Erstaunliche ResultateIm Wallis der Jungsteinzeit herrschte Gleichberechtigung
Eine neue Studie der Universität Genf zeigt: Männer und Frauen hatten vor 6000 Jahren im Wallis den gleichen Zugang zu Ressourcen und Ernährung.
Vor rund 6000 Jahren lebten im Wallis Menschen, die Weidewirtschaft und Ackerbau betrieben. Eine neue Studie der Universität Genf hat über diese Gruppe nun Erstaunliches herausgefunden: Es existierten, anders als oftmals angenommen bei prähistorischen Gemeinschaften, keine Unterschiede in der Versorgung und Ernährung von Männern und Frauen. Beide Geschlechter ernährten sich gleich und mit vergleichbaren Mengen.
In ihrer Studie analysierte die Archäologin Déborah Rosselet-Christ die Knochen und Zähne von 49 Individuen. Im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojekts wollte sie mehr über die Ernährung und die Mobilität der Menschen in der Jungsteinzeit herausfinden.
Debatte über Geschlechterrollen in der Steinzeit
Die Knochen stammen aus den zwei Gräberfeldern Barmaz I und II am Fuss des Massif du Chablais im Nordwesten des Kantons Wallis. Ausgegraben hatte man sie schon in den 1950er- und 1990er-Jahren. Sie liegen rund einen Kilometer vom Fluss Rhone entfernt.
Besiedelt haben die Region vermutlich ursprünglich Hirten, die aus dem heutigen Norditalien kamen. Sie begannen ab ungefähr 5000 v. Chr. die dichten Wälder zu roden, betrieben Ackerbau und hielten vor allem Schafe und Ziegen. Auch die Jagd nach Wild spielte da nach wie vor eine Rolle.
Ihre Toten begruben die prähistorischen Bewohner und Bewohnerinnen des Wallis in hockender Stellung in Kisten aus Stein. Rund 60 Gräber hat man gefunden. Rosselet-Christ untersuchte ungefähr gleich viel weibliche wie männliche Individuen.
Es gab in den letzten Jahren viele Diskussionen über die Geschlechterrollen in der Steinzeit. Unser Blick in die ferne Vergangenheit war oftmals geprägt von den Rollenvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich in Europa ab dem 18. Jahrhundert ausbildeten: Ab da galt das Ideal vom Mann, der sich in der Öffentlichkeit behauptet, und der Frau, die sich um das Heim und die Kinder kümmert. Dieses Bild wurde auf die Prähistorie projiziert und in der Vorstellung einer Gesellschaft von Jägern und Sammlerinnen festgeschrieben.
Dass die steinzeitliche Wirklichkeit vermutlich eine ganz andere war, haben in den letzten Jahren verschiedene Studien gezeigt. Bei der Arbeitsteilung in frühen nomadisch oder agrarisch lebenden Gesellschaften ging es nicht darum, ob jemand eine Frau oder ein Mann war, sondern wie gesund und jung jemand war. Forschungen zeigten, dass auch Frauen in den meisten Fällen auf die Jagd gingen und Männer sammelten.
Für ihre Studie entnahm Rosselet-Christ Proben aus erhaltenen Zähnen und dem Kollagen der Knochen. Das ermöglicht es, mithilfe einer Isotopenanalyse von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel zu rekonstruieren, wie sich jemand ernährte.
14 Prozent waren nicht Einheimische
Analysiert man mit der gleichen Methode den Zahnschmelz, lässt sich nachzeichnen, wo jemand in welchem Alter gelebt hat. Dazu untersuchten die Forscherinnen die Strontiumisotope im Zahnschmelz des zweiten Backenzahns, dessen Krone in der Kindheit entsteht. Strontium ist ein natürliches Element, das wir mit der Nahrung aufnehmen. Weil je nach Region unterschiedliche Mengen von Strontium vorhanden sind, lässt sich so recht genau bestimmen, in welcher Lebensphase sich jemand wo aufgehalten hat.
Dabei zeigte sich, dass 14 Prozent der Begrabenen nicht vor Ort aufgewachsen waren. Diese Zugezogenen waren gleich gut ernährt wie die Einheimischen, also vermutlich gut in die Gemeinschaft integriert. Gefunden hat man sie aber nur in einem der beiden Gräberfelder. Dass die Menschen damals schon sehr mobil waren, ist bekannt. Wie mobil, das sollen zusätzliche Analysen im Rahmen des Nationalfond-Projekts zeigen, die Untersuchungen weiterer neolithischer Gräber im Wallis und im italienischen Val d’Aosta umfassen.
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