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Schweizer Top-Talent
Sie ist 17 – und spielt jetzt beim besten Fussballclub der Welt

Portrait von Sydney Schertenleib, sie ist 17 Jahre alt, Fussballerin - und spielt ab nächster Saison bei Barcelona. Begegnung mit der grössten Schweizer Nachwuchshoffnung.
 19.07.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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Die Nachricht kommt über Instagram, und sie klingt erst einmal nach einem Schwindel. Nach einem Scam, wie es Sydney Schertenleib sagt. Aber das ist sie nicht, nein, es ist tatsächlich der grosse FC Barcelona, der sich auf diese Weise nach ihr erkundet. 

Schertenleib sieht die Nachricht nicht einmal selbst, weil sie ihren Instagram-Account zusammen mit ihrer Schwester betreibt. Sydney erfährt erst durch ihren Vater vom Interesse aus Spanien. «Das mit Barcelona müssen wir besprechen», sagt er am Telefon. Und sie: «Hä, was ist mit Barcelona?»

Zur Einordnung: Grösser als Barcelona geht im Fussball der Frauen gerade nicht. Der Verein gewann in den letzten vier Jahren dreimal die Champions League, die Besten der Welt spielen da. Alexia Putellas, Aitana Bonmatí, Caroline Graham Hansen, Salma Paralluelo. Das ist eine Weltauswahl.

Und darum ist für Schertenleib auch schnell klar, dass sie bei diesem Club spielen will, trotz weiterer Angebote aus dem In- und Ausland. Im August geht es los mit der Vorbereitung im Fanionteam. Anschliessend soll sie schrittweise an dieses herangeführt werden, an das Niveau, aber auch an Land und Sprache.

Portrait von Sydney Schertenleib, sie ist 17 Jahre alt, Fussballerin - und spielt ab nächster Saison bei Barcelona. Begegnung mit der grössten Schweizer Nachwuchshoffnung.
 19.07.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

Für die Schertenleibs ist das der Start in eine aufregende Zeit. Vater Tom, selbst ein ehemaliger Collegefussballer in den USA, managt seine Tochter in Kooperation mit einer qualifizierten Vertrauensperson. Die 17-Jährige manövriert sich vorsichtig durch die Interviews, noch darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen, aber immer wieder blitzt sie auf, diese Unbekümmertheit, die sie auch auf dem Fussballfeld auszeichnet.

Die Parallelen zur Schweizer U-17 von 2009

Schertenleib hat Jahrgang 2007. Sie ist Teil einer faszinierenden Generation von Fussballerinnen. Neben ihr haben auch schon Iman Beney (18, YB), Lia Kamber (18, Luzern), Leela Egli (17, Freiburg), Noemi Ivelj (17, GC) und Naomi Luyet (18, YB) im Nationalteam spielen dürfen. 

Die Parallelen sind also gegeben zu einer Gruppe von Spielern, die den Schweizer Männerfussball bis heute prägt. 2009 wurde die U-17 mit Granit Xhaka, Ricardo Rodriguez und Haris Seferovic Weltmeister. Xhaka war ebenso 2011 dabei, als die U-21 mit Yann Sommer, Xherdan Shaqiri und Admir Mehmedi im EM-Final stand.

Auch Schertenleib und ihre Kolleginnen haben letztes Jahr einen schönen Erfolg gefeiert. Sie erreichten an der U-17-EM den Halbfinal, auf dem Weg dahin hatten sie Deutschland bezwungen. Die Mittelfeldspielerin spricht von den schönsten Tagen ihrer noch jungen Karriere. Megastolz sei sie gewesen.

All das, dieser Aufstieg, diese Erinnerungen, haben ihren Anfang in den 30er-Zonen von Richterswil, wo Sydney und ihre zwei Jahre ältere Schwester Lilian den Bällen nachjagen und bald auf die Idee kommen, in einem Fussballclub zu spielen. Sie kommen zu den E-Juniorinnen des FC Wädenswil, Vater Tom ist heute im Vorstand des Clubs.

Das Talent zeigt sich schnell. Hin und wieder dribbelt Sydney alle aus, dann sagt der Vater, sie dürfe nicht alles allein machen. Und auch der Ehrgeiz drückt durch. «Ich habe geweint, wenn wir verloren haben», sagt Schertenleib, heute kann sie darüber lachen.

