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Geschichte der Zahnheilkunde
Wie sich unsere Vorfahren die Zähne putzten

Miswak using a Muslim religion
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Finden Archäologen Zähne eines Menschen, dann können sie in ihnen lesen wie in einem offenen Buch. Dank neuer Untersuchungsmethoden genügt oft ein einzelner Zahn, um vieles über seinen Besitzer zu erfahren: Alter, Geschlecht, Grösse und Ernährungsweise; mitunter sogar Herkunft und Kultur. Da der Anteil an organischem Material bei Zähnen sehr gering ist, überstehen diese zudem oft gut die Jahrtausende.

Doch bei dieser Fülle an Informationen rückt eine Frage fast in den Hintergrund: Wie ging es eigentlich den Zähnen selbst?

Das heute medial geprägte Bild vom Mittelalter-Ritter mit strahlendem Hollywood-Gebiss und dem Bauern mit verfaulten Kauwerkzeugen – es ist falsch. Dass es so einfach nicht gewesen sein kann, zeigt eine Meta-Studie aus dem Jahr 2022. Darin haben schwedische Forscher einen Trend in Bezug auf Karies ausmachen können. Demnach sei in Europa von 9000 vor Christus bis 1850 nach Christus das Kariesvorkommen durchgehend gestiegen. Hatten Jäger und Sammler bessere Zähne als die Menschen heute?

Im Prinzip schon, sagt Dominik Gross, Medizinhistoriker an der Universitätsklinik in Aachen (D), der neben Geschichte und Humanmedizin auch Zahnmedizin studiert hat: «Grundsätzlich war die Karieshäufigkeit vor der Sesshaftwerdung deutlich geringer, weil der Mensch sich besser ernährt hat.» Damals sei viel weniger Zucker konsumiert worden, dafür nahmen die Menschen mehr Ballaststoffe zu sich. Weil das Gebiss intensiver mahlen musste als heute, rieben sich die Zähne stärker ab. Die Belastung war demnach anders, aber dennoch hoch. Die zahnärztlichen Kenntnisse waren gleichwohl deutlich geringer als heute.

Dies liege auch daran, dass der Arztberuf seit der Antike eine angesehene Beschäftigung für Gelehrte und Akademiker darstelle. Zahnmediziner hingegen kamen lange «bestenfalls aus dem Handwerkerstand». Erst im 19. Jahrhundert sind sie in Europa allmählich aus der Riege der Zahnbrecher, Wanderheiler und Barbiere herausgetreten. Das Jahrtausende währende geringe Ansehen wirke noch nach, sagt Gross: Verglichen mit der Medizingeschichte ist die Geschichte der Zahnheilkunde kaum erforscht. Er ist einer von wenigen Wissenschaftlern, die sich damit beschäftigen.

In der Antike kauten die Menschen Stöckchen

Dabei sind Zahnschmerzen und deren Behandlung so alt wie die Menschheit selbst. Bei einer Ausgrabung im Apennin zum Beispiel haben Archäologen vor wenigen Jahren Schneidezähne entdeckt, die nachweislich eine Wurzelbehandlung erfahren haben – vor circa 13’000 Jahren. Es gibt mittlerweile mehrere Funde aus der Steinzeit, die belegen, dass Menschen ihre Zähne mit verschiedenen Methoden behandelt haben. Auch Schmuckeinlagen aus Jade, also kosmetische Behandlungen des Gebisses, sind heute nachgewiesen.

Dennoch scheint es einst nur selten vorgekommen zu sein, dass die Menschen kranke Zähne retteten. Meist wurden sie herausgebrochen oder -gezogen. Doch den Menschen des Altertums waren einige Kniffe bekannt, mit denen sie diese Tortur zumindest hinauszögern konnten. «Durch die ganze Antike hindurch gab es Zahnpflege in Form von Kaustöckchen», sagt Gross. Das waren Stöckchen aus dem Stamm oder der Wurzel von Gewächsen, die so lange gekaut wurden, bis sie wie eine Bürste zerfaserten.

