Interview zu den US-Wahlen«Die negativen Aspekte von Kamala Harris wurden lange Zeit ausgeblendet»
Plötzlich sieht es aus, als ob es Donald Trump doch wieder schaffen könnte. Claudia Brühwiler, Professorin für Amerikanistik, über die Besonderheiten dieses Wahlkampfs.
Sie gehört zu den gefragtesten USA-Expertinnen der Schweiz. Claudia Franziska Brühwiler, Titularprofessorin an der Universität St. Gallen, war als Dozentin an mehreren amerikanischen Unis tätig, erst kürzlich kehrte sie zurück von einem Forschungsaufenthalt in Madison, der Hauptstadt des Staates Wisconsin.
Frau Brühwiler, noch vor wenigen Wochen, als Kamala Harris das TV-Duell gewann, war für die meisten Experten klar: Sie wird gewinnen. Nun ist das Rennen wieder völlig offen. Was ist passiert?
Die Sache war nie so klar. Schon damals lag Harris’ Vorsprung in den Meinungsumfragen innerhalb des Fehlerbereichs von drei bis vier Prozentpunkten. Aber es ist tatsächlich so, dass sich Trumps Umfragewerte in den letzten Wochen verbessert haben. Allerdings ist alles noch immer so knapp, dass keine Voraussage möglich ist.
Die Stimmung hat sich aber verändert.
Man kann sicher sagen, dass Kamala Harris anfangs von einer Art Honeymoon-Stimmung profitiert hat. Endlich gab es eine Alternative zu Joe Biden – eine Demokratin, die anders daherkommt, mit einem anderen Politstil, mit einer positiven Grundstimmung, und erst noch eine Frau, die eine Minderheit repräsentiert. Aber solche Dinge nutzen sich mit der Zeit ab.
Handelte es sich um einen Medienhype?
Das wäre mir zu einfach. Nicht nur in den klassischen Medien war ein gewisser Enthusiasmus festzustellen: Sprüche von Kamala Harris wurden auf sozialen Medien gefeiert, junge Leute zeigten sich begeistert. Dass sie Joe Biden als Kandidatin ablösen konnte, war wie ein Befreiungsschlag. Die Begeisterung wirkte ansteckend. Aber es ist schon so: Viele Leitmedien, die in den USA eher linksliberal ausgerichtet sind, haben sich mit der Kandidatur angefreundet und sind sehr sanft mit Harris umgegangen.
Wie hat sich das geäussert?
Man hat vor allem über ihre Stärken geredet und darüber, wie sehr sie unterschätzt wird. Die negativen Aspekte wurden lange Zeit ausgeblendet. Zum Beispiel, dass ihre Nomination aus demokratiepolitischer Sicht ziemlich problematisch war: Das Vorwahlergebnis wurde einfach über den Haufen geworfen. Bis heute liest man in US-Leitmedien recht wenig Kritik an ihrem Programm. In der «New York Times» habe ich vor wenigen Tagen zum ersten Mal eine negative Bewertung über sie gelesen, es ging um ihren Town-Hall-Auftritt bei CNN.
Es gab im Wahlkampf zwei Mordversuche gegen Donald Trump. Harris bezeichnete Trump kürzlich als «Faschisten», er nennt sie «geisteskrank». Der Wahlkampf erscheint dieses Mal besonders extrem.
US-Wahlkämpfe haben immer einen gewissen Schrillheitsfaktor. Mal ist er stärker wahrnehmbar, mal weniger. Ich glaube, es wurde in Europa nie so viel über einen US-Wahlkampf berichtet, zumindest nicht in der deutschsprachigen Presse. Jede Aussage der Kandidaten wird breitgewalzt. Wir verdrängen in Europa gerne, dass auch Präsidenten, die hier ein gutes Image haben, ihre Gegner unsauber angegangen sind. Barack Obama zum Beispiel griff in der Vorwahl Hillary Clinton in Charakterfragen an und machte die Rolle ihres Mannes zum Thema. Nicht vergessen sollte man das berühmte Daisy-Ad von Lyndon B. Johnson 1964, einen der drastischsten Werbespots der Wahlkampfgeschichte: Der Film besagte, dass die Wahl des Konkurrenten direkt in einen Atomkrieg führen würde. Auch im 19. Jahrhundert gab es schon schreckliche Wahlkämpfe.
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In Europa gilt Donald Trump als Teufel in Person. In der Schweiz würden laut einer Umfrage drei Viertel Kamala Harris wählen. In den USA ist das anders. Woher dieser Unterschied?
Ich sehe drei Punkte. Erstens: Wir wenden in Europa ganz andere Kriterien an als die Amerikaner. Wir sind in erster Linie an der Stabilität der USA interessiert, an der aussenpolitischen Berechenbarkeit. Die Amerikaner hingegen interessieren sich für die Lebensmittel- und Benzinpreise, dass sie einen Job haben etc. Zweitens haben wir wenig Verständnis für die Dynamiken eines Präsidentschaftswahlkampfs, weil wir das hier in dieser Form nicht kennen. Drittens: Vor allem haben wir wenig Verständnis für Trump-Wähler an und für sich. Dabei sind deren Beweggründe gar nicht so anders als bei uns, wenn wir für höhere Renten stimmen, ohne über die Finanzierung nachzudenken, oder für eine Beschränkung der Einwanderung, ohne die vorhandenen internationalen Verträge zu berücksichtigen.
