Interview mit Antirassismus-ExperteWarum wählen schwarze Männer Trump? «Das führe ich auf seinen sexistischen Appeal zurück»
Professor Ibram X. Kendi leitet in Boston das Zentrum für antirassistische Forschung. Er erklärt, wie Donald Trump bei Minderheiten punktet – und zieht den Vergleich zur Nazi-Zeit.
Ibram X. Kendi, 1982 als Ibram Henry Rogers in New York geboren, erlangte mit den Büchern «Gebrandmarkt» (2016), «Antirassistisch handeln» (2019) und «Antiracist Baby: Wie wir unsere Kinder antirassistisch erziehen» (2020) internationale Bekanntheit als machtvolle identitätspolitische Stimme. Acht seiner Bücher, inklusive Kinderbücher, wurden aus US-Schulbibliotheken verbannt oder auf die Verbots-Wunschliste gesetzt. 2020 gründete der Geschichtsprofessor und Vater zweier Töchter an der Boston University das Center for Antiracist Research, das sich im Kampf gegen strukturellen Rassismus engagiert, und leitet dieses (trotz Wirbel ums Management). Kurz vor der US-Wahl sprach er mit uns über die Lage.
Herr Kendi, die Wahl steht vor der Tür, die Stimmung ist aufgeheizt, das Resultat offen. Wieso?
Es überrascht mich gar nicht, dass es so knapp ist. Viele Unterstützer von Kamala Harris verstehen nicht, wieso Donald Trump immer noch so viele Leute überzeugt. Aber rund um den Globus gewinnen rechte Politiker mit ähnlichen Propagandastrategien und Lügen Fans. Die Drohkulisse, dass das eigene Land überrannt wird, scheint leider zu funktionieren.
Doch es erstaunt, dass Trump Zuwachs bei den schwarzen und lateinamerikanisch-stämmigen Männern verzeichnet. Und das, obwohl Trump und seine Sprecher sich oft verächtlich über diese Gruppen geäussert haben; und obwohl Harris eine Person of Color ist.
Ich vermute, dass dieser Zulauf in der Presse etwas übertrieben wurde. Fakt ist doch, dass schwarze Männer die zweitgrösste Wählergruppe von Harris sind, gleich nach den schwarzen Frauen.
Schon. Aber 2020 stimmten 90 Prozent der schwarzen Wählenden für den demokratischen Kandidaten Joe Biden. Jetzige Umfragen zeigen rund 78 Prozent Support für Kamala Harris von dieser Gruppe.
Dass Latinos, schwarze und asiatisch-stämmige Männer sich vermehrt Trump zuwenden, führe ich vor allem auf den sexistischen Appeal Trumps zurück.
«Trump wird versuchen, eine Diktatur zu errichten.»
Wurde dieser Appeal im aktuellen Wahlkampf stärker?
Es handelt sich um eine Kombination von Faktoren. Da gibts die Diskussion über die «frustrierten Katzenfrauen», von denen Vize-Kandidat J. D. Vance sprach, da gibt es die Themen Frauenrechte und Abtreibung. Donald Trump benutzt das sexistische Grundrauschen in dieser Wahl, um sich selbst als Kontrast zu seiner weiblichen Rivalin darzustellen. Er bespielt auch Ängste der Männer insgesamt, dass sie ihre Privilegien verlieren und weniger Chancen als Frauen haben; dass die Frauen die Macht übernehmen. Diese Ängste sind allgemein gewachsen.
Ist das für diese Männer entscheidender als der offensichtliche Rassismus?
Ich glaube, dass sich das Trump-Lager beispielsweise mit der Lüge über die Hunde und Katzen essenden Immigranten aus Haiti oder dem «Witz» über Puerto Rico als Müllinsel durchaus geschadet hat. Es gibt Haiti-stämmige Amerikaner, die sich gegen Trump organisiert haben. Und im Swing-State Pennsylvania hat sich die dortige grosse puerto-ricanische Community kritisch zu Wort gemeldet.
Ihre These lautet, dass es selbst in den schwarzen Communitys Rassismus gibt. Nutzt Trump dieses Phänomen, wenn er etwa sagt, dass die Migranten die «black jobs» wegnehmen?
Es gibt Afroamerikaner, die irregeführt wurden und tatsächlich glauben, dass schwarze und braune Migranten in grosser Zahl kommen – was nicht stimmt – und ihnen die Jobs «wegnehmen». Und weil es unter afroamerikanischen Menschen mehr Arbeitslosigkeit und Armut gibt, können sie leichter getäuscht werden. Ihre Frustration wird auf die «Eindringlinge» gelenkt, damit sie nicht die Fehler im System erkennen, das «black jobs» überhaupt vergibt! Ich selbst habe lang gebraucht, um die Systemfehler zu erkennen.
