Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kritik an ÖV-Preiserhöhungen
«Unsolidarischer geht gar nicht»

Konsumentinnen und Konsumenten werden es zu spüren bekommen: Der öffentliche Verkehr wird ab Dezember deutlich teurer.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Just während die ganze Schweiz ins Zürcher Hallenstadion zur letzten Generalversammlung der Credit Suisse blickt, löst die ÖV-Branche einen regelrechten Schock aus. Die Preise des öffentlichen Verkehrs sind seit 2016 auf nationaler Ebene dieselben geblieben. Nun aber müssen Pendlerinnen und Freizeitfahrer künftig deutlich mehr für ihr Billett bezahlen. 

Die Alliance Swisspass, die Branchenorganisation des öffentlichen Verkehrs, will die Preise um durchschnittlich 4,3 Prozent anheben. Falls die Mitglieder zustimmen und der Preisüberwacher es nicht verhindert, werden per 10. Dezember dieses Jahres folgende Erhöhungen verrechnet:

  • Einzelbillettpreis, Tages- und Mehrfahrtenkarten, Klassenwechsel: + 4,2 Prozent

  • 1. Klasse: + 1,9 Prozent

  • 2. Klasse: + 4,8 Prozent

  • Halbtax-Abo Erwachsene: +5 Franken, neu 190 Franken bei Erstkauf

  • General-Abo Erwachsene: + 5,7 Prozent respektive 220 Franken, neu 4080 Franken

Die ÖV-Branche nennt mehrere Gründe für diesen «unumgänglichen Schritt»: Seit Ende des Jahres 2016 hätten die Transportunternehmen ihr Angebot um rund 10 Prozent gesteigert. Zudem hätten sie «signifikant» in moderne Fahrzeuge investiert. Gleichzeitig hätten sich die Konsumentenpreise seit 2016 um 4,5 Prozent verteuert. Auch die Teuerung macht der Branche offenbar zu schaffen, beispielsweise bei den Löhnen und der Energie.

Für den Konsumentenschutz ist das nicht nachvollziehbar. Geschäftsleiterin Sara Stalder ärgert sich vor allem über den Zeitpunkt, den die Branche gewählt hat, um die Preise zu erhöhen. «Viele Leute leiden unter dem allgemeinen Preisdruck.» 

Kritik an tieferer Belastung in der 1. Klasse

Besonders stösst sie sich an den unterschiedlichen Preiserhöhungen in der 1. und 2. Klasse. «Damit bestraft die ÖV-Branche die grosse Masse und gibt jenen Kundinnen und Kunden ein Goodie, die es sich ja ohnehin schon leisten können. Das ist ein falsches Zeichen!»

Sara Stalder vom Konsumentenschutz sieht in den unterschiedlichen Preiserhöhungen «ein falsches Zeichen».

Die Alliance Swisspass verkleinert damit die sogenannte Klassenspanne. Der Unterschied der Billettpreise zwischen der 1. und 2. Klasse wird von 75 auf 70 Prozent gesenkt. «Wir möchten die 1. Klasse erschwinglicher und attraktiver machen und mehr Kapazitäten für die 2. Klasse schaffen», sagt Sprecher Thomas Ammann. Der Verkauf von Fahrkarten für die 1. Klasse sei seit Jahren rückläufig. 2022 machten sie lediglich 7 Prozent aller verkauften Tickets aus.

Gleichzeitig spülen mehr Fahrgäste in der 1. Klasse auch mehr Geld in die ÖV-Kasse. Doch das sei nicht das Motiv, beteuert Ammann: «Es stand nicht im Vordergrund, mehr Einnahmen zu generieren.» Vielmehr gehe es  darum, «die Auslastung etwas zu glätten».

«Die Branche bleibt stur auf ihrem alten GA-Modell sitzen.»

Sara Stalder, Konsumentenschutz

Der Konsumentenschutz fordert die Branche seit Jahren dazu auf, neue, kreative Abomodelle zu schaffen. «Mit der Digitalisierung ergeben sich so viele Möglichkeiten, neue Generalabos zu kreieren», sagt Sara Stalder. Sie denkt etwa an ein Modell, das Fahrten in der 1. und 2. Klasse ermöglicht. Oder ein Homeoffice-GA, das bereits einmal im Gespräch war. «Die Branche bleibt stur auf ihrem alten GA-Modell sitzen. Dabei könnte sie mit neuen Modellen mehr Einnahmen machen, dann wären keine Preissteigerungen notwendig.» 

Alliance Swisspass verweist demgegenüber auf diverse angekündigte Angebote, welche die Tarifmassnahmen abfedern würden. Etwa das Nacht-GA für unter 25-Jährige, das ab 1. Juni für 99 Franken erhältlich ist, oder das für Dezember geplante Guthaben-Abo  für Personen, für die sich ein GA nicht lohnt, die aber mehr Flexibilität wünschen.  

Konsumentenschutz und Politik befürchten, dass das Umsteigen vom Auto auf den ÖV  mit den höheren Preisen unbeliebter wird: Der Bahnhof Winterthur bei Nacht.

Dennoch: Konsumentenschützerin Stalder glaubt, die höheren Preise würden noch mehr Autofahrerinnen und Autofahrer vom Umsteigen auf den ÖV abhalten. 

Gleiches befürchtet die Grüne-Nationalrätin Nathalie Imboden. Sie hat zwar Verständnis, dass der Ausbau des öffentlichen Verkehrs finanziert werden müsse. Aber: «Gleichzeitig will die öffentliche Hand ihre Beiträge an den Regionalverkehr kürzen. Dann noch die Preise zu erhöhen, geht gar nicht.» Die Kombination sei inakzeptabel, so werde das Umsteigen nicht gefördert.

«Unsolidarisch» und «total daneben» 

Imboden stört sich besonders an den unterschiedlichen Erhöhungen der Klassen: «Solidarisch heisst sicher nicht, dass die 2. Klasse mehr als doppelt so viel beitragen muss – unsolidarischer geht gar nicht.» Klare Worte findet auch der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult: «Angesichts der Klimakrise und des Kaufkraftverlustes der Bevölkerung wegen hoher Mieten und explodierender Krankenkassenprämien ist eine Erhöhung der ÖV-Preise grundfalsch.»

Verständnis zeigt hingegen das Bundesamt für Verkehr. Sprecher Andreas Windlinger sagt, es sei schliesslich die erste Tariferhöhung seit sieben Jahren. In dieser Zeit sei das Angebot substanziell ausgebaut worden. «Die öffentliche Hand hat ihre Subventionen für den ÖV in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht.» Windlinger sagt, wegen des stark belasteten Bundeshaushaltes sei in wichtigen Subventionsbereichen kein weiterer Ausbau möglich.

Noch sind die höheren Preise keine beschlossene Sache. Preisüberwacher Stefan Meierhans will sich zurzeit nicht näher äussern, kündigt aber an: «Wir werden das kritisch prüfen.»