Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Fiat Grande Panda» und andere
Warum ist das Auto von heute so hässlich?

Grosser SUV und kleiner FIAT 500 parken hintereinander auf Elgin Crescent, Notting Hill, umgeben von Herbstlaub, London 2018.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Kürzlich sassen vier Menschen zwischen Ende zwanzig und Mitte vierzig um einen Tisch in der Schweiz, ein Ökonom, ein Journalist, ein Fotograf, eine Medizinerin.

Alle vier spielten mit dem Gedanken, sich ein Auto zuzulegen – ja, das wird tatsächlich noch getan. Alle waren sich einig, wenn, dann ein älteres Modell zu kaufen, einen Gebrauchten. Alle stellten nämlich unabhängig voneinander eine Beobachtung an: Neue Autos hätten weder ein besonderes Design noch Charakter, dafür aufgepumpte Formen und auch sonst zu viel von allem, erinnerten eher an Andrew Tate als an Alain Delon.

Die Tischrunde zog über Autos aus der Gegenwart her, als wären sie Vehikel aus dem Höllenschlund.

Doch ist an diesem Eindruck etwas Wahres dran, oder haben sich die vier von ihrer Emotion leiten lassen und sind etwas anheimgefallen, was Menschen gern beschleicht, wenn sie an früher denken: Nostalgie? War früher nicht alles besser, der Butterzopf, der Arbeitsplatz, der amerikanische Präsident – und der Renault R4?

Gelber Oldtimer Renault R4 fährt auf einer Strasse auf Mallorca vorbei an Wohngebäuden, fotografiert am 18. Mai 2024.
Ein blauer SUV parkt vor einem modernen Gebäude, umgeben von üppiger Vegetation und Bäumen.

Zeit also, herauszufinden, ob die am Tisch aufgestellte These richtig ist: Sind Autos von heute hässlich?

1. Halt: Die Autofabrik

Das Gute an unserer vermessenen Welt ist: Es liegen Daten vor. In der Schweiz sind unter den aktuell zehn beliebtesten Neuwagen sechs SUVs. Die Idee von einem schlanken Leben scheint beim Autokauf also keine Rolle zu spielen. Wir wollen – Klimawandel hin, CO₂-Bilanz her – das Grösser, Schneller, Weiter, Mehr.

Die Hersteller halten mit diesem Wunschdenken auch nicht mehr hinterm Berg. Opel etwa hat eines seiner Modelle «Grandland» getauft, ein italienischer Autofabrikant derweil hat einen Klassiker, der für sein einfaches Design weltweit geschätzt wird, zu einem monströsen Vehikel hochgerüstet – und ihm den Namen «Fiat Grande Panda» gegeben.

Gelbes Auto auf einer von Bäumen gesäumten Strasse bei sonnigem Wetter.
Grüner Fiat Panda im 80er-Jahre-Design auf einer Strasse in Cremona, Italien, Mai 2023.

Diese zwei Modelle und die sechs SUVs auf der Schweizer Beliebtestenliste deuten darauf hin, dass uns ein charakteristischer Auftritt bei Autos nicht mehr interessiert. Denn: Fallen wirklich Unterschiede auf zwischen einem VW Tiguan, einem Mercedes-Benz GLC, einem BMW X1, einem Audi Q3, einem Škoda Karoq und einem Škoda Kodiaq – und damit Platz drei bis acht der Jahresbestenliste?

Und im Innenraum? Auch hier scheint mehr mehr zu sein; dennoch herrscht Eintönigkeit. Touchscreen, Schalter, Knöpfe, Hebel, das Auto blinkt, tönt und spricht zu uns, wir verstehen es trotzdem oft nicht mehr. Hätten Designer wie Dieter Rams – zuständig für das minimalistische Braun-Design und für die frühen Geräte von Apple – Freude daran gehabt? Wohl nicht.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Neben dem Dauer(ver)brenner aus der Mittelklasse, dem VW Golf, ist nur ein Kleinwagen in den Top 10: der Toyota Yaris. In weniger sensibilisierten Zeiten nannte manche Menschen ihn mit seinem sportlich-aggressiven Design «Hausfrauenporsche». Er hat den Charme eines Airfryers.

Solide ist der oft als Kombi erworbene Škoda Octavia, aber als Designklassiker geht er nicht durch. Auf Platz eins der meistgekauften Autos in der Schweiz ist das Model Y von Tesla. In einem Kühlschrank herumzufahren, würde wahrscheinlich mehr Emotionen auslösen als dieses Auto. Auch in Reddit-Foren wird sein monotones Erscheinungsbild diskutiert: dass er aussehe «wie ein billiger Toyota» und der Innenraum «so ein deprimierender Ort» sei, sind noch die netteren Kommentare.

Das neue Tesla Model Y Elektroauto wird Journalisten am 23. August 2021 in Pruhonice, Tschechien, präsentiert.

2. Halt: Der Gebrauchtwagenhändler

Occasionsfahrzeuge werden in der Schweiz viel stärker nachgefragt als Neuwagen. Während 245’552 Autos im Jahr 2024 neu zugelassen wurden, wechselten rund dreimal so viele Gebrauchte den Besitzer, 769’309. Dadurch spart sich unsere Gesellschaft wertvolle Rohstoffe und CO₂ für die Produktion eines neuen Autos – und so ist ungeniert zu behaupten: Eigentlich sind Gebrauchtwagenfahrer Umweltschützer.

Ausserdem brauchen ältere Modelle oft weniger Platz, was gerade in Städten wichtig ist. Neuwagen werden tendenziell von Jahr zu Jahr grösser (der achte Golf ist 57 Zentimeter länger als der Ur-Golf), die Parkplatzangebote aber wachsen nicht. Ein Gebrauchtwagen ist also – trotz mitunter schlechterer Abgaswerte – ein besserer Deal für die Umwelt.

Eine Reihe von acht Volkswagen Golf Autos in verschiedenen Modellen und Farben vor einer Berglandschaft, mit einem auffälligen gelben Golf im Vordergrund.

3. Halt: Das Auto der Gegenwart, der SUV

Dennoch kaufen wir als Neuwagen am liebsten SUVs, die uns in Zeiten der Multikrisen wie eine Kapsel der Geborgenheit vorkommen mag. Da ist es egal, dass ihr Verbrauch in der Regel weit höher ist als der eines Fiat Cinquecento aus den Sechzigerjahren. «Die Industrie hat es mit geschicktem Marketing geschafft, ein Bedürfnis zu wecken, um neue Käuferschichten zu erschliessen», heisst es zum SUV-Trend seitens des Münchner Verkehrspsychologen Wolfgang Fastenmeier.

Viele Experten, darunter der Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer, glauben, dass die Autos deshalb immer grösser werden, weil das Macht und (finanzielle) Potenz ausstrahlen würde. Auch Verkehrspsychologe Fastenmeier sagt, Menschen kauften sich mit einem SUV «auch soziale Anerkennung – tatsächlich oder nur vermeintlich». Wobei «vermeintlich» das Schlüsselwort ist. Denn taugen SUVs, wenn sie doch fast jeder fährt, noch zur Distinktion?

4. Halt: Das Designbüro

Paolo Tumminelli, geboren im Zentrum des europäischen Designs, Mailand, ist Professor für Designkonzepte an der Technischen Hochschule Köln. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Automobilität aus der Perspektive einer globalen Konsumkultur; er arbeitete für Alfa Romeo, schrieb Bücher über das Design von Autos und veranstaltet jährlich ein Symposium namens «Cars Are Us», wir sind Autos. Derzeit lehrt er auch in Peking.

Frage an Tumminelli: Wie hätte er in besagter Tischrunde, die zeitgenössische Autos ablehnt, reagiert? Er hätte in den Chor eingestimmt, antwortet der Designer. Er selber kaufe auch keine Autos neueren Datums mehr, er fahre einen Mazda MX5 aus den Neunzigern und drei alte Pandas. Er sehe auch keinen Grund, sie zu ersetzen.

Mann fährt weissen Kleinwagen auf einer Landstrasse mit Rasen und Bäumen im Hintergrund.

Was folgt, ist eine Abrechnung mit zeitgenössischem Autodesign. «Es gibt keine Kleinwagen mehr, es gibt keine Coupés mehr, es gibt keine zweitürigen Limousinen mehr, es gibt keine dreitürigen Autos mehr. Was es dagegen fast ausschliesslich gibt, ist der mittlere SUV – oder eine sportliche Limousine», sagt Tumminelli. «Die Autos von heute haben eine verschwommene Identität.»

Mann in weissem Hemd und dunklen Jeans steht mit verschränkten Armen vor einem Verkehrsschild mit Pfeilen, umgeben von Bäumen.

Es herrsche nicht nur eine Krise des Designs, sondern der Autoindustrie an sich. Eines der Probleme sei, dass die Hersteller – egal ob VW und seine Marken (etwa Volkswagen, Audi, Seat, Cupra, Škoda) oder Stellantis (zum Beispiel Citroën, Fiat, Opel, Peugeot, Chrysler, Jeep, Lancia, Alfa Romeo) – mittlerweile alle ihre Autos auf sogenannten Plattformen bauen. «Ein Designer hat im Grunde genommen eine Plattform, die ganz klare Vorgaben mit sich bringt, und darauf muss er dann 20 verschiedene Modelle bauen.»

Daher sagt Tumminelli: «Ein Golf und ein Passat sind mittlerweile ein und dasselbe Auto. Genauso wie alle Škodas, alle Seats, alle Audis, alle Volkswagen und Cupras.»

In den Autos seien die gleichen Windschutzscheiben und zum Teil die gleichen Türen verbaut. «Was kann ein Designer da anderes tun, als witzige Scheinwerfer oder auffälligere Autogrille zu entwerfen?» Früher sei ein Golf als Golf, ein Käfer als Käfer und ein Panda als Panda gebaut worden. Heute gebe es einen baugleichen Radkasten für vielerlei Fahrzeuge – und somit teils ungenutzten Leerraum. Das sei neben Komfort-, Aerodynamik- und Sicherheitsgründen auch eine Erklärung, warum Autos heute so gross sind.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Und wie sieht Tumminellis Lösung für dieses Problem aus? Es bräuchte einerseits Reduktion, anderseits Effizienz und Sinnhaftigkeit im Tun, sagt er. «Wir sollten wieder demütig sein. Der Golf war ein demütiges Auto, nun ist er ein Luxuswagen.» Die Industrie sollte auf unsere Handys schauen – «dort gibt es keinen Freiraum, sondern die absolute Effizienz.»

In den heutigen Autos würden dagegen Assistenzsysteme verbaut, die ein Drittel des Kaufpreises ausmachen, aber im Grunde unnötig sind. Gleiches gelte für den Innenraum. Warum müssten wir derart überfordert werden? Und: Sollten die Hebel für Blinker, Handbremse, Scheibenwischer nicht wie früher stets an der gleichen Stelle sein? Diese Kontraintuition nervt Tumminelli, weswegen er fordert, solche sicherheitsrelevanten Dinge zu normieren.

Könnte die Zukunft unserer Autos so aussehen wie in Havanna – ein Schritt zurück in die Vergangenheit?

Er geht sogar so weit, dass er das «Kuba-Modell» vorschlägt. «Wir sollten aufhören, Autos zu bauen. Wir sollten, wie in Kuba, mit den Autos leben, die wir bereits besitzen.» Das klingt nach einer radikalen Idee. Dass Tumminelli aber keine ideologischen Scheuklappen trägt, zeigt sich in dem, was er danach sagt: «Das einzige mutige Auto der Gegenwart ist Teslas Cybertruck.» Eines, das sage: «Hier bin ich King.»

Ein Mann sitzt in einem Tesla-Fahrzeug mit hochgereckter Faust während der Tesla Takedown Proteste vor einem Tesla-Händler in Owings Mills, Maryland, am 29. März 2025.

In Ländern wie Japan dagegen findet Tumminelli die einfachen Kei-Cars «stilistisch herrlich». Kei-Kars sind baukastenartige Kleinstkisten, die eine Menge Platz bieten und die Strassen zwischen Kyoto und Tokio dominieren. Mittlerweile gelten sie als eine Art asiatischer Volkswagen. Zu uns hat es dieses Konzept noch nicht geschafft. Schade, denn praktisch wäre es – und auch das Design würde sich von der Masse abheben.

Weisse Kei-Car parkt auf einem automatisierten Parkplatz von Repark in Tokio, Japan, November 2016. Beschilderung mit Parkpreisen sichtbar.

Da wären wir also wieder bei der Distinktion. Was hat Paolo Tumminelli dazu zu sagen?

«Das zeitgenössische Auto in Europa ist eine blosse glänzende Kompromisslösung.» Seine überproportionalen Formen erinnerten ihn an aufgepumpte Männer oder an Frauen, die ihre Lippen und Brüste mit Silikon aufspoilern. Um sich wirklich abzusetzen, müsste man sich schon ein altes Auto zulegen. Tumminelli überlegt sich gerade, genau wie ein Teilnehmer der Schweizer Tischrunde, einen Fiat Multipla zu kaufen. Er gilt als das hässlichste Auto der Welt.

Ein rotes Auto ist vor einem Gebäude mit der Aufschrift ’STRANDHOTEL’ geparkt. Zwei Personen mit Gepäck nähern sich dem Eingang.

Unser Autor beschäftigt sich immer wieder mit Autos. Auch er fährt zwei Kleinwagen, einen Cinquecento aus den Sechzigern und einen Panda aus den Neunzigern.