Wie sehen Sie die Lage heute?
Europa und Amerika sind immer noch geprägt von rassistischen Praktiken. Vielen ist nicht bewusst, dass sie einen inneren Bias gegen bestimmte Gruppen haben. «Antirassist» zu sein bedeutet, sich dessen bewusst zu werden und aktiv gegen Rassismus anzugehen. Die Behauptung, man sei «nicht rassistisch», verleugnet die Realität, dass es überall Rassismus gibt. Niemand ist von seinem Wesen her rassistisch oder nicht rassistisch. Aber jeder kann sich zeitweise rassistisch verhalten oder rassistisch denken – als Schwarzer oder als Weisser; Menschen sind komplex. Die Frage ist, ob man das dann reflektiert. Dazu müssen wir die Leute ermutigen.
Dafür haben Sie das Zentrum für antirassistische Forschung entwickelt. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Intellektueller im Wahlkampf?
Ich will, dass die Leute faktenbasiert wählen und erkennen, was die Wahl des einen oder der anderen Kandidatin für sie bedeutet. Darum habe ich mich öffentlich dazu geäussert, was eine Trump-Präsidentschaft an Herausforderungen bringen würde – und auch über den lauernden Rassismus. Denn wenn du ein Politiker bist, der mittels rassistischer Untertöne und Manipulationen gewählt wurde, hast du kein Interesse daran, die Leute aufzuklären über ihren Rassismus und den Weg zu einer gerechteren Gesellschaft. Im Gegenteil, du wirst die Bildungsinstitutionen schwächen. Und Trump will das Bildungsministerium ja schleifen.
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Missliebige Bücher, etwa über die US-Geschichte, werden bereits jetzt teils aus den Schulbibliotheken verbannt. Auch acht Ihrer Bücher wurden abgestraft.
So ist es.
Was erwarten Sie von einer Trump-Regierung?
Trump wird versuchen, eine Diktatur zu errichten. Oft lobt er ja Diktatoren und autoritär agierende Politiker. Am Ende wird er den Menschen auf der ganzen Welt mehr Not und Leid bringen. Deshalb ist das eine alles entscheidende Wahl, nicht nur für die Amerikaner, sondern für die Menschheit.
Während des Wahlkampfs kam immer wieder der Vergleich mit Hitler und dem Dritten Reich auf.
Ich finde den Vergleich mit der Nazi-Zeit passend. Trump hat öffentlich gesagt, dass er seine politischen Feinde unerbittlich verfolgen wird, «den Feind von innen». Wie Hitler. Und auch Trumps Ankündigung von Massendeportationen, sein Plan, Millionen von Menschen zusammenzutreiben und zu verhaften, erinnert an die Zeit von Hitler.
Werden Sie das Land verlassen, wenn er gewählt wird?
Wahrscheinlich nicht. Das würde sich anfühlen, als liesse ich die Menschen im Stich, statt mit ihnen Widerstand zu leisten. Aus philosophischen Gründen muss ich zudem an der Hoffnung festhalten, dass Wandel möglich ist und wir für eine bessere Welt kämpfen können.
Zwei grosse US-Zeitungen haben bewusst keine Wahlempfehlung abgegeben.
Manche Medienbosse wirken ängstlich und versuchen offenbar, sich bei Trump einzuschmeicheln. Ich glaube, dass sie nicht verstehen, dass man entweder ein 100-prozentiges Sprachrohr von Trump werden muss oder aber von ihm verfolgt wird. Wenn sie ihre Unabhängigkeit nicht vollständig aufgeben, wird er sie immer als «Feinde des Volkes» charakterisieren. Da gibts keine «mittlere» Position. Darum war es falsch, auf eine Wahlempfehlung zu verzichten.
Was raten Sie den europäischen Ländern?
Im Fall eines Wahlsiegs von Trump müssen sie sich darauf gefasst machen, dass die USA die Nato verlässt und die Ukraine von den USA keine Hilfe mehr bekommt. Jene Länder, die im Grunde gegen die Trump-Politik sind, sollten auf keinen Fall eine Besänftigungsstrategie gegenüber Trump fahren, sondern stark gegen ihn auftreten. Mit Besänftigungen stützen sie bloss die trumpistischen Kräfte im eigenen Land, die es fast überall gibt, etwa in Deutschland die AfD. Und ich würde gern alle wissen lassen: Selbst wenn Donald Trump das Präsidentenamt bekommt, war die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung wohl total dagegen. Wie 2016 auch.
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