Von Wädenswil schafft sie den Sprung zum FC Zürich, sie beginnt in der U-9 der Buben, kommt aber schnell in die U-11. Das härtet sie ab, sagt sie, sie habe gelernt, mit Druck umzugehen, «die Jungs denken nicht nach, sie spielen einfach». Und falls sie mal nervös gewesen sei vor grossen Spielen, dann habe sie das Team beruhigen können. 

Als sie die Idole mit grossen Augen anstarrte

Ab Sommer 2022 nimmt das Tempo noch einmal zu. Trainieren mit der U-16 der Jungs, spielen in der U-21 der Frauen, das erste Trainingslager mit dem ersten Team, zu spät kommen zum ersten Essen. Sich vor allen entschuldigen müssen. Erste Einsätze in der Women’s Super League. Die U-17-EM als bleibendes Erlebnis.

Und dann ist sie erstmals Teil des Schweizer Nationalteams. Sie ist gerade einmal 16.

Schertenleib darf dabei sein, als sich das Team für die WM 2023 vorbereitet. «Ich habe Lia Wälti und Ramona Bachmann mit grossen Augen angestarrt», sagt sie heute. Sie traut sich kaum, ihre früheren Vorbilder anzusprechen. Und darum ist sie froh, dass Mitspielerin Amira Arfaoui ihr Tipps gibt und sie lobt, wenn sie etwas gut macht. Das macht den Einstand einfacher.

Switzerland's players Ramona Bachmann, Julia Stierli, Sydney Schertenleib, Alayah Pilgrim, and Meriame Terchoun, from left to right, arrive at Arroyo Enmedio by Marbella Football Center, prior to a training session, in Estepona, Spain, Wednesday, February 21, 2024. The Swiss national soccer team trains in Spain from February 19 to 28, with two Internationals matches. New coach Pia Sundhage will lead her first two matches against Poland on February 23 and 27. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Um regelmässig spielen zu können, wechselt Schertenleib 2023 zu GC, die folgende Saison wird jene ihres Durchbruchs. Sie debütiert im Nationalteam unter Pia Sundhage und übersteht ihre erste Verletzung, einen Bänderriss. Als sie Mitte Juli wieder für die Schweiz aufläuft, trifft sie, es fügt sich ganz gut in die Geschichte ein, dass der entscheidende Pass dafür von Ana-Maria Crnogorcevic kommt.

Das Wichtigste bei den Schertenleibs: Demut

Crnogorcevic ist neben Wälti und Bachmann eine Lichtgestalt der letzten Jahre im Schweizer Frauenfussball. Spielerinnen wie sie ebneten den Weg für die Schertenleibs, die Beneys und Eglis. Mit etwas Sinn für Pathos kann Crnogorcevics Pass auf Schertenleib also nicht bloss als Assist zu einem Tor gegen die Türkei gesehen werden, sondern als Fackelübergabe im Schweizer Fussball.

Hinzu kommt: Crnogorcevic verbrachte selbst dreieinhalb Jahre in Barcelona, gewann da zweimal die Champions League. Schertenleib, vor der Reise nach Katalonien schon etwas nervös, sprach die Schweizer Rekordspielerin darum auch schon an. «Ich fragte, wer nett ist und gut Englisch kann», sagt sie. Crnogorcevic hilft gern.

Besteht bei all dem, den Vorschusslorbeeren, den Anfragen der grossen Clubs, den Interviews, nicht die Gefahr, abzuheben? «Dann klopft er mir schon auf die Finger», sagt Schertenleib und macht eine Kopfbewegung in Richtung ihres Vaters. «Demut», sagt der bloss. Und sie: «Das sagt er mir jede Woche.»

Noch diese Woche beginnt das Abenteuer. Tom und Sydney Schertenleib fahren nach Barcelona, der Rest der Familie kommt nach. Ein bisschen Erholung nach einer langen Saison, etwas Sightseeing, zusammen die Stadt erleben. Dann fährt die Familie zurück in die Schweiz.

Zuletzt folgte auf Schertenleibs Weg ein Highlight dem nächsten, die Geschwindigkeit war horrend. Aber wenn sie in La Masia, der berühmten Jugendakademie Barcelonas, ihr Einzelzimmer bezieht, erstmals in der Mensa zu Mittag isst und ihre neuen Kolleginnen trifft – dann geht es richtig los.