Kreativer arbeitenSo bleiben Sie trotz KI unersetzbar
Wie setzt man in kreativen Prozessen künstliche Intelligenz optimal ein – und bewahrt den eigenen Stil? Starwerber und KI-Experte Max Lederer verrät fünf praxiserprobte Strategien.

Die Kreativwirtschaft wird von der KI-Revolution mit voller Wucht erfasst. Texte schreiben, Bilder generieren, Kampagnen planen: Künstliche Intelligenz dringt in alle Arbeitsbereiche vor. Für die Agenturprofis stellt sich heute diejenige Frage, auf die wir bald alle eine Antwort kennen müssen: Wie nutzen wir KI-Tools in kreativen Prozessen möglichst effizient – und vor allem ohne die eigene Handschrift zu verlieren?
Max Lederer, Chief Innovation Officer bei Jung von Matt und KI-Experte, verrät fünf praxiserprobte Strategien, die über die Werbebranche hinaus wertvoll sind.
Die kreative Leere zulassen
Am Anfang eines kreativen Prozesses muss man der Versuchung widerstehen, als Erstes auf KI-Programme zurückzugreifen. Max Lederer betont die Kraft der Leere – jener stillen Phase, in der noch nichts produziert, aber viel vorbereitet wird: «Oft kommen die besten Ideen nicht sofort, sondern erst nachdem man sich Zeit genommen hat, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen.»
Sein Rat, den er jeweils Mitarbeitenden gibt, klingt sehr analog und angenehm altmodisch: «Geh auf das Segelboot. Geh in den Wald. Denk erst mal in Ruhe nach.» Statt gleich die Maschine zu füttern: sich selbst Raum und Zeit geben.
Mit KI die ausgetretenen Pfade verlassen
Trotzdem: Sich über bestehende Ideen, Kreationen und Lösungen schlauzumachen, ist unerlässlich. KI-Tools sind in dieser zweiten Phase eines kreativen Prozesses eine äusserst effiziente Unterstützung. Dadurch lässt sich der Prozess der Recherche und das Generieren erster, naheliegender Ideen massiv beschleunigen.
Doch Achtung! KI-Tools sind darauf trainiert, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. «Künstliche Intelligenz greift auf das Offensichtliche zurück, auf das, was bereits existiert», sagt Lederer. Es ist gut, das Offensichtliche zu kennen – aber es reicht natürlich nicht. Wer sich ausschliesslich auf KI verlässt, wird austauschbar.
(Lesen Sie dazu auch: «Wir Menschen sind viel flexibler als künstliche Intelligenz»)
Weiter gehen als künstliche Intelligenz

«Um wirklich originelle Ideen zu finden, ist es entscheidend, das Offensichtliche zu hinterfragen, zu brechen und mit Neuem zu kombinieren», sagt Lederer. Als Beispiel dafür, wie mit KI ein ungewöhnlicher Einfall umgesetzt werden kann, nennt Lederer die Kampagne der Postfinance mit der fiktiven Figur Maria Bernasconi in der Hauptrolle.
KI erweckte die Durchschnittsfrau, deren Namen wir von Ausweismustern kennen, gewissermassen zum Leben, verlieh dem weiblichen Gegenstück zu Max Mustermann ein Gesicht. Als Service-Avatar beantwortet Maria Bernasconi auf dem Instagram-Account von Postfinance Kundenfragen – und zwar in breitem Berndeutsch.
Die Grundidee zu dieser Kampagne stammt nicht von künstlicher Intelligenz, sondern entsprang einem menschlichen Gehirn. Deren Umsetzung ermöglichte KI.
Künstliche Intelligenz als Sparringspartner
KI ist nicht nur ein mächtiges Werkzeug bei der Recherche und Umsetzung, besonders effektiv ist künstliche Intelligenz in der Rolle als Sparringspartner von Kreativen. Sie fordert heraus, stellt infrage, liefert Impulse – und ermöglicht Perspektivenwechsel: «Du kannst der KI eine Rolle zuweisen, beispielsweise die einer Kundin, und aus dieser Sicht spricht sie dann über deinen Entwurf», sagt Lederer. Dadurch entstehe eine unmittelbare Dynamik, die Kreative zwinge, Ideen präziser zu formulieren und frühzeitig auf Schwächen zu prüfen.
«Die KI urteilt nicht persönlich, sondern streng rational – ohne Rücksicht auf Hierarchien. Das macht ihr Feedback so wertvoll», sagt Lederer. Kreativität entstehe im Dialog, und «künstliche Intelligenz ist der vielleicht beste Dialogpartner, den wir je hatten».
Die Grenzen der künstlichen Intelligenz kennen

KI ist zweifellos ein mächtiges Werkzeug in kreativen Prozessen. Allerdings liegt die eigentliche Stärke der KI nicht in der Generierung völlig neuer Ideen, sondern in ihrer Adaptionsfähigkeit, bestehende Dinge zu verändern und anzupassen.
Ob Bild, Video, Text oder auch Tool: Die künstlich intelligenten Programme sind unschlagbar darin, schnell eine Vielzahl von Variationen eines Entwurfs oder eines Konzepts zu erstellen. KI kann Hintergründe in Bildern austauschen, ganze Szenerien und Locations ersetzen – oder gar digitale Doppelgänger von Models erschaffen, wie dies der Modegigant H&M für seine neuste Kampagne tut.
Nur: «Wirklich innovative Ansätze zu entwickeln, das ist nicht die Stärke von KI», sagt Lederer und fasst diese Feststellung in Worte, die uns alle zuversichtlich stimmen sollten: «Das, was uns ausmacht, ist die Kraft des Unerwarteten. Genau das bleibt im Kern auch in einer KI-dominierten Welt entscheidend.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.