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Interview zum Reizobjekt auf Rädern
«SUV haben etwas Aggressives»

Ein breite parkierte Mercedes SUV, aufgenommen in Zuerich am 8. Maerz 2019.
(KEYSTONE/Gaetan Bally)
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SUV sind unter Beschuss: Sie werden regelmässig zur Zielscheibe von Vandalen, weil sie als Symbol für Umweltverschmutzung gelten, in Paris sollen die Parkgebühren für SUV bald verdreifacht werden, und auch in Schweizer Städten stehen höhere Gebühren, Abgaben oder Importverbote zur Diskussion. Herr Fastenmeier, was haben eigentlich alle gegen SUV?

Ich würde nicht sagen, dass alle etwas gegen SUV haben. Es gibt ja viele Leute, die sich welche kaufen.

Ja, in der Schweiz ist bereits fast jeder zweite verkaufte Neuwagen ein SUV, obwohl die Infrastruktur nicht dafür gemacht ist, Tendenz steigend. Warum?

Es wird immer gesagt, die Leute wollten solche grossen Autos. Aber es ist doch klar, dass SUV keine Erfindung der Autofahrer, sondern der Hersteller sind. Wenn Sie vor 20 oder 30 Jahren jemanden gefragt hätten, was ein SUV ist, hätte man Sie mit grossen Augen angeschaut. Die Automobilindustrie hat es mit geschicktem Marketing geschafft, ein Bedürfnis zu wecken, um neue Käuferschichten und Geschäftsmodelle zu erschliessen. Denn die Rendite für Fahrzeuge wie SUV ist grösser als für Kleinwagen.

Mit welchen Argumenten haben es die Automobilhersteller denn geschafft, Bedürfnisse zu wecken, obwohl niemand solch grosse Autos braucht?

SUV haben natürlich verschiedene Vorteile. Sie sind bequem, haben einen guten Einstieg, viel Platz und eine bessere Übersicht. Ein weiterer Punkt ist das Prestige. Einen SUV kann sich nur jemand mit grossem Portemonnaie leisten. Man kauft sich mit dem Auto auch soziale Anerkennung – tatsächlich oder nur vermeintlich. Die Autoindustrie bedient hier also sozio-emotionale Motivatoren. Auf der anderen Seite wird das Kleinwagen-Segment zusehends eliminiert, was ich für eine sehr bedenkliche Entwicklung halte.

Sie meinen, die Leute haben gar keine andere Wahl, als grosse Autos zu kaufen?

Ja. Kleinwagen mutieren ja hinsichtlich der Karosserieform zu Hybrid-SUV. Das ist bei allen Automobilherstellern zu beobachten. Ford beispielsweise hat sein Kleinwagensegment eingestellt. Auch bei anderen Herstellern ist das zu beobachten. Damit werden aber auch die Preise nach oben getrieben.

Hat die Automobilbranche in ihren Marketingüberlegungen zu wenig bedacht, wie viele negative Emotionen SUV auslösen können?

Ja, das ist die Kehrseite. Denn SUV haben natürlich auch Nachteile. Einer ist der Platzverbrauch. Die Infrastruktur und die Verkehrswege sind zumindest in Mitteleuropa nicht für diese grossen Fahrzeuge geschaffen. Der zweite Punkt ist der Sicherheitsaspekt. Abgesehen davon, dass SUV ein Umkipp-Problem haben, sind sie nicht mit kleineren Fahrzeugen kompatibel, die bei einem Unfall das Nachsehen haben. Der dritte Punkt ist, dass Vorurteile gegenüber den Nutzergruppen von SUV entstehen. Nicht umsonst ist von Vorstadtpanzern oder Müttertaxis die Rede.

«Ein grosses Auto kann dazu führen, dass man sich überlegen fühlt.»

Wolfgang Fastenmeier, Verkehrspsychologe

Es gibt viele Leute, die allein schon beim Anblick von SUV auf 180 sind. Was genau triggern die Geländewagen?

Man muss zunächst festhalten, was genau mit SUV gemeint ist. Für mich sind es jene aus der Premiumklasse, die einer relativ kleinen, gut verdienenden Schicht vorbehalten sind. Diese haben etwas Bolidenhaftes, Martialisches, also etwas Aggressives. Das liegt unter anderem an der Gestaltung der LED-Scheinwerfer, die wie ein Haifischmaul oder ein Teufel leuchten, wenn sie hinter einem fahren oder einem entgegenkommen. Das kann negative Emotionen auslösen. Umgekehrt kann ein grosses Auto dazu führen, dass man sich überlegen fühlt und entsprechend aggressiver fährt. Es gibt Studien, die beispielsweise Beobachtungen an Kreuzungen gemacht haben. Dabei zeigte sich, dass wenn zwei Fahrzeuge aufeinander zufahren, sich Personen in grossen Wagen wie einem BMW X5 eher das Recht herausnehmen, zuerst zu fahren, als jemand in einem kleinen Hyundai i10.

