Debatte um AtomenergieZürcher Regierungsrat will das AKW-Neubau-Verbot kippen
Bundesrat Albert Rösti erhält Hilfe aus Zürich: Der Regierungsrat befürwortet den Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative. Hat just der grüne Baudirektor Martin Neukom Röstis Erfolg möglich gemacht?

- Der Zürcher Regierungsrat befürwortet die Aufhebung des AKW-Neubauverbots in der Schweiz.
- Bürgerliche Parteien begrüssen den Entscheid, SP und Grüne üben Kritik.
- Der Regierungsrat will die erneuerbaren Energien gleichwohl verstärkt ausbauen.
Soll es in der Schweiz wieder möglich werden, Kernkraftwerke zu bauen? Der Zürcher Regierungsrat hat diese umstrittene Frage – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – beantwortet: mit einem Ja.
Damit stellt er sich hinter den Bundesrat. Energieminister Albert Rösti sprach von einem «Paradigmenwechsel», als er im letzten August ankündigte, dass die Landesregierung das Neubauverbot aufheben und damit einen Volksentscheid aus dem Jahr 2017 rückgängig machen will.
Konkret unterstützt der Regierungsrat den indirekten Gegenvorschlag, den der Bundesrat zur sogenannten Blackout-Initiative ausgearbeitet hat; die Vernehmlassung dazu hat nun geendet. Damit will der Bundesrat den zentralen Punkt des Volksbegehrens aufnehmen: das bestehende AKW-Neubauverbot aus dem Gesetz streichen.
Der Regierungsrat argumentiert im Kern wie der Bundesrat. «Wir sind offen für alle Technologien, die einen Beitrag zur umweltfreundlichen, effizienten und CO₂-armen Stromerzeugung leisten können», heisst es in seinem jüngst publizierten Beschluss. Deshalb stimme er der Aufhebung des Neubauverbots zu.
Neukom hält AKW-Verbot für überflüssig
Im Bundesrat hatte Energieminister Rösti die Kehrtwende vorangetrieben und durchgebracht – zur Freude von SVP und FDP, die vier von sieben Mitgliedern in der Landesregierung stellen. Im Zürcher Regierungsrat dagegen sind die beiden Parteien mit drei von sieben Sitzen in der Minderheit. Wer also hat den Entscheid mitzuverantworten?
Einen möglichen Hinweis liefern Aussagen von Baudirektor Martin Neukom: «Von mir aus kann man das AKW-Verbot aus dem Gesetz streichen», sagte der grüne Magistrat letztes Jahr. «Wir brauchen kein Verbot.» Kein Privater, so Neukom, würde Geld in ein Atomkraftwerk investieren. Das sei finanziell viel zu riskant.

Neukom entfachte damit eine Kontroverse. Bürgerliche Politiker sahen eine Abkehr der Grünen von ihrer Anti-AKW-Politik. Grünen-Chefin Lisa Mazzone dementierte und sagte, Neukom habe nicht die Aufhebung des Verbots gefordert, sondern nur bekräftigt, dass es keine Zukunft für die Atomkraft gebe. Andere Atomgegner indes sprachen von einem schweren taktischen Fehler. Hebe man das Verbot auf, bremse das die Investitionen in die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz, sagte der damalige SP-Nationalrat Roger Nordmann.
Zürcher Regierungsrat schweigt
Neukom verrät nicht, ob er den Gegenvorschlag des Bundesrats unterstützt. Seine Baudirektion betont, es gelte das Kollegialitätsprinzip: «Die Mitglieder vertreten die Entscheide des Kollegiums.»
Ist Neukom Röstis Helfer gewesen? Grüne Politiker können sich das nicht vorstellen und tippen stattdessen auf Regierungsrätin Silvia Steiner – was aber auch bemerkenswert wäre: Steiner ist Mitte-Politikerin, so wie die ehemalige Bundesrätin Doris Leuthard, die den Atomausstieg vorangetrieben und 2017 in einer Volksabstimmung durchgebracht hat. Genannt wird auch der parteilose Mario Fehr. Die Frage nach der Mitverantwortung muss offenbleiben. Aus der Regierung nimmt mit Verweis auf das Kollegialitätsprinzip niemand Stellung.
SVP hofft auf Reaktion der Axpo
Die bürgerlichen Parteien im Kantonsrat begrüssen jedenfalls das energiepolitische Signal des Regierungsrats. FDP-Fraktionschef Claudio Zihlmann sagt, seit dem letzten Volksentscheid 2017 habe sich Grundlegendes verändert – Stichwort Energieversorgungssicherheit. «Deshalb ist die erneute Diskussion um neue Kernkraftwerke angezeigt.»

