Tabakverkauf an JugendlicheMit Neha (17) auf Testkauf: Wie gut wird der Jugendschutz umgesetzt?
Seit dem 1. Oktober dürfen in der ganzen Schweiz keine nikotinhaltigen Produkte mehr an Minderjährige verkauft werden. Dennoch gibt es kantonale Unterschiede.
- Das neue Tabakproduktegesetz bringt schweizweit einheitliche Jugendschutzbestimmungen. Das führt in mehreren Kantonen zu Verschärfungen.
- Bei Kontrollen und Sanktionen gibt es jedoch weiterhin kantonale Unterschiede.
- Trotz Verbot erhielt bei Testkäufen in der Stadt Bern eine minderjährige Person in drei von sieben Versuchen E-Zigaretten.
- E-Zigaretten sind auch nikotinfrei von Verkaufs- und Werbeverboten betroffen.
Als Neha (Name geändert) in einem Kiosk der Valora-Gruppe im Hauptbahnhof Bern eine nikotinhaltige E-Zigarette mit Wassermelonengeschmack kaufen will, fragt die Verkäuferin nach Alter und Ausweis. Neha hat keinen Ausweis dabei und sagt, sie sei 19 Jahre alt, was nicht stimmt. Tatsächlich ist sie nur 17. Das bedeutet, dass ihr eigentlich keine Tabakprodukte verkauft werden dürften. Die Verkäuferin zögert und schaut zu ihrer Kollegin an der Kasse nebenan. Diese ist beschäftigt, da an beiden Kassen mehrere Kundinnen und Kunden anstehen. Schliesslich bekommt Neha die E-Zigarette ohne Ausweiskontrolle.
Dies ist kein Einzelfall. Diese Redaktion hat in der Nähe des Bahnhofs Bern gemeinsam mit Neha sieben Testkäufe durchgeführt. In drei Fällen konnte sie ein nikotinhaltiges Produkt kaufen. So auch im Kiosk des Ryfflihof-Coop und bei Aldi Suisse in der Spitalgasse. Im Kanton Bern ist der Verkauf solcher Produkte an Minderjährige schon seit Jahren verboten.
Alle drei Unternehmen betonen, dass sie solche Raucherprodukte seit geraumer Zeit nur noch an volljährige Personen verkaufen. Das Personal werde entsprechend geschult und mit Testkäufen kontrolliert.
Valora teilt zudem mit, dass die Kasse von der angestellten Person eine manuelle Bestätigung verlangt, wenn Produkte mit Altersbeschränkung eingescannt werden. Verfehlungen könnten bei Valora für das Verkaufspersonal disziplinarische Massnahmen zur Folge haben, so das Unternehmen.
Was das neue Tabakproduktegesetz bewirkt
Anfang Oktober ist das Tabakproduktegesetz in Kraft getreten, das unter anderem für den Jugendschutz schweizweit einheitliche Bestimmungen vorsieht, die bisher kantonal unterschiedliche Regelungen ersetzen. In mehreren Kantonen führt dies zur Verschärfung der bisherigen Praxis. Dies sind die wichtigsten Änderungen:
Mindestalter: Elektronische Zigaretten und alle weiteren Tabakprodukte wie beispielsweise Snus (Tabakbeutel) dürfen nicht mehr an minderjährige Personen verkauft werden. Das Verkaufsverbot gilt auch für nikotinfreie E-Zigaretten. Und nicht nur der Verkauf ist verboten, sondern auch die Weitergabe. Eine volljährige Person, die E-Zigaretten an eine minderjährige weitergibt, macht sich also auch strafbar.
Rauchverbot: Bisher galt in öffentlich zugänglichen Räumen oder Arbeitsräumen ein Rauchverbot für traditionelle Rauchprodukte. Nun gilt das Verbot schweizweit auch für E-Zigaretten oder Produkte mit erhitztem Tabak.
Steuern: Auf nikotinhaltigen E-Liquids und Einweg-E-Zigaretten wird nun eine vergleichsweise tiefe Tabaksteuer erhoben. E-Liquids sind Rauchprodukte, die eine Flüssigkeit mit unterschiedlichen Aromen und Nikotin enthalten. Anders als bei traditionellen Zigaretten wird das Nikotin nicht über das Verbrennen von Tabak, sondern über Dampf konsumiert. Die für den Konsum verwendeten Geräte werden auch Vapes oder E-Zigaretten genannt.
Werbebeschränkung: Plakatwerbung, Werbung in Kinos, im öffentlichen Verkehr und an weiteren Orten ist neu in allen Kantonen verboten. In Radio und Fernsehen wurde das Werbeverbot auf elektronische Nikotinprodukte und elektronische Zigaretten ohne Nikotin ausgeweitet.
Kantonale Unterschiede bei Kontrolle des Tabakproduktegesetzes
Obwohl die Schweiz nach langjährigem Ringen ein Tabakproduktegesetz mit schweizweit einheitlichen Vorgaben eingeführt hat, ist Wolfgang Kweitel von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz noch nicht zufrieden. Denn erstens seien die Vorschriften im europäischen Vergleich immer noch zahm.
Und zweitens gebe es bei Kontrolle und Sanktionen nach wie vor einen Flickenteppich mit teilweise grossen kantonalen Unterschieden. Oder mit anderen Worten: Bei ungenügenden Kontrollen und Sanktionen würden die neuen Vorschriften in manchen Kantonen nicht genügend umgesetzt. Zudem gebe es derzeit rechtliche Unsicherheiten, sagt Kweitel. Mit dem neuen Tabakproduktegesetz müsse sich erst noch eine Gerichtspraxis etablieren.
Im Kanton Bern testet die in der Alkohol- und Tabakprävention tätige Organisation Blaues Kreuz im Auftrag von Gemeinden, ob der Detailhandel die Vorschriften einhält, und meldet allfällige Verstösse den zuständigen Behörden. Im Wiederholungsfall sind Zwangsmassnahmen gegen das Geschäft möglich – so zum Beispiel eine Einschränkung des Angebots.
Mehrheitlich funktioniert die Kontrolle
Im Kanton Zürich begleitet das Blaue Kreuz gemäss eigenen Angaben jährlich rund 2000 Alkohol- und Tabaktestkäufe. In Basel-Stadt und Baselland führt die Organisation Blaues Kreuz Kinder- und Jugendwerk im Auftrag der beiden Kantone Testkäufe durch. Verkaufspersonal, das unerlaubterweise Tabakprodukte an Minderjährige verkauft, wird sofort über den Testkauf informiert. Danach geht eine Meldung an die zuständigen Behörden.
Dass Kontrollen und Sanktionen wirken, zeigt sich bei den Testeinkäufen dieser Redaktion in Bern. Im Denner-Express am Bärenplatz sagt die Verkäuferin in freundlichem, aber bestimmtem Ton zu Neha: «Ich muss deinen Ausweis sehen, sonst bin ich meine Stelle los.» Auch bei Lidl, bei Cigarren Flury und in zwei anderen Kiosken von Valora und Coop in der Nähe des Hauptbahnhofs Bern erteilt das Verkaufspersonal der jungen Frau eine Absage.
Zielt die Tabakindustrie auf junge Kundschaft?
Es gibt Stimmen, die in E-Zigaretten eine weniger schädliche Form des Rauchens sehen. Das findet Kweitel problematisch, da nach seiner Einschätzung die Industrie mit ihren Produkten auf junge Kundschaft zielt: «Wer pinkfarbene E-Zigaretten mit Wassermelonengeschmack herstellt, will diese nicht einem 40-jährigen Bauarbeiter verkaufen, der von herkömmlichen Zigaretten wegkommen will», sagt er.
Er verweist auf eine repräsentative Umfrage bei Deutschschweizer Gymnasiasten und Berufsschülern im Auftrag der Lungenliga Aargau im Jahr 2023. Diese ergab, dass 27 Prozent der 16- bis 17-jährigen Schülerinnen und Schüler E-Zigaretten konsumieren.
Eine weitere Verschärfung dürfte demnächst die Umsetzung der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» bringen, welche die Stimmbevölkerung im Februar 2022 angenommen hat.
Fehler gefunden?Jetzt melden.