Neue Zahlen zu legalen DrogenMehr als jeder vierte Jugendliche raucht: E-Zigaretten immer beliebter
Die neuen Produkte ersetzen Tabakzigaretten nicht, im Gegenteil: Sie schaffen eine neue Gruppe junger Rauchender, warnt Sucht Schweiz. Beim Alkohol nimmt der Konsum bei 13-Jährigen zu.
Eigentlich sollten Präventionsmassnahmen den Konsum von Nikotinprodukten und Alkohol bei Jugendlichen senken. Das ist hierzulande nicht der Fall, wie der aktuelle Bericht von der unabhängigen Stiftung Sucht Schweiz nach Auswertung der neusten Zahlen zeigt. Eine Übersicht.
Wo gibt es die grössten Veränderungen im Suchtverhalten von Jugendlichen?
Bei E-Zigaretten hat sich der Konsum am deutlichsten verändert. Eine der Hauptaussagen des Berichts sei, dass das konventionelle Rauchen nicht durch E-Zigaretten ersetzt wurde, sagt Markus Meury von Sucht Schweiz. «Vielmehr ist eine zusätzliche Gruppe von jugendlichen Nikotinnutzern über die E-Zigaretten hinzugekommen», sagt Meury, Mitautor des Berichts. «Das ist sehr beunruhigend.»
Insgesamt rauchen von den 15-Jährigen fast 28 Prozent der Jungen und fast 29 Prozent der Mädchen Zigaretten, E-Zigaretten oder beides zusammen.
Der häufige Konsum von E-Zigaretten, also an mindestens 10 Tagen im letzten Monat, nahm vor allem bei den 15-jährigen Mädchen zu – von 1,2 Prozent bei der Befragung 2018 auf 8 Prozent im Jahr 2022. Bei den gleichalten Jungen stieg der Konsum in dem Zeitraum von 4 auf 7 Prozent.
Beim Konsum in den letzten 30 Tagen vor der jeweiligen Befragung hat sich der Anteil bei den Buben von 20,6 auf 25,1 Prozent erhöht und bei den Mädchen von 12,9 auf 25 Prozent praktisch verdoppelt.
Vor allem Rauchprodukte wie Puff-Bars richten sich gezielt an Jugendliche. Puff-Bars sind elektronische Wegwerfzigaretten, die mit bunten Farben wie Leuchtstifte aussehen. «Sie sind im Jahr 2020 zum ersten Mal auf dem Schweizer Markt erschienen und ihre Verbreitung hat seither rasant zugenommen», heisst es bei Sucht Schweiz. Eine Studie von Unisanté aus Lausanne hat gezeigt, dass der Hauptgrund für die Beliebtheit der Puff-Bars die Aromen sind. So schmeckt der Dampf von Puff-Bars zum Beispiel nach Wassermelonen, Zitronenlimonade oder Gummibärchen.
Warum ist der Konsum von E-Zigaretten und Puff-Bars vor allem bei den Mädchen angestiegen?
Mädchen reagieren eher auf die bunten Farben und die süsslichen Aromen, ist eine Vermutung. «Eine andere Annahme ist, dass es Mädchen psychisch etwas schlechter geht und sie deshalb Nikotinkonsum mehr anspricht», sagt Meury. Aktuelle Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2022 haben gezeigt, dass vor allem junge Frauen vermehrt psychische Probleme haben. Während im Jahr 2017 noch knapp 4 Prozent der 15- bis 24-Jährigen angaben, mittel oder stark psychisch belastet zu sein, waren es im Jahr 2022 bereits 8,7 Prozent. Der Anteil der Betroffenen, die deswegen in Behandlung waren, stieg von 7 auf 14 Prozent.
«Wenn es einer Person nicht gut geht, ist das Risiko grösser, dass sie nach Substanzen greift, von denen sie sich eine Besserung verspricht», sagt Meury. Das treffe aber auch umgekehrt zu. «Auch Menschen, die verstärkt Substanzen konsumieren, könnte es deshalb später psychisch schlechter gehen», sagt Meury.
Was ist mit anderen Nikotinprodukten?
Auch da steigt der Konsum bei den 15-Jährigen. Vor allem bei den Knaben ist Lutschtabak wie Snus beliebt: Der Konsum hat sich im Vergleich zu 2018 bei ihnen auf 13 Prozent verdoppelt. Bei den Mädchen stieg der Konsum in der Zeit von 1 auf 6 Prozent. In der Schweiz wurde diese Art von Mundtabak erst 2019 legalisiert. «Seitdem ist der Konsum bei Jugendlichen auch durch eine recht aggressive Werbung so stark angestiegen», sagt Meury. «Den Mundtabak können die Jugendlichen zudem gut vor Lehrern und Eltern verstecken, und er ist in der Sportwelt verbreitet, zum Beispiel im Eishockey.»
Tabakerhitzer nutzen hingegen weniger Jugendliche – was vermutlich auch am höheren Preis liegt: 4 Prozent der Jungen und 3 Prozent der Mädchen.
Wie viel trinken Jugendliche in der Schweiz?
«Der Alkoholkonsum ist hierzulande auf einem hohen Niveau geblieben, im Vergleich zur Erhebung von 2018», sagt Monique Portner-Helfer von Sucht Schweiz. Sie ist ebenfalls eine der Autorinnen des Berichts. So gaben 43 Prozent der 15-Jährigen bei der Befragung im Jahr 2022 an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal Alkohol getrunken zu haben. Dabei gab es zwischen Mädchen und Jungen keinen Unterschied.
Als besonders gefährlich erachten die Experten das Rauschtrinken, das heisst, wenn Jugendliche bei einer Gelegenheit fünf oder mehr alkoholische Getränke zu sich nehmen. Auch da zeige sich, dass die Jugendlichen hierzulande nicht ausreichend geschützt seien, sagt Portner-Helfer. Noch immer betrifft das Rauschtrinken etwa ein Viertel der 15-Jährigen. «Das ist viel, wenn man bedenkt, dass an 15-Jährige gar kein Alkohol verkauft werden dürfte», sagt Portner-Helfer. Junge Menschen seien noch unerfahren und wüssten nicht, wie viel Alkohol sie vertragen. «Da kommt es immer wieder zu Alkoholvergiftungen, bei denen Jugendliche im Spital behandelt werden müssen», sagt Portner-Helfer. Weitere Risiken sind Unfälle, Gewaltakte, ungewollter oder ungeschützter Geschlechtsverkehr sowie Probleme in der Schule und der Ausbildung. «Bereits eine einmalige starke Trunkenheit kann gravierende Folgen haben», warnt die Expertin, und auf lange Sicht erhöht sich das Risiko, einen problematischen oder abhängigen Konsum zu entwickeln.
Trinken auch jüngere Jugendliche Alkohol?
«Besonders besorgniserregend ist, dass der Alkoholkonsum von 13-jährigen Schulkindern im Vergleich zu 2018 zugenommen hat, 2022 waren es 17 Prozent», sagt Portner-Helfer. Demnach konsumierte jeder sechste 13-Jährige Alkohol in den letzten 30 Tagen vor der Befragung. «Wir kennen die individuellen Voraussetzungen dieser Jugendlichen nicht», sagt sie. Bekannt seien aber die Risikofaktoren, etwa eine schlechte psychische Gesundheit der Jugendlichen oder ein aggressives Marketing der Alkoholanbieter. Zu den Schutzfaktoren zählen die Unterstützung der Eltern.
Kinder und Jugendliche sind anfälliger für Schäden durch Suchtmittel, weil das Gehirn noch in der Entwicklung ist. «Das ist der Grund, wieso wir ganz besonders die Kinder schützen müssen», sagt Portner-Helfer. «Sie sind keine kleinen Erwachsenen. Kinder und Jugendliche haben andere Voraussetzungen und da haben Suchtmittel keinen Platz.»
Wie sieht ein optimaler Jugendschutz aus?
«Es braucht einen ganzen Strauss von Massnahmen, um Jugendliche bestmöglich zu schützen», sagt Portner-Helfer.
Da gibt es zunächst die strukturellen Massnahmen, die gesetzlich geregelt werden müssen. Dazu gehört etwa ein Verbot von Werbung, die Jugendliche erreicht. Die Bevölkerung hat sich in einer Abstimmung 2022 deutlich für einen Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung ausgesprochen. Jegliche Werbung für Nikotinprodukte, die Jugendliche erreicht, müsse verboten werden, also auch auf Festivals oder im Internet, fordert auch Sucht Schweiz. Zudem müssten die Tabak- und Nikotinsteuern erhöht werden. «Im Vergleich zur Kaufkraft vieler Jugendlicher sind die Nikotinprodukte hierzulande immer noch zu billig», sagt Meury.
Das Gleiche gilt für den Konsum von Alkohol. Auch dabei geht es um Werbeverbote, den zu günstigen Preis und die Verfügbarkeit. «Hier müssen die Gesetze eingehalten werden, etwa dass an Jugendliche kein Alkohol verkauft werden darf», sagt Portner-Helfer. Testkäufe haben gezeigt, dass noch immer in über 27 Prozent der Fälle Kinder und Jugendliche Bier, Wein oder Spirituosen bekommen.
Eine weitere effektive Massnahme sei, den Nachtverkauf von Alkohol im Take-away zu verbieten, so wie es bereits in den Kantonen Genf und Waadt geregelt ist. «Dort hat sich gezeigt, dass die Spitaleinlieferungen gerade von jungen Menschen wegen einer Alkoholvergiftung um ein Drittel zurückgegangen sind», sagt Portner-Helfer. «Jugendliche kaufen oft spontan Alkohol, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.»
Zudem müssen die Ressourcen der Jugendlichen gestärkt werden. Dazu zählt, ihnen soziale Kompetenzen zu vermitteln oder dass sie Bewältigungsstrategien lernen, die ihnen bei Problemen helfen.
Und auch die Eltern sind gefragt. Jugendliche, die ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihren Eltern haben, nehmen weniger Suchtmittel zu sich. Es hilft, wenn Eltern sich dafür interessieren, was ihre Kinder in der Freizeit machen, und gemeinsam mit ihnen Regeln aushandeln, was erlaubt ist und was nicht. «Die Eltern können vielleicht nicht alles verhindern», sagt Meury, «aber sie haben mehr Einfluss auf ihre heranwachsenden Kinder, als sie denken.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.