Applaus gibt es auch von SVP-Präsident Domenik Ledergerber. Er hält die Aufhebung des Neubauverbots für «dringend notwendig», um die Energieversorgung für die über 1,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sowie rund 125’000 Unternehmen im Kanton Zürich zu gewährleisten. «Wir hoffen, dass der Entscheid des Regierungsrats Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung der Axpo hat.»
Der Kanton Zürich ist grösster Aktionär der Axpo. Der Stromkonzern, der das Kernkraftwerk Beznau betreibt, unterstützt den Gegenvorschlag des Bundesrats ebenfalls. Was die Umsetzung neuer Projekte im aktuellen ökonomischen und regulatorischen Umfeld angeht, zeigt sich die Axpo aber skeptisch. «Aus Sicht allfälliger Projektanten bleibt das finanzielle Risiko von Neubauprojekten zu hoch.» Eine Absicherung der Marktrisiken über die gesamte Betriebsdauer von 60 Jahren könne nur «staatlicherseits geleistet werden».
Kritik von AKW-Gegnern
Aus dem linken Lager kommt derweil Kritik an der geplanten Kehrtwende. «Wir sehen keine Notwendigkeit, den Volksentscheid für ein Neubauverbot infrage zu stellen», sagt SP-Co-Präsident Jean-Daniel Strub. Ähnlich äussert sich Grünen-Fraktionschef Thomas Forrer: «Es ist wichtig, dass wir die Energiepolitik auf einer realistischen Basis betreiben.» Nebst allen Risiken, die AKW mit sich brächten, sei ein Neubau schlicht nicht realistisch.
So weit geht der Regierungsrat nicht. Er rechnet allerdings nicht damit, dass ein neues Kernkraftwerk vor 2050 in Betrieb ginge, unter anderem wegen langer Bewilligungsverfahren und möglicher Rechtsstreitigkeiten. Und er verweist auf die offene Finanzierungsfrage: Soll der Bund Support leisten?
Eine weitere Unsicherheit ortet der Regierungsrat beim geplanten Tiefenlager in Stadel: Würde ein neues Kernkraftwerk gebaut, gäbe es mehr Atommüll, als es die aktuellen Pläne vorsehen. Nötig würde damit womöglich ein zweites Tiefenlager, sicher aber eine Überarbeitung des aktuellen Projekts in Stadel und eine Neubeurteilung der Sicherheit.
Zug geht weiter als Zürich
Angesichts solcher Unsicherheiten beurteilt es der Regierungsrat als «umso wichtiger», die erneuerbaren Energien verstärkt auszubauen und so die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Klimaziele zu erreichen. Anders als die Atomgegner hält er es also für möglich, das Neubauverbot zu streichen, ohne damit die erneuerbaren Energien zu torpedieren.
Mit seinem Ja zum Gegenvorschlag steht der Kanton Zürich nicht allein da. Zug etwa geht noch weiter und unterstützt auch die Blackout-Initiative. Andere Kantone wie Graubünden dagegen sind skeptisch bis ablehnend; sie fordern vom Bundesrat zuerst Klarheit über zentrale Fragen wie die Wirtschaftlichkeit neuer Kernkraftwerke, bevor das Neubauverbot allenfalls fallen soll.
Aus den urbanen Zentren dagegen kommt grosser Widerstand. Der Städteverband lehnt die Pläne des Bundesrats ab; der Neubau von Kernkraftwerken konkurriere direkt mit dem Ausbau erneuerbarer Energien.
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