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Putins Hybridkrieg
«Russische Sabotageakte in Europa werden sich häufen»

Verbrechen russischer Agenten? Ein Grossbrand zerstört ein Einkaufszentrum in Warschau, 12. Mai 2024.
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In London brannte ein Warenlager mit Hilfslieferungen für die Ukraine, in Warschau zerstörte ein Grossbrand ein Einkaufszentrum mit 1400 Geschäften, und im litauischen Vilnius ging ein Lagerhaus eines Ikea-Zentrums in Flammen auf. Die mutmasslichen Brandanschläge – und es liessen sich noch weitere aufzählen – haben nach Einschätzung von europäischen Sicherheitsbehörden und Regierungen einen Bezug zu Russlands hybridem Krieg gegen den Westen.

Als Urheber dieser Brände in den letzten zwei, drei Monaten gelten russische Geheimdienste, allen voran der Militärgeheimdienst (GRU). Und es sind nicht nur Brandanschläge, die zunehmende Besorgnis auslösen. In Polen zum Beispiel soll eine Gruppe geplant haben, Bahnlinien für Waffenlieferungen an die Ukraine auszuspähen und zu sabotieren. Im Mai wurden in Polen 18 Personen mit verdächtigen Russlandverbindungen festgenommen. Schon im April flogen im bayrischen Bayreuth zwei Russlanddeutsche auf. Sie wollten einen US-Militärstützpunkt auskundschaften, um Sabotageakte durchzuführen. Russlands Geheimdienste und ihre lokalen Helfer sind immer aktiver in der EU.

Bahnverkehr könnte lahmgelegt werden

Feindselige Aktivitäten aus Russland «werden nachhaltig zunehmen», sagt der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch. Wladimir Putin habe ja als Reaktion auf die Freigabe westlicher Waffen für den Einsatz auf militärische Ziele in Russland Vergeltungsmassnahmen angedroht. Mit Blick auf Deutschland rechnet Schmidt-Eenboom vor allem mit einer Zunahme von Cyberangriffen, etwa auf staatliche Institutionen oder die kritische zivile Infrastruktur.

«Auch Sabotageakte und -versuche werden sich häufen», meint Schmidt-Eenboom. Deutschlands Verfassungsschutz stellte kürzlich ebenfalls «ein erhöhtes Risiko» russischer Sabotageakte fest. Gemäss Schmidt-Eenboom ist zum Beispiel denkbar, dass der Bahnverkehr in bestimmten Regionen für bestimmte Tage lahmgelegt wird. Dabei gibt der Geheimdienstexperte zu bedenken, dass das Agenten des GRU in Deutschland schon eine Menge von Aufklärungsoperationen durchgeführt habe. Die Kommunikationsnetze der Bahn zu beeinträchtigen, sei einfach für Profis, sagt Schmidt-Eeenbon.

Dabei erinnert er an einen Vorfall im Oktober 2022, als eine Sabotage den Zugverkehr in Nordrhein-Westfalen und anderen Teilen Deutschlands zum Stillstand gebracht hatte, weil an zwei Orten wichtige Kabel durchtrennt worden waren.

Schon damals hatten Sicherheitsexperten rasch die Vermutung geäussert, dass Russland hinter dem Angriff auf die Bahn stehen könnte. Beweisen konnte man das nicht. Im Herbst 2022 war in Deutschland darüber gestritten worden, ob Leopard-Panzer an die Ukraine geliefert werden sollen.

Ausweitung des hybriden Kriegs

Russlands Hybridkrieg – unter anderem mit Cyberangriffen und Spionage, Migrationsbewegungen und Desinformationskampagnen – ist schon lange im Gang. Seit dem Grossangriff auf die Ukraine wird er noch entschiedener geführt. In den EU-Ländern möchte Russland die Unterstützung der Ukraine mit westlichen Waffen sabotieren, die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten beeinflussen, auch Verunsicherung und Angst stiften oder Vergeltung üben. Neu ist nur, dass der Kreml offenkundig beschlossen hat, verdeckte Angriffe gegen die Ukraine-Unterstützer in Europa auszuweiten und zu verschärfen. (Lesen Sie zum Thema auch unser Interview mit der früheren Nato-Strategin Stefanie Babst: «Russland hat uns den Krieg erklärt».)

Ein Beispiel aus den letzten Wochen sind die Störungen der GPS-Systeme des Flugverkehrs im Ostseeraum. Gerade die baltischen Staaten sind schon länger hybriden Angriffen Russlands ausgesetzt. Letzten Monat warnte die Nato vor «bösartigen Aktivitäten Russlands in Europa», inklusive Sabotageakten und sogar Bombenanschlägen. Im Fokus stehen Grossbritannien, die drei baltischen Staaten, Tschechien, Polen und Deutschland. Zuletzt häuften sich hybride Aktivitäten auch in Frankreich. Estlands Premierministerin Kaja Kallas sprach kürzlich von einem «Schattenkrieg Russlands» gegen den Westen.

Putin darf nicht übertreiben

Nach Ansicht von Schmidt-Eenboom hat Putin zwar den Mund sehr voll genommen mit der Androhung von Vergeltungsmassnahmen, aber er wird bestimmte Grenzen nicht überschreiten, was Deutschland anbelangt. «Wenn die Russen Deutschland allzu sehr reizen, sähe Kanzler Olaf Scholz sich möglicherweise auch aus der eigenen Koalition gezwungen, doch noch zugunsten von Taurus-Lieferungen zu entscheiden.» Die Ukraine fordert schon lange Taurus-Marschflugkörper. Damit liesse sich die Krim-Brücke zerstören, die für den Nachschub der russischen Armee enorm wichtig ist.

Auch bei den Cyberattacken gegen Europa dürfe Russland den Bogen nicht überspannen, sagt Schmidt-Eenboom. Ansonsten steige die Wahrscheinlichkeit, dass Nato-Staaten zu konzertierten Gegenangriffen übergehen. «Das würde Russland sehr hart treffen», sagt der Geheimdienstexperte. «Bei Cyberangriffen sind die Russen ausgesprochen gut, nicht aber bei der Abwehr.»

Bislang würden die Nato-Staaten auf Cyberangriffe verzichten, aber es werde innerhalb der Allianz eine Diskussion geführt über den Umgang mit Cyberangriffen aus Russland. In dieser Frage sei letztlich die Haltung der USA entscheidend.

Russland testet die Nato

Nach Einschätzung von Schmidt-Eenboom werden Polen und Tschechien sowie die drei baltischen Staaten die Vergeltungswut des Kreml am meisten zu spüren bekommen. «Da haben die Russen absolut keine Hemmungen, mit Sabotagehandlungen vorzugehen.»

Gerade in Polen müsse man angesichts der wilden Rhetorik des ständig pöbelnden und drohenden russischen Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew durchaus davon ausgehen, dass sogar Sprengstoffanschläge auf das polnische Bahnnetz möglich seien.

Bei allen Feindseligkeiten gegen den Westen wird Russland so vorgehen, dass es unterhalb der Schwelle eindeutiger kriegerischer Aktivitäten bleibt, sodass der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags nicht ausgelöst wird. Zugleich soll die Glaubwürdigkeit der Beistandsgarantie untergraben werden, weil die Nato nicht geschlossen auf Aggressionen reagiert.

«Wenn wir nicht antworten, werden diese Angriffe zunehmen», sagte Lettlands Präsident Edgars Rinkevics der «Financial Times». Allerdings habe die Nato noch keine effektive Lösung gefunden – aus Sorge vor einer Überreaktion, die zu einer Eskalation führt.