Entscheid von Südkoreas ParlamentEs wird einsam um Präsident Yoon Suk-yeol
Wird Südkoreas Präsident nach seinem Putschversuch suspendiert? Das entscheidet sich am Samstag. Da er gezielt Parlamentarier verhaften wollte, schwindet sein Rückhalt unter Parteifreunden.
- Das südkoreanische Parlament entscheidet über die Suspendierung von Präsident Yoon.
- Er verlor massiv an Unterstützung nach seinem Putschversuch.
- Der Chef seiner Partei unterstützt die Suspendierung wegen Yoons radikaler Aktionen.
- Demonstrationen gegen Präsident Yoon setzen sich landesweit fort.
Die Wut der Sängerin Son Hyun-sook hat etwas Versöhnliches. Jedenfalls lässt sie es nicht zu, dass Zornesfalten ihr schmales, blasses Gesicht zerfurchen oder ihr das Lächeln entgleitet. Sie steht am Gwanghwamun-Platz in Seoul nach ihrem Auftritt bei einer Protestkundgebung gegen den südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol. Der hatte die Nation Dienstagnacht mit seinem Putschversuch per Kriegsrecht gegen die starke Opposition im Parlament geschockt. Son Hyun-sook hat noch ihre Gitarre in der Hand, die Mundharmonika um den Hals, und trotz der Abendkälte scheint sie nicht zu frösteln.
Mit ihren Instrumenten wirkt sie wie eine Ritterin der Herzen – und wie der leibhaftige Kontrast zum Präsidenten Yoon, der ja auch zornig ist, aber dabei überhaupt nicht versöhnlich wirkt. Son Hyun-sooks Gelassenheit kommt wahrscheinlich von der Musik. Sie sang schon, als Südkoreas lange Phase autoritärer Herrschaft nach Bürgerprotesten 1987 zu Ende gegangen war. 1988, in ihrem ersten Jahr als Studentin, trat sie dem Gesangsclub Dume der Soongsil-Universität bei. Auf dem Campus sang sie mit dem Club Folksongs für die Demokratisierung. Jetzt, als Profimusikerin, kann Son Hyun-sook sich erst recht von der Seele singen, was sie stört. «Es gibt keine Zukunft für eine Nation, die ihre Geschichte vergessen hat», sang sie gerade vor den Demonstranten, die zur Melodie andächtig Kerzen und Protestplakate schwenkten.
Es braucht nur acht Stimmen von der Regierungspartei
Zu ihrer Gelassenheit trägt wohl auch bei, dass Präsident Yoon nach seinem kurzlebigen Angriff auf Südkoreas Demokratie vermutlich nicht mehr lange im Amt bleiben wird. Diesen Samstag stimmt das Parlament auf Antrag der Demokratischen Partei (DP) und anderer Oppositionsparteien darüber ab, ob Yoon suspendiert wird.
Für einen Erfolg braucht die Opposition eine Zweidrittelmehrheit. Dazu fehlen ihr acht Stimmen von Yoons Regierungspartei PPP, und am Freitag erklärte PPP-Chef Han Dong-hoon, dass er seine Meinung geändert habe und Yoon nicht mehr schützen wolle.
Han sagte: «Angesichts der neu aufgedeckten Fakten halte ich es für notwendig, Präsident Yoon Suk-yeol umgehend von seinen Pflichten zu entbinden, um die Republik Korea und ihr Volk zu schützen.» Später traf sich Han mit Yoon. Danach sagte er, er habe vom Präsidenten nichts gehört, was ihn umgestimmt hätte. Es sieht so aus, als habe Yoon die Rückendeckung wichtiger PPP-Abgeordneter verloren.
Yoon wollte gezielt Parlamentarier ausschalten
Die neu aufgedeckten Fakten, von denen Han sprach, zeigen, dass Yoon Suk-yeol in der eigentlich friedlichen Dienstagnacht nicht nur das Kriegsrecht missbrauchte, welches die südkoreanische Verfassung dem Präsidenten für Kriegszeiten und andere extreme Notlagen zubilligt. Er wollte sogar gezielt Parlamentarier ausschalten.