Im siebten Jahrhundert nach Christus mahnte der indische Arzt Vagbhata in seinen Schriften die tägliche Reinigung der Zähne an und empfahl dafür etwas, das wir als Zahnbürste bezeichnen würden: einen an einem Ende aufgefaserten, sauberen Zweig, dessen Länge, Dicke und Holzart genau vorgegeben sind. Zum Putzen überliefert Vagbhata das Rezept einer Zahnpasta, die aus Honig, Öl, Bengalischem Pfeffer, Zimt, Ingwer und Salz besteht. Aus der Region ist auch das Rezept für ein Gurgelwasser überliefert. Wohl kein Zufall, dass der Reisende Marco Polo im 13. Jahrhundert von der hervorragenden Zahngesundheit der Brahmanen, der Mitglieder der obersten Kaste, im nordwestlichen Indien geschwärmt hat.

Die Beschäftigung mit Zähnen – hier im Mittelalter – blieb in allen Kulturen eine Randtätigkeit für Priester, Magier oder Handwerker.

Auch die Römer kannten Rezepte für Zahnpasten. Sie zerrieben beispielsweise Sepiaschalen und vermischten sie mit Asche verbrannter Knochen sowie Bimsmehl und Marmorpulver. Das war insofern wirksam, als es nur darum ging, Essensreste wegzureiben. «Allerdings waren diese Abriebstoffe ziemlich aggressiv, dadurch hat man auch Zahnsubstanz abgerieben», sagt Gross. Von der griechisch-römischen Zahnmedizin ist vergleichsweise viel bekannt, bereits in den hippokratischen Schriften wird ausgiebig über Zahnprobleme referiert. Auch der noch heute genutzte Begriff «Weisheitszähne» stammt aus jenen Werken.

Nahezu alles, was heute über das medizinische Wissen der griechisch-römischen Welt bekannt ist, wurde vom griechischen Arzt und Universalgelehrten Galenos von Pergamon im zweiten Jahrhundert nach Christus zusammengefasst. Seine Schriften wurden noch bis ins 18. Jahrhundert hinein zitiert, auch vom Vater der modernen Zahnmedizin: Pierre Fauchard. Der Franzose stellte als Erster die Zahnheilkunde auf eine wissenschaftliche Grundlage, nun erst entwickelte sie sich zum eigenständigen Fach und der Zahnarzt zum angesehenen Beruf.

Galenos hatte der Zahnheilkunde noch wenig Leidenschaft entgegengebracht, übermittelte aber eine Reihe von Rezepten und Medikamenten, die gegen Zahnschmerz oder Entzündungen im Mund helfen sollten. Dazu machte er sich in einer Schrift über die ausufernde Spezialisierung des Arztberufs in Rom lustig. Bald werde es mehr Ärzte als Körperteile geben, jede Krankheit ihren eigenen Arzt haben, so der Grieche. Hinter dem Spott verbarg sich Geringschätzung, denn jene Spezialisten stammten nicht aus der gelehrten Ärzteschaft, sondern aus weniger angesehenen Ständen. Das wirkte bis in die Moderne nach, denn die Beschäftigung mit den Zähnen blieb in allen Kulturen eine Randtätigkeit für Priester, Magier oder Handwerker.

Erster US-Präsident glänzte mit Schauprothesen

Gleichzeitig erweckt das imposante Gesamtwerk des Galenos den Eindruck, man wüsste über die Geschichte der Zahnheilkunde gut Bescheid – ein Trugschluss. Zwar sind zahlreiche Behandlungsmethoden literarisch überliefert, auch aus der islamischen und der chinesischen Kultur. Doch inwiefern sie Anwendung in der Bevölkerung fanden, ist kaum bekannt.

«Wir haben es mit einzelnen Befunden zu tun», sagt Dominik Gross. Prominentestes Beispiel: George Washington. Der erste US-Präsident hatte bekanntlich Schauprothesen, die er für öffentliche Auftritte nutzte. «Davon können wir aber natürlich nicht ableiten, dass alle US-Amerikaner zur Zeit von George Washington Schauprothesen getragen haben», so Gross. Einzelfunde von Zähnen und Gebissen werden oft überhaupt nicht unter zahnmedizinischen Gesichtspunkten untersucht.

Zumal einzelne Funde ein verkehrtes Bild vermitteln können, wie eine erst vor kurzem im Fachmagazin «Scientific Reports» veröffentlichte Forschungsarbeit verdeutlicht. Ein internationales Team hatte eine skandinavische Jäger- und Sammler-Gruppe aus dem achten Jahrtausend vor Christus untersucht. Wildbeuter hatten ja im Grunde relativ gesunde Kauwerkzeuge – diese Skandinavier aber nicht. Um ihre Zähne war es furchtbar bestellt.