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Urteil des Bezirksgerichts Winterthur
Gehörloser, kognitiv beeinträchtigter Sexualstraftäter soll verwahrt werden

Eine Gerichtszeichnung zeigt eine Verhandlung am Bezirksgericht Winterthur. Die Szene behandelt den Fall eines kognitiv beeinträchtigten, gehörlosen Mannes, der verwahrt werden soll.
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In Kürze:
  • Ein gehörloser Sexualstraftäter wird nach zwanzig Jahren erfolgloser Therapieversuche verwahrt.
  • Der kognitiv beeinträchtigte Mann zeigt weiterhin gefährliche sexuelle Fantasien mit Kindern.
  • Das Bezirksgericht Winterthur lehnt die vom Verteidiger geforderte Heimunterbringung ab.
  • Eine begleitende Psychotherapie soll trotz Verwahrung fortgesetzt werden.

Die Delikte, die ihn hinter Gitter brachten, liegen schon fast 25 Jahre zurück. Damals vergewaltigte der Mann im Gehörlosendorf Turbenthal eine Mitbewohnerin, eine zweite nötigte er sexuell.

2005 verurteilte ihn das Obergericht nach einem mehrjährigen Verfahren zu einer Strafe von 30 Monaten und zu einer stationären Behandlung. Denn der Mann war vorbestraft, 1997 hatte er sich an einem Kind vergangen.

Seit dieser zweiten Verurteilung ist der gehörlose, kognitiv beeinträchtigte Mann nie mehr auf freien Fuss gekommen. Fast zwanzig Jahre versuchten die Behörden, mit verschiedenen Therapien das Rückfallrisiko zu senken – erfolglos. Aufgrund seiner Beeinträchtigung vergisst der Mann das Gelernte jeweils rasch wieder.

Vor anderthalb Jahren stellten die Behörden deshalb die Therapie ein. Das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung will den Mann stattdessen verwahren. Das Bezirksgericht Winterthur musste nun darüber entscheiden.

Er bettelt darum, weiter behandelt zu werden

An der Verhandlung im Januar zeigte sich: Bis heute hat der Mann sexuelle Fantasien mit Kindern, über die er offen spricht. Dem Gericht beschrieb er diese so: «Fesseln, küssen, streicheln, Geschlechtsteile berühren.»

Dass er nicht allein und in Freiheit leben kann, war dem Mann durchaus klar. Aber wenigstens mal wieder begleitet rauszugehen, das sei sein Traum. Und vor allem wolle er «bitte, bitte» weiter behandelt werden. Er habe Angst, dass in der Verwahrung beides nicht mehr möglich sei.

Sein Verteidiger kritisierte, als einziger gehörloser Gefangener sei sein Mandant in der Strafanstalt Pöschwies völlig isoliert. Die Aufseher kommunizierten schriftlich mit ihm, aber auch das sei schwierig, weil der Mann französischer Muttersprache ist. Werde er verwahrt, bedeute das, dass er aufgegeben werde. Das sei unmenschlich.

Die bessere Lösung wäre eine Freilassung, verbunden mit einer Kesb-Massnahme: «Mein Mandant gehört nicht ins Gefängnis. Er gehört in ein Heim.»

Richter spricht von einer tragischen Geschichte

Das Gericht, das sich fast drei Monate mit der Urteilsfindung Zeit liess, war anderer Meinung. «Die Voraussetzungen für eine Verwahrung sind gegeben», sagte der vorsitzende Richter bei der Bekanntgabe des Urteils. Zentral sei, dass dem Mann «ein eigenverantwortliches Risikomanagement» nicht möglich sei.

Und das sei durchaus eine tragische Geschichte, denn an Motivation und Behandlungswillen fehle es dem Mann im Gegensatz zu manch anderem Straftäter nicht. «Das ändert aber nichts daran, dass keine Therapie spürbar angeschlagen hat.»

Eine Absage erteilte das Gericht auch der Ansicht des Verteidigers, eine Verwahrung sei nur schon aus rechtlicher Sicht nicht möglich. Der Verteidiger hatte argumentiert, die nachträgliche Verwahrung sei erst 2007 ins Gesetz aufgenommen worden. Auf Personen, die schon vorher straffällig geworden seien, dürfe die Bestimmung nicht angewendet werden, das habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in zwei Urteilen festgestellt.

Das Bezirksgericht Winterthur hielt diese Urteile aber nicht für einschlägig. Sie betreffen Verurteilte, bei denen ursprünglich keine stationäre Behandlung angeordnet worden war. Im Fall des Gehörlosen sei das anders: «Hier geht es nicht um eine neue Massnahme, sondern um eine Umwandlung. Und das war schon früher möglich.»

Therapie trotz Verwahrung möglich

Aufgegeben werde der Verurteilte deswegen nicht, sagte der Richter: «Der psychiatrische Gutachter hält eine weitere Psychotherapie für sinnvoll, und dieser Empfehlung ist ohne weiteres zu folgen.» Nur konzentriert sich eine solche Behandlung nicht mehr primär auf das Rückfallrisiko, sondern darauf, dass der Mann nicht verkümmert und vielleicht doch irgendwann wieder einmal begleitet für einen Spaziergang rauskann.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger will es anfechten.