Schon der Erlass zum Kriegsrecht, den Viersterngeneral Park An-su am Dienstagabend verkündet hatte und den das Parlament wenig später einstimmig abschmetterte, war von der Verfassung nicht gedeckt. Grund: Er verbot «alle politischen Aktivitäten, einschliesslich solcher im Zusammenhang mit der Nationalversammlung». Die Verfassung sieht aber vor, dass das Parlament an der Entscheidung zum Kriegsrecht beteiligt wird.
Am Freitag berichtete der DP-Abgeordnete Kim Byung-kee, dass Präsident Yoon ausserdem angeordnet habe, prominente Abgeordnete von PPP und DP zu verhaften, kurz nachdem er das Kriegsrecht verhängt hatte.
Verhaftet werden sollten demnach der DP-Vorsitzende, der PPP-Chef, der Präsident der Nationalversammlung, der DP-Fraktionschef und andere. Yoon soll in einem Telefonat den Geheimdienstvize am späten Dienstagabend angewiesen haben, «diese Gelegenheit zu nutzen, um sie alle festzunehmen und loszuwerden». PPP-Chef Han sagte, wegen dieser Nachricht sei er nun für die Suspendierung Yoons. Er habe Angst, solche «radikalen Aktionen» könnten sich mit Yoon im Präsidentenamt wiederholen.
Im ganzen Land gehen die Demonstrationen weiter
Und Yoon? Die «Korea Times» berichtete am Donnerstag mit Verweis auf informierte Quellen, dass er bei einem Treffen im Präsidialamt mit seinem Stellvertreter, Premierminister Han Duck-soo, und PPP-Chef Han «kein Fehlverhalten» eingeräumt habe. Er habe ja nur «rücksichtslose Amtsenthebungsverfahren» der DP verhindern wollen.
Den reumütigen Rücktritt seines Verteidigungsministers Kim Yong-hyun, von dem angeblich die Empfehlung zur Kriegsrechtsaktion stammt, nahm Yoon umstandslos an. Aber es scheint nun einsam um Yoon zu werden. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen des Verdachts auf Hochverrats gegen ihn. Am Donnerstag nannte US-Vizeaussenminister Kurt Campbell Yoons Vorgehen «zutiefst problematisch». Der Zuspruch von PPP-Chef Han ist auch verspielt. Und im ganzen Land gehen die Anti-Yoon-Demonstrationen weiter.
An diesem Samstag im Parlament gibt es für Yoon Suk-yeol keine Ausflüchte mehr. Wenn eine Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung ist, wird er suspendiert und fürs Erste von Premierminister Han Duck-soo vertreten. Der Fall geht dann vor das Verfassungsgericht. Wenn dieses der Amtsenthebung stattgibt, wählt Südkorea bald einen neuen Präsidenten.
Für Sängerin Son Hyun-sook ist Yoon Suk-yeol, der sich kurz vor der Abstimmung per TV-Ansprache für sein Verhalten entschuldigte, schon jetzt kein Präsident mehr, sondern «der Anführer des Staatsstreichs». Dass Yoon das Kriegsrecht ausrief, nennt sie trotz ihrer Seelenruhe «schockierend». Dass Yoon aus dem Blauen heraus die Freiheitsrechte aufhob, war eine finstere Erinnerung an überwunden geglaubte Zeiten. «Wir haben ein grosses Trauma», sagt Son Hyun-sook. Gewalt von oben hat Südkoreas Geschichte geprägt. Und nun? Was wird am Samstag im Parlament passieren? «Ich weiss es nicht», sagt sie, «aber …» Sie reckt vergnügt die Faust: «Wir werden kämpfen!» Son Hyun-sook wird also vermutlich wieder singen.
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