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Meinung

Gastbeitrag zur Tabakwerbung
Volksinitiativen sind konsequent umzusetzen

Ein Plakat wirbt fuer ein Ja zur Initiative "Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung", fotografiert am Montag, 31. Januar 2022 auf dem Perron am Bahnhof Uster.  Am 13. Februar wird die Schweizer Bevoelkerung in einer Abstimmung ueber ein Werbeverot abstimmen.(KEYSTONE/Christian Beutler)
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Ausformulierte Volksinitiativen wie das Tabakwerbeverbot oder das Verhüllungsverbot ergänzen die Bundesverfassung um nicht direkt anwendbare Verbotsnormen, die für betroffene Menschen oder Unternehmen höchst unbekömmlich sein können. Trotz Hinweisen auf mögliche Konflikte  mit Grundrechten vor der Abstimmung werden solche Volksinitiativen regelmässig von Volk und Ständen angenommen. Doch wie ist mit diesen Verfassungsnormen umzugehen?

Das rigide formulierte Tabakwerbeverbot zum Schutz von Kindern und Jugendlichen wurde vom Nationalrat in der Frühjahrssession zur Sicherung der Wirtschaftsfreiheit relativiert. Gerade die Verlierer der Volksabstimmung rechtfertigten dies mit noblen Verfassungsargumenten. Eine liberale Verfassung verlange bei der Umsetzung angenommener Volksinitiativen eine konsequente Verteidigung der Grundrechte. Die neue Verfassungsnorm sei daher so liberal wie möglich umzusetzen.

Die Prämissen hinter diesen Argumenten bleiben verschleiert: Die grundrechtskonforme Umsetzung einer angenommenen Volksinitiative beruht auf der Annahme, Volk und Stände könnten keine grundrechtswidrige Umsetzung gewollt haben. Die ausformulierte Volksinitiative wird daher in eine Zielbestimmung umgedeutet, die der Bundesgesetzgeber ähnlich wie eine allgemeine Anregung zu beachten hat, die ihn aber nicht zur Einschränkung von Grundrechten verpflichtet.

Diese Verfassungspraxis hat einen hohen Preis: Zum Schutz von partikularen Gruppeninteressen, die von Volk und Ständen eine Absage erhielten, wird gegen die neue Verfassungsnorm verstossen. Vor allem aber wird die Funktion solcher Volksinitiativen ausgeblendet.

Die Mehrheit soll es «auslöffeln»

Die Bundesverfassung will einer Radikalisierung am gesellschaftlichen Rand präventiv entgegenwirken. Zu diesem Zweck räumt sie mit der ausformulierten Volksinitiative den Stimmberechtigten ein Recht auf Widerspruch gegen unliebsame Politik von Bundesrat und Bundesversammlung ein. Angenommene Volksinitiativen «versalzen» die Bundesverfassung nicht, sondern sichern ihre unverzichtbare «Würze». Als Ausdruck von Misstrauen binden solche Verfassungsnormen die repräsentative Politik stärker an den Mehrheitswillen der Stimmenden, um den Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers einzuengen.

Sollen angenommene Volksinitiativen der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken, anstatt sie zu verstärken, ist das verfassungsrechtliche Tabakwerbeverbot (und nicht das Initiativkomitee) stärker «beim Wort» zu nehmen. Anstatt in Verwässerungstechniken sollte der Bundesgesetzgeber sich vermehrt in der Überlegung üben, wie sich die integrative Kraft angenommener Volksinitiativen entfalten und zur Lösung des politischen Konflikts dahinter beitragen kann. Bleibt die Umsetzung des Tabakwerbeverbots nicht nur für die Tabakindustrie, sondern auch für die Kultur- oder Medienbranche «gesalzen», kann sich das in wünschenswerter Weise selbstreinigend auf die politische Kultur der Schweiz auswirken. Schliesslich liegt die Wirksamkeit direktdemokratischer Selbstverantwortung gerade darin, dass die Suppe, welche die Mehrheit allen einbrockt, auch möglichst viele auslöffeln müssen – und sich beim nächsten Mal genauer überlegen, wie sie diese würzen.

Kaspar Ehrenzeller ist Lehrbeauftragter für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen.