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Rollenklischees widerlegt
Frauen sind Jägerinnen

In fast 80 Prozent der Jäger-und-Sammler-Kulturen jagen auch die Frauen.
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Sie lag auf der Seite in ihrem Grab, die Beine angewinkelt, den Kopf in Richtung Nordwesten. Ihre Weisheitszähne waren noch nicht richtig durchgebrochen, nur 18 oder 19 Jahre alt wurde die unbekannte Frau. Ihr Leben verbrachte sie im Hochland der Anden. Dort stiessen Archäologen vor einigen Jahren bei Wilamaya Patjxa in einer Höhe von fast 4000 Metern auf ihr Grab. Gelebt hat die Unbekannte vor rund 9000 Jahren im heutigen Peru.

Für Aufsehen sorgte ein Fund neben ihren Oberschenkeln: Wer immer sie begraben hat, legte ihr dort Speerspitzen, Messer und Werkzeuge für die Grosswildjagd hin. Die Werkzeuge waren einst in einem vermutlich ledernen Beutel untergebracht, griffbereit für den nächsten Nordandenhirsch, der ihren Weg kreuzen würde und dessen Knochen die Forscher ebenfalls fanden.

Das Erstaunen war gross über die älteste bisher entdeckte Jägerin. Denn die Forschenden hatten zuerst angenommen, sie hätten einen hochrangigen Mann gefunden. Obwohl die Unbekannte nicht der erste Grabfund ist, bei dem ein Mensch mit Waffen beerdigt ist und sich im Nachhinein als Frau herausstellt. Ein Einzelfall, vermuteten manche. Doch eine Studie zum Fund wies nach, die Jägerin war nicht allein. Eine Auswertung vergleichbarer Gräber aus Nord- und Südamerika zeigte, dass unter den 27 mit Jagdwerkzeugen Bestatteten fast die Hälfte Frauen waren.

Diese Speerspitzen lagen im Grab der unbekannten Jägerin aus den Anden. 

Eine neue Untersuchung stellt diesen einzelnen Fund nun in einen weltweiten Zusammenhang. Ein Team von Forscherinnen um die Anthropologin Cara Wall-Scheffler von der Universität Seattle analysierte die Geschlechterrollen bei 63 Kulturen, die bis in die Gegenwart als Jäger und Sammler leben. Die Resultate sind verblüffend: In fast 80 Prozent der Fälle gehen auch Frauen auf die Jagd, egal, ob sie kleine Kinder haben oder nicht. Und sie erlegen dabei ähnlich grosse Tiere wie die Männer, jagen im Gegensatz zu den Männern aber häufiger in Gruppen.

All das läuft den klassischen Bildern, die wir von der Frühgeschichte und von nomadischen Kulturen haben, zuwider. Das Bild vom Jäger und der Sammlerin hat sich uns eingeprägt. Lange hiess es über die Rollenverteilung in der Prähistorie, dass der starke Mann mit Bogen und Speer gefährliches Grosswild erlegt. Die Frau hingegen sammelt Beeren, kümmert sich um kleine Kinder und bleibt zu Hause.

Vor bald sechzig Jahren zementierte ein Anthropologen-Kongress in den USA dieses Bild. «Der Mann, der Jäger» hiess die dazugehörige Publikation, die grosse Beachtung fand und später mit dem Band «Die Frau, die Sammlerin» ergänzt wurde.

Die Jugend und Stärke zählte mehr als das Geschlecht

In letzter Zeit hat dieses Bild immer mehr Risse bekommen. Ein Team von Forschern wertete vor einigen Jahren Knochen von Grabfunden aus der Stein-, Eisen- und Bronzezeit aus. Die Funde deckten den Zeitraum von 5300 v. Chr. bis 850 n. Chr. ab. Dabei zeigte sich, dass Frauen in jenen Jahrtausenden stärkere Oberarme hatten als heutige Elite-Ruderinnen. Und dass bei der Frage, wer welche Arbeiten verrichtete, nicht das Geschlecht, sondern das Alter und die Fitness der wichtigste Gradmesser waren.

Diese Vermutung bestätigte auch ein Fund aus einem Bergwerk im heutigen Tschechien. Dort stiessen Archäologen im Jahr 2014 auf die Skelette zweier Bergarbeiterinnen, die dort im fünften Jahrtausend vor Christus in den Schächten arbeiteten und Spuren harter körperlicher Arbeit zeigten. «Es scheint, dass die Arbeitsteilung in diesen frühen Gesellschaften sehr unklar sein kann», heisst es in der Studie zum Fund.

Ziemlich eindeutig sind einige Gräber, die Forscher vor drei Jahren im Westen des heutigen Russland fanden. Dort lebte vor rund 2500 Jahren das Nomadenvolk der Skythen. In den entdeckten Gräbern lagen vier Frauen unterschiedlichen Alters, alle hatten Speere, Pfeil und Bogen und Reitutensilien neben sich. Die älteste der Frauen war Ende 40. Sie trug einen goldenen Kopfschmuck, der auf eine hohe gesellschaftliche Position hindeutete. Die jüngste war erst 13. Schon länger gab es Vermutungen, bei den Skythinnen handle es sich um jene Gruppe, die die antiken Griechen als Amazonen bezeichneten.

Alles Einzelfälle, könnte man einwenden und sich fragen, warum man Frauen mit Jagdutensilien oder Waffen nicht schon in früheren Zeiten gefunden hat. Hat man vermutlich, aber es nicht bemerkt. In der Vergangenheit wurden Gräber, in denen Waffen lagen, in den allermeisten Fällen Männern zugeschrieben. Auch wenn keine Knochen mehr vorhanden waren oder es schwierig war, den Knochen mit den zur Verfügung stehenden Methoden ein Geschlecht zuzuweisen. Je nach Alter und Zustand eines Knochens ist es nicht immer möglich, verwertbare DNA zu gewinnen.

Rollenbilder aus dem 19. Jahrhundert

Lässt sich der Knochen nur nach Grösse und Form beurteilen, kommt es darauf an, von wo im Körper er stammt. Beim Becken tritt der Unterschied zