Länger, breiter, höherDas Auto platzt aus allen Nähten
Seit den 1970er-Jahren werden unsere Fahrzeuge grösser und grösser. Wer nun denkt, die Elektromobilität drehe diesen Trend um, der irrt.

Für die damalige Zeit war das schon gross: 2,70 Meter lang, 1,40 Meter breit und 1,45 Meter hoch, das waren die Abmessungen des ersten Autos der Welt, des Patent-Motorwagens von 1886. Seit diesem von Carl Benz erbauten motorisierten Dreirad werden unsere Fahrzeuge immer sicherer, komfortabler und moderner – und als Begleiterscheinung davon immer grösser. Ein Blick auf das heutige Strassenbild zeigt es deutlich: Das Auto platzt aus allen Nähten.
In den 1960er-Jahren erlebte dieser Trend in den USA einen ersten Höhepunkt – damals durfte ein zweitüriges Coupé wie der Cadillac Eldorado Fleetwood gerne auch über fünfeinhalb Meter lang sein. Wenig später löste dann die Ölpreiskrise 1973 eine merkliche Korrektur aus: Während in der Schweiz als Reaktion auf die frappant gestiegenen Treibstoffpreise Sonntagsfahrverbote sowie eine temporäre Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h auf der Autobahn (und als Folge davon das bis heute gültige Tempolimit von 120 km/h) beschlossen wurden, begannen die Autohersteller rund um den Globus mit der Entwicklung deutlich kleinerer und effizienterer Autos.
SUV als Wachstumstreiber
Allen voran in Japan – dort waren kleine Autos seit jeher äusserst beliebt und sind es noch heute. Die sogenannten Kei-Cars, possierliche Kleinstwagen, die nach aktuellen Regeln kürzer als 3,40 Meter und schmaler als 1,48 Meter sein müssen, um in diese Kategorie eingestuft zu werden, sind nach wie vor äusserst beliebt und omnipräsent auf den Strassen Japans. Doch auch die Kei-Cars wachsen: Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Fahrzeugklasse nämlich noch auf eine Länge von unter zwei Metern und eine Breite von unter einem Meter beschränkt.

Anders als in Japan sind bei uns generell grössere Modelle gefragt. Zwar lag 2024 (per Ende November) mit dem Toyota Yaris ein unter vier Meter langer Kleinwagen auf Platz 8 der Verkaufscharts – alle anderen Modelle in den Top 10 waren jedoch deutlich grösser. Acht der zehn meistverkauften Autos waren SUVs. Diese hochbauende und oft besonders breite Karosserievariante boomt weiterhin ungebremst: Gemäss einer Studie des französischen Marktanalysten Inovev stieg der Anteil der SUVs in Europa von drei Prozent im Jahr 2000 auf 46 Prozent im Jahr 2023. In den USA, dem Geburtsland dieser Fahrzeuggattung, wurden im vergangenen Jahr 7,6 Millionen SUVs verkauft, was ebenfalls rund der Hälfte des Gesamtmarktes entspricht. In China waren es sogar 11,2 Millionen. Inovev rechnet damit, dass die weltweiten SUV-Verkäufe in den nächsten zwei Jahren von heute 32 auf 35 Millionen pro Jahr ansteigen werden.
Auch Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer sieht den SUV-Trend als klaren Wachstumstreiber. «Die Autos werden grösser, weil es chic ist und bequem. Es strahlt Mächtigkeit aus, in einem grossen Auto zu sitzen.» Auch für ihn sei es eine Qual, in ein niedriges Auto einzusteigen, schliesslich sei er keine 18 mehr, sagte der «Autopapst» in einem Interview mit der österreichischen Zeitung «Kurier». «Also will man lieber höher sitzen.» Immerhin: In Europa sind in erster Linie die Kompakt-SUV beliebt – sie machen aktuell knapp 23 Prozent am europäischen Automarkt aus.

