Undurchsichtiger Online-ModehandelTrotz Nachhaltigkeits-Versprechen: Zalando-Retouren reisen quer durch Europa
Die grösste Modehändlerin Europas wollte die Rücksendungen umweltfreundlicher gestalten. Eine Recherche aus Deutschland zeigt nun das Gegenteil.
Bei Zalando bestellen Millionen Kundinnen und Kunden – darunter Hunderttausende Schweizerinnen und Schweizer – ihre Kleider, Schuhe und Accessoires. Die Firma verspricht, 97 Prozent der retournierten Artikel zurückzunehmen und sie wiederzuverkaufen. Nun haben Recherchen der «Zeit» aus Deutschland neue Fakten ans Licht gebracht. Sie kommen zum Schluss, dass die retournierten Artikel teilweise lange Wege quer durch Europa zurücklegen. Zudem werden offenbar mehr Kleider vernichtet, als bisher angenommen.
Für ihre Recherche haben die Journalistinnen in zehn bei Zalando bestellten Kleidungsstücken Geo- respektive Bluetooth-Tracker eingenäht. Damit konnten sie den Weg der Retouren verfolgen und anschliessend selber dorthin reisen, wo die zurückgeschickten Kleider weiterverarbeitet werden.
So hat sich gezeigt: Insgesamt haben die zehn mit Sendern ausgestatteten Retouren 28’822 Kilometer zurückgelegt. Eindrücklich ist der Trip eines Babystramplers: Er reiste 7000 Kilometer kreuz und quer durch Europa mit Stopps etwa in Skandinavien oder in der Ortschaft Gardno in Polen, wo ein Partnerunternehmen ein Rücksendezentrum für Zalando betreibt.
Polen kennt weniger strenge Gesetze bei Warenvernichtung
Laut der «Zeit» hat der Mode-Riese vermutlich aus rechtlichen Gründen ein Grossteil der Retourenbearbeitung vom deutschen Erfurt nach Gardno ausgelagert. Das polnische Dorf liegt keine zehn Kilometer entfernt von der Grenze zu Deutschland. Der vermutete Grund für den Ortswechsel: In Polen ist die Gesetzeslage betreffend Vernichtung von Waren und Retouren eine andere als in Deutschland, wo Zalando seinen Hauptsitz hat.
Die «Zeit» zitiert eine ehemalige Teamleiterin im Rücksendezentrum von Gardno. Sie habe gesagt, dass Kleidung, die dreckig war oder gerochen habe, aber auch Neuware, bei der ein Barcode fehlte, in grossen Mengen geschreddert worden war. An der Wand seien Schachtöffnungen angebracht gewesen. In diese hätten sie die Kartons mit wegsortierter Kleidung ausgekippt.
Konfrontiert mit diesen Aussagen, entgegnet Zalando gegenüber der «Zeit», dass fast alles so Weggeworfene Verpackungsmaterial sei. Generell würden nur in Ausnahmefällen Kleidungsstücke vernichtet. Der Geruch von Parfüm gehöre nicht dazu. «Sofern Kundinnen Geruch als Retourengrund angeben, reinigen wir den entsprechenden Artikel», so Zalando-Sprecher Lars Müller.
Zalando berechnet Kleider von Partnerfirmen nicht
Der Augenschein vor Ort hingegen zeigt eine andere Realität. Die Versprechen Zalandos, weniger als 0,05 Prozent der Retouren zu vernichten, sei nur schwer mit den Aussagen der Mitarbeitenden in den Retourenzentren vereinbar, heisst es in der «Zeit».
Gegenüber dem Blatt gibt Zalando sogar zu, die versprochenen 97 Prozent Artikel, die in den Wiederverkauf gelangen, würden nicht alle Artikel einschliessen. Ausgenommen sind jene, die von Partnerfirmen über die Zalando-Website verkauft und von ihnen auch als Retoure direkt abgewickelt werden.
Aktuell sind über 1600 Marken und Händler Zalando-Partner, etwa die Hälfte behandelt die Retouren selber. «Sie verkaufen im eigenen Namen Kleidung über Zalando und nehmen die gegebenenfalls anfallenden Retouren in ihren eigenen Bestand zurück, um sie wieder über unsere Plattform oder eigene oder alternative Kanäle anzubieten», so Zalando.
Das heisst: Zalando weiss nicht, was mit all diesen Retouren geschieht. Dennoch steht Zalandos Nachhaltigkeitsversprechen über der gesamten Marke, die in den vergangenen Jahren zu einem riesigen, komplizierten Geflecht aus Eigenmarken, Partnerunternehmen, Logistikfirmen und Sortierzentren angewachsen ist.
Und zum Grund für die Zickzack-Reise der Zalando-Retouren quer durch Europa sagt der Moderiese: Die Retouren würden für die nächste Bestellung nicht aus den Retourenzentren verschickt, sondern in grosser Stückzahl gebündelt und innerhalb des Netzwerkes in eines der Logistikzentren gebracht. Von da aus werde es dann zum Kunden geliefert.
«In welchem unserer Logistikzentren die Artikel eingelagert werden, entscheiden wir unter anderem danach, wie wahrscheinlich ein Wiederverkauf in der Region des entsprechenden Standortes respektive Marktes ist», erklärt Zalando-Sprecher Müller gegenüber dieser Redaktion. Es könne daher vorkommen, dass ein retournierter Artikel vergleichsweise längere Strecken zurücklege, um den Wiederverkauf und somit die weitere Nutzung zu ermöglichen.
Kleidertransporter kreisen ständig durch Europa
In der Schweiz hat Zalando in Arbon und Neuendorf Retourenzentren, die durch externe Firmen betrieben werden. Wie viele der von Schweizer Kunden zurückgeschickten Artikel dort landen, ist offen. Hinter die Kulissen blicken zu können, ist schwierig. Einen im Juni 2022 mit dieser Redaktion vereinbarten Termin für einen Besuch im Arboner Zalando-Retourenzentrum sagten die Verantwortlichen kurzfristig wieder ab. Es seien dort weder Journalistinnen noch Fotografen erlaubt, so die Begründung.
Aus dem «Zeit»-Artikel geht hervor, dass die Irrwege der Retouren mitunter in «predictive Analytics» begründet sind. Jede Fahrt eines Kleidungsstücks mit dem Lastwagen beruhe auf einer Spekulation, wo das Kleidungsstück als Nächstes am ehesten bestellt werden könnte. Weil Algorithmen immer wieder neu berechnen, wo ein Kleidungsstück am ehesten gekauft werden könne, kreisen Transporter ständig durch ganz Europa.
Und wegen der hohen Rücksendequoten seien Retourenzentren von Mode-Onlinehändlern mitunter überfüllt. Was nicht mehr reinpasst, werde daher schnell wieder in einen Lastwagen verfrachtet und auf eine Reise quer durch die Absatzmärkte geschickt.
Mitarbeit: Edith Hollenstein
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