Dann richtet sich die Wut auf SUV in erster Linie auf die Personen, die sich solch teure Autos leisten können?

Mir sind keine Untersuchungen in dieser Hinsicht bekannt. Aber es erscheint plausibel, dass auch diese sozialen Komponenten eine Rolle spielen neben dem Platzverbrauch oder der grösseren Umweltbelastung.

Apropos: Alte VW-Busse brauchen ähnlich viel Platz und sind ebenfalls umweltschädlich. Die finden aber alle sympathisch.

Im Strassenbild sind SUV natürlich dominanter als VW-Busse. Gerade in reicheren Vorstädten oder Stadtquartieren gibt es überproportional viele SUV. Dort haben wir auch das Phänomen der Müttertaxis, die Kinder zur Schule fahren, wo ein richtiges Verkehrschaos entsteht. Das schafft natürlich wenig Akzeptanz bei Anwohnern.

Wollen Sie damit sagen, dass VW-Busse ebenfalls angefeindet würden, wenn alle Eltern damit anfahren würden?

Ja, das denke ich schon.

SUV Gelaendewagen in der Innenstadt von Zuerich
03.12.2019.
(URS JAUDAS/TAMEDIA AG)

Seit dem Jahr 2000 sind in Europa produzierte Autos im Schnitt 7 cm höher, 10 cm breiter, 20 cm länger und 20 Prozent schwerer geworden. Aus küchenpsychologischer Sicht könnte man dies mit der zunehmenden Unsicherheit und der ichbezogenen Gesellschaft in Verbindung bringen. Was sagen Sie als Verkehrspsychologe?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es ist klar, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen auch auf den Verkehr und das Verhalten im Verkehr auswirken. Natürlich vermittelt das Automobil ein egozentrisches Weltbild, aber das ist ganz unabhängig von der Grösse.

Warum fahren in Italien viel mehr kleine Autos herum, so wie früher, und deutlich weniger SUV?

Italien war immer ein Land von kleinen Fahrzeugherstellern, wenn man von Ferrari oder Alfa Romeo mal absieht. In Frankreich ist es ähnlich. Ich denke, dass sich diese Tradition noch eine Weile fortsetzen wird.

Bis sie irgendwann auch zu grossen Autos wechseln?

Wenn Automobilhersteller ihre Politik weiter betreiben, werden kleinere Wagen auch dort zunehmend verschwinden, ja. Aber die Infrastruktur, etwa in Parkhäusern oder Garagen, ist überhaupt nicht darauf ausgelegt. Für grosse Autos sind sie eine Katastrophe. Da parkieren die einen rückwärts und die anderen vorwärts, damit man möglichst ohne Schäden zu verursachen ein- und aussteigen kann. Mit Garagen wird es auch immer schwieriger. Häufig kommt man mit den grossen Autos gar nicht mehr hinein.

Machen Sie sich Sorgen, dass Konflikte im Strassenverkehr dadurch zunehmen?

Das lässt sich ganz schwer beantworten, denn Aggressivität lässt sich nur schwer quantifizieren. Aber Aggressionen gehörten von Anfang an zum Verkehr. Schon in Babylonien, im berühmten Kodex Hammurapi, gab es Aussagen zu Verkehrsregeln und Strafen.

Warum gehören Aggressionen zum Verkehr?

Das liegt zunächst am Primärmotiv der Verkehrsteilnahme. Wir wollen von A nach B kommen, und das möglichst schnell und ungehindert. Alles, was dies behindert, führt zu Frustration und schliesslich zu Aggression. Eine bedenkliche Entwicklung sehe ich aber eher in der Beschneidung von individueller Mobilität. Wenn Fahrzeuge durch die zunehmende Grösse immer teurer werden, können sich viele Leute irgendwann keine Autos mehr leisten. Individuelle Mobilität ist aber ein wichtiger Massstab für die Freiheit einer Gesellschaft.

Müsste die Politik also nicht mit Gebühren und Restriktionen bei SUV-Fahrern ansetzen, um der Fehlentwicklung entgegenzusteuern, sondern bei den Autoherstellern?

Eigentlich schon, aber das wird nicht passieren, denn die Autoindustrie bringt dem Staat grossen Reichtum. Diese könnte problemlos vernünftig grosse Autos mit geringen Emissionen bauen. Aber das ist immer eine Frage der Kosten und wirtschaftlichen Interessen.