Wobei es «Kompakt» zu relativieren gilt: War der VW Golf, der Inbegriff der Kompaktklasse, bei seinem Debüt 1974 noch 3,71 Meter lang, misst die aktuelle achte Modellgeneration heute stolze 57 Zentimeter mehr. Das zieht sich quer durch die Segmente: Der kleine Fiat 500 ist heute 60 Zentimeter länger als bei seiner Markteinführung 1957, die Oberklasselimousine Mercedes-Benz S-Klasse war 1972 schon stattliche 4,96 Meter lang, heute sind es nochmals 22 Zentimeter mehr. Die in Europa produzierten Autos sind heute im Durchschnitt sieben Zentimeter höher, zehn Zentimeter breiter und 20 Zentimeter länger als noch im Jahr 2000, rechnet Marktbeobachter Inovev vor. Das Durchschnittsgewicht stieg in diesem Zeitraum um 20 Prozent an, auf rund 1,5 Tonnen.
Batterien brauchen Platz
Wer nun glaubt, die Elektromobilität werde die Autos auf eine vernünftige Grösse zurückstutzen, weil es bei dieser Antriebsart ja eigentlich darum gehen sollte, möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein, der irrt. Tatsächlich geht Inovev vom Gegenteil aus: Die Marktexperten sehen die Elektroautos neben dem SUV-Trend als eine der Hauptursachen, wieso die Autos in den letzten Jahren so stark gewachsen sind.
Klar: Für eine anständige Reichweite braucht es eine grosse Batterie, und diese braucht Platz im Fahrzeugboden zwischen den beiden Achsen – da werden die Autos eben länger. Zwar sammeln winzige Stromer wie der Renault Twizy, der Citroën Ami oder der Schweizer Microlino fleissig Sympathiepunkte auf unseren Strassen. Doch ein Blick in die Verkaufszahlen zeigt: Auch die Käufer eines E-Autos wollen Platz. Die meistverkauften Stromer in der Schweiz, der Tesla Model Y (4,75 Meter) und der Skoda Enyaq (4,65 Meter), sind von klein und vernünftig weit entfernt.

Auch bei den Stromern geht der Trend weiter in Richtung Wachstum. SUVs wie der Kia EV9, der Tesla Model X oder der Lotus Eletre sind länger als fünf Meter, genauso wie elektrische Limousinen wie der Tesla Model S, der Mercedes EQS oder der BMW i7, der mit seinen 5,39 Metern jedes Parkfeld überragt. Der technisch eng verwandte Rolls-Royce Spectre ist mit 5,45 Metern sogar noch ein Stück länger. Dennoch sind das Winzlinge im Vergleich zum 6,29 Meter langen Elektro-Pick-up Ford F-150 Lightning, dem aktuell längsten Stromer, der offiziell in der Schweiz angeboten wird.
Kein Umkehrtrend in Sicht
Die Länge ist das eine – doch die Autos gehen auch immer mehr in die Breite. Eine Auswertung der NGO Transport & Environment zeigt: Neuwagen in der EU sind in den letzten 20 Jahren im Schnitt um 10 Zentimeter breiter geworden. Aktuell ist ein neuer PW bei uns durchschnittlich 1,80 Meter breit, 1990 waren es noch 1,68 Meter. Oder, um es wieder mit dem VW Golf zu verbildlichen: Bei seiner Weltpremiere 1974 war der Kompaktwagen 1,61 Meter breit, das aktuelle Modell hat im Vergleich dazu um 18 Zentimeter zugelegt.
Das Fazit ist somit simpel: Solange die Kunden grosse Autos wollen, bieten sie die Hersteller auch an. Ausserdem brauchen Luxus-Features, digitale Spielereien und immer aufwendigere Assistenzsysteme einfach Platz. Die Zeichen für die kommenden Jahre sind eindeutig: In der Schweiz war im vergangenen Jahr jeder zweite verkaufte Neuwagen ein SUV, die Stromer machen inzwischen ein Fünftel des Gesamtmarkts aus. Das Auto wird also weiterhin kräftig wachsen – ein Umkehrtrend ist nicht in Sicht.
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