Nachfolger geht mit Novartis auf volles Risiko

Dieses Jahr räumt er das letzte Überbleibsel seines Vorgängers Daniel Vasella weg: Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt auf dem Novartis-Campus in Basel.
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Am Mittwoch liefert Novartis Gewinnzahlen für das vergangene Jahr. Entscheidender für den Konzern ist jedoch 2023, denn dieses Jahr wird es ernst: Der Pharmakonzern spaltet sein zweites Standbein Sandoz ab. Der Umsatz des Pharmariesen schrumpft so von gut 50 Milliarden auf rund 40 Milliarden Dollar.

Der Verwaltungsrat unter seinem Präsidenten Jörg Reinhardt will zwei ganz eigenständige Konzerne schaffen: die exklusive Pharmaboutique Novartis für neu erforschte, teure Medikamente. Und den Pharmadiscounter Sandoz für günstige, ältere Medikamente, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist. 

Damit beseitigt Reinhardt das letzte Überbleibsel der Strategie seines Vorgängers Daniel Vasella, den Konzern möglichst breit aufzustellen. Reinhardt geht so eine riskante Wette ein und setzt bei der neuen Novartis alles auf eine Karte: neue, teure Medikamente.

Fragezeichen zur lebenswichtigen Versorgung mit Antibiotika

Kann das gut ausgehen? Selbst die Basler Lokalmatadorin Roche hat neben der Pharmasparte mit dem Diagnostikgeschäft noch ein zweites Standbein.

Im Moment arbeitet Novartis die Schnittstellen für die Amputation aus: Wie viele Schulden des Konzerns werden Sandoz mitgegeben, welche Produktionsanlagen aus dem Novartis-Portfolio erhält sie, welche bislang gemeinsamen Büroeinheiten werden ihr zugesprochen? «Das sind wichtige Fragen für die Zukunft der beiden Firmen», sagt Pharmaanalyst Stefan Schneider vom Investmenthaus Vontobel.

Der Basler Novartis-Campus mit seinem 2022 eröffneten runden Bau. Er birgt ein Museum und ein Café.

Für die Aktionärinnen und Aktionäre von Novartis wichtig ist die Frage, wie viele Sandoz-Aktien sie erhalten. Es fliesst kein Geld, Novartis verdient nichts an der Abspaltung, die neuen Sandoz-Aktien werden als steuerfreie Sachdividende ausgeschüttet.

Details zu Sandoz werden am Mittwoch noch nicht genannt, aber sie dürften demnächst bekannt werden. Novartis will die Abspaltung im zweiten Halbjahr über die Bühne bringen.

Weil Sandoz die grösste Antibiotikaherstellerin der Welt ist, mit der letzten grossen Fabrik in Europa, wirft die Neuordnung bei Sandoz auch die Frage nach den Folgen für die Versorgung auf. Antibiotika sind bedeutsam für die Gesundheitsversorgung. Ohne sie sind Lungenentzündungen, ein Kaiserschnitt oder andere chirurgische Eingriffe lebensgefährlich.

Doch die Gefahr, dass Sandoz von Hedgefonds übernommen und zerschlagen werden könnte, ist mit dem nun geplanten Börsengang gebannt. Insofern sollte die Abspaltung auch für Patientinnen und Patienten funktionieren.

«Die Eigenständigkeit von Sandoz wird aus meiner Sicht an der Versorgungslage nichts ändern», sagt Marc Gitzinger. Er ist Gründer und Chef der Basler Firma Bioversys, die nach neuen Antibiotika forscht. Entscheidend für die Versorgung sei der Preis für Antibiotika. «Wenn er so niedrig wie jetzt bleibt und auch keine EU-Subventionen mehr fliessen, wandert die Produktion ganz nach Asien ab, und wir verlieren in Europa das Wissen über die Herstellung.»  

Sandoz erzielte mit ihrem gesamten Geschäft an günstigen Nachahmermedikamenten in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres eine Gewinnmarge von 21,9 Prozent. Bei den innovativen Medikamenten erreichte Novartis dagegen 37,1 Prozent. In diesem Unterschied liegt der Grund für die Abspaltung. Die geschrumpfte Pharmaboutique Novartis soll so in den nächsten Jahren eine Marge von rund 40 Prozent erzielen. 

Medikamentenproduktion von Novartis in Stein AG.

Präsident Reinhardt will die neue Novartis auf das Wachstum mit hochpreisigen Arzneimitteln konzentrieren. Damit das funktioniert, hat er das Feld der Krankheiten, für die Novartis neue Therapien entwickeln soll, eng abgesteckt: Herz-Kreislauf- und Blutkrankheiten, solide Tumore, immunologische und neurologische Krankheiten.

Auch die Therapieansätze für diese fünf Krankheitsgebiete sind definiert: Neben den altbekannten biochemischen Medikamenten und biotechnologisch hergestellten Antikörper-Therapien gehören Gen- und Zelltherapien dazu. Zudem RNA-Therapien, die auf das Molekül abzielen, das für die meisten Abläufe innerhalb einer Zelle wesentlich ist. Sowie Radioligand-Therapien, die eine radioaktive Substanz direkt in die Krebszelle im Körper bringen und sie zerstören.

Das bedeutet: Die neue Novartis soll eine hoch spezialisierte Pharmafirma werden.

Auch für das Umsatzwachstum sind Reinhardts Vorgaben klar: Bis 2027 sollen es im Schnitt 4 Prozent jährlich sein. «Wenn sie das schaffen, ist es eine Überraschung, denn die durchschnittliche Analystenerwartung liegt bei knapp 2 Prozent», sagt Analyst Schneider.

Was Analysten skeptisch macht: Ab 2025 könnte das Herzmedikament Entresto in den USA bereits das Patent verlieren. Entresto ist mit einem Umsatz von 3,4 Milliarden Dollar in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres – davon die Hälfte in den USA – einer der wichtigsten Umsatzbringer und Wachstumstreiber.

Gerücht um Übernahme für 27 Milliarden Dollar

An der jüngsten J.-P.-Morgan-Konferenz, dem Treffen der Pharmabranche jeden Januar in San Francisco, kochte ein Gerücht neu auf: Novartis habe Interesse an der Übernahme des US-Forschungsunternehmens Alnylam. Sogar ein Preis wurde gehandelt: 27 Milliarden Dollar.

Alnylam forscht zu RNA-Therapien, mit deren Hilfe etwa überaktive Gene blockiert werden können. Diesen Sommer kommen Ergebnisse der klinischen Tests eines möglichen neuartigen Blutdrucksenkers an einer kleineren Gruppe von Erkrankten. Es geht um eine Injektion, die nur zweimal im Jahr unter die Haut muss, was für Betroffene ein Vorteil ist. 

Die Puzzle-Teile passen: Novartis hatte schon 2019 beim Kauf der US-Firma The Medicines den ursprünglich von Alnylam erforschten Cholesterinsenker Leqvio übernommen, der ein Multimilliarden-Umsatzpotenzial verspricht. Alnylam wiederum ist auf Investoren angewiesen, denn es kann die teure klinische Studie mit Tausenden Teilnehmenden nicht selbst finanzieren. Nun könnte Novartis die ganze Firma kaufen.

Weder Novartis noch Alnylam kommentieren die Gerüchte.

Ob mit oder ohne Zukauf von Alnylam: Ziel von Reinhardt ist es, nach der Schrumpfung einen neuen Riesen zu formen.

Kritiker unter den Pharmaanalysten, die namentlich nicht genannt werden dürfen, weil ihnen ihre Bank den Kontakt zu Medien verbietet, bezweifeln, dass ihm das gelingt. Ihm fehle es an Weitblick, heisst es. Das habe sich etwa daran gezeigt, dass er für die Herstellung von Leqvio zunächst nicht in eine zweite Produktionsstätte investiert habe, als es Probleme mit der Produktion in Italien gegeben habe.

Der 66-jährige Reinhardt darf wegen einer Amtszeitbeschränkung ohnehin nur bis 2025 Präsident bleiben.