Dass die Europäer mit Unverständnis in die USA blicken, ist kein neues Phänomen. Als George W. Bush 2004 wiedergewählt wurde, titelte der «Blick»: «Sind 62 Millionen Amis einfach blöd?»
Es gibt diese europäische Selbstgefälligkeit, ja Arroganz. Die meisten Leute, die über die «blöden Amis» die Nase rümpfen, würden genau gleich abstimmen, wenn sie an der Supermarktkasse stünden und den Familieneinkauf nicht mehr bezahlen könnten. Erst recht, wenn die Regierung dann sagt: «Der Wirtschaft geht es super, wir machen alles ganz toll.»
Im US-Wahlkampf gibt es eigentlich nur zwei relevante Themen: Migration und dass alles teurer wird, also Inflation.
Es ist ein bisschen komplizierter. Auf der Ebene der Swing-States könnten einzelne Wählergruppen mit Sonderinteressen das Zünglein an der Waage spielen. Darauf müssen die Kandidaten eingehen.
Zum Beispiel?
Im Swing-State Michigan stehen die vielen arabischen Amerikaner muslimischen Glaubens im Fokus. Sie könnten für Harris zum Problem werden, wenn sie aus Protest gegen ihre Haltung zu Israel nicht zur Wahl gehen oder sogar für Donald Trump stimmen. In Pennsylvania hingegen hat es 300’000 jüdische Wähler, die traditionell mehrheitlich demokratisch wählen, nun aber zu Trump wechseln könnten wegen des stark wachsenden Antisemitismus im Land.
Kamala Harris hat für den Wahlkampf dreimal mehr Geld zur Verfügung als Trump. Weshalb kann sie diesen Vorteil nicht besser nutzen?
Donald Trump ist nicht im gleichen Masse auf Geld angewiesen, weil er ohnehin immer präsent ist in den Medien. Diesen Vorteil hatte er schon in früheren Wahlkämpfen. Die Republikaner haben wegen der geringen Mittel trotzdem ein Problem, nicht im Präsidentschaftswahlkampf, sondern bei den Senatswahlen, die bei uns etwas unter dem Radar laufen. Die Republikaner haben die einmalige Chance, im Senat eine Mehrheit zu holen, dafür bräuchten sie nur ein oder zwei zusätzliche Sitze. Aber es fehlt ihnen im Vergleich zu den Demokraten das Geld.
Frauen wählen mehrheitlich Harris, Männer Trump. Handelt es sich bei dieser Präsidentschaftswahl um einen Kampf der Geschlechter?
Das kann man so sehen, die Kandidaten aber versuchen, Gegensteuer zu geben. Am Parteikongress der Republikaner war die Abtreibungsfrage kein Thema, obschon sie sonst sehr dominant ist. Das war klar eine Entscheidung, um bei den jüngeren Wählerinnen Vertrauen gewinnen zu können. Auch Vize-Kandidat JD Vance hat in dieser Frage seinen Ton angepasst, um die weibliche Wählerschicht nicht noch mehr abzuschrecken. Auf der anderen Seite versucht Kamala Harris insbesondere schwarze Männer wieder zurückzugewinnen, indem sie schwarzem Unternehmertum Unterstützung verspricht.
Es wird befürchtet, dass es nach der Wahl mehrere Tage oder sogar Wochen dauern könnte, bis das Wahlresultat bekannt ist.
Es kommt darauf an, wie knapp das Resultat ist. Aufgrund der aktuellen Umfragewerte ist alles möglich – auch, dass es am Ende doch ziemlich eindeutig rauskommt. Dann ginge es schnell. Wenn aber alles von einem einzelnen Staat wie Pennsylvania abhängt, kann es lange dauern.
Wird es zu Krawallen kommen, wenn Trump verliert? Es gibt Stimmen, die vor einem Bürgerkrieg warnen.
Egal, wer gewinnt, es wird wohl zu Spannungen kommen. Das muss sich nicht in Gewalt äussern, dass es aber zu Protestmärschen kommt, ist ziemlich wahrscheinlich. Auf beiden Seiten hat es Leute, die eine Niederlage nicht einfach so hinnehmen werden. Bilder wie im Januar 2021, als Trump-Anhänger das Capitol stürmten, wird es aber wohl nicht mehr geben, weil die demokratische Regierung gewarnt ist und die Sicherheit in der Hauptstadt gewährleisten wird. Was mich optimistisch stimmt: Im Duell der Vize-Kandidaten hat der Republikaner JD Vance zu seinem Kontrahenten Tim Walz gesagt: «Wenn ihr gewinnt, werde ich dir die Hand geben und dir gratulieren.»
Die Debatte war sehr sachlich.
Ja. Viele haben gesagt: «Das ist Politik wie früher.» Es war alles sehr gesittet, manchmal auch ein bisschen langweilig, es ging nur um politische Pläne und Ideen. Dass so etwas noch möglich ist, stimmte viele Leute hoffnungsfroh – vielleicht wird das ja irgendwann wieder zur Norm.
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