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Russen-Offensive in Ukraine
Fällt Tschassiw Jar, können schnell weitere Städte folgen

A Ukrainian tank of the 17th Tank Brigade fires at Russian positions in Chasiv Yar, the site of fierce battles with the Russian troops in the Donetsk region, Ukraine, Thursday, Feb. 29, 2024. (AP Photo/Efrem Lukatsky)
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Der Wetterbericht für Tschassiw Jar ist gut. Windig, aber trocken. Am Donnerstag werden bis zu 26 Grad Celsius erwartet. Regen ist nicht in Sicht – und das ist nur eines der Probleme, mit denen die Armee der Ukraine in der Region derzeit kämpft.

Weil das Frühjahr trockener ist als normalerweise, konnten die russischen Invasoren bereits wieder ihre Angriffe mit gepanzerten Fahrzeugen aufnehmen. Im Frühling und im Herbst, wenn es viel regnet, verwandeln sich die fruchtbaren ukrainischen Äcker regelmässig in Schlammwüsten, die jede Panzerkolonne zum Stillstand bringen. Vorstösse sind dann nur noch auf befestigten Strassen möglich.

«Starker Ansturm» der Russen auf Tschassiw Jar

In diesem Jahr war die sogenannte weglose Zeit an vielen Orten allerdings vergleichsweise kurz. So warnte vor ein paar Tagen der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Sirski, die Lage an der Front habe sich «bedeutend verschlechtert», an vielen Orten im Osten des Landes würden wieder gepanzerte russische Verbände vorstossen. (Lesen Sie auch den Artikel über die Lage in Charkiw: «Dann muss die Ukraine weiter zurückweichen».)

Einer dieser Orte ist noch immer die Gegend um die Stadt Bachmut, genauer das etwa zehn Kilometer entfernte Tschassiw Jar. Bereits im März soll die russische Armee dort Truppen zusammengezogen und laut einem ukrainischen Armeesprecher einen «starken Ansturm» auf die Stadt unternommen haben.

Bislang blieben die Angriffe erfolglos, aber Oberbefehlshaber Sirski sagte am Wochenende, die russische Armee plane, bis zum 9. Mai, dem Gedenktag des Sieges über Nazideutschland, die Stadt einzunehmen. Ob solche Pläne auf russischer Seite wirklich existieren, ist nicht klar. Dass um Tschassiw Jar derzeit heftig gekämpft wird und diese Schlacht eine der entscheidenden des Krieges sein könnte, wird dagegen immer klarer.

Im Gegensatz zu vielen anderen Orten, von denen das im Laufe des Krieges in der Ukraine schon behauptet wurde, ist Tschassiw Jar tatsächlich von grosser strategischer Bedeutung. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe und war in den vergangenen Jahren, vor allem während der blutigen Kämpfe um Bachmut, eine vorgeschobene Artilleriestellung sowie ein wichtiger Rückzugsort der ukrainischen Armee.

Während der Gefechte um Bachmut hiess es immer, wenn die Stadt fallen sollte, wäre das strategisch verkraftbar, dann würden die russischen Truppen eben wenige Kilometer weiter bei Tschassiw Jar aufgehalten. Dieses Worst-Case-Szenario ist nun aber eingetreten: Russische Truppen, darunter auch gut ausgebildete Fallschirmjäger, sollen inzwischen die Stadtgrenze erreicht haben.

Moskau will symbolische Trophäe zum 9. Mai

Im Gegensatz zu anderen Frontabschnitten ist Tschassiw Jar stark befestigt. Die ukrainische Armee soll um die Stadt mehrere Verteidigungslinien aus Schützengräben, Minenfeldern und Panzersperren errichtet haben. Dazu verläuft parallel zur Frontlinie ein Kanal, der russische Vorstösse mit Panzern auf das Stadtzentrum schwer machen dürfte. Womöglich wird um die Stadt ein ähnlich verlustreicher Infanteriekampf wie um Bachmut entbrennen.

Es ist allerdings nicht klar, ob die ukrainischen Truppen solche zermürbenden Gefechte durchhalten können. Neben dem Mangel an Personal und Artilleriemunition soll inzwischen auch die Moral der ukrainischen Soldaten deutlich nachgelassen haben. Noch immer sollen zudem auch Hunderte Zivilisten in der Stadt ausharren.

This photograph taken on April 11, 2024, near the town of Chasiv Yar, in Donetsk region, shows smoke rising from fires after bombing. (Photo by Anatolii STEPANOV / AFP)

Moskau wird alles daransetzen, Tschassiw Jar einzunehmen, und das nicht nur als symbolische Trophäe zum 9. Mai. Denn die Stadt könnte der Dominostein sein, der die ukrainische Verteidigung zumindest teilweise zusammenbrechen lässt.

Ein Sprecher der ukrainischen Armee sagte dem Newsportal «Politico», eine Eroberung Tschassiw Jars würde alle umliegenden Städte in Gefahr bringen: «Falls die russischen Besatzer es schaffen, diese Stadt einzunehmen, haben sie die Möglichkeit, Angriffe auf Kostjantiniwka, Druschkiwka, Kramatorsk und Slowjansk zu starten», sagte der Sprecher.

Neue US-Hilfe könnte Moral der Ukrainer stärken

Diese Städte sind zudem auch wichtige Verkehrsknotenpunkte. Sollte es die russische Armee schaffen, sie auch noch einzunehmen oder es für die ukrainische Armee unmöglich zu machen, sie zu halten, dann wäre ein Grossteil der Region Donezk unter russischer Kontrolle.

Laut einer Mitteilung von Oberbefehlshaber Sirski auf Telegram sollen die ukrainischen Truppen in der Stadt mit Munition, Drohnen und Mitteln zur elektronischen Kriegsführung ausgestattet worden sein. Es sei aber auch nötig, die Ausbildung sowie die Moral und die «psychologische Komponente» zu verbessern.

Ein nun anstehender Entscheid des US-Kongresses über weitere amerikanische Militärhilfen für die Ukraine könnte zumindest kurzfristig die Moral heben. Ansonsten bleibt den ukrainischen Verteidigern nur, zu hoffen, dass es wenigstens noch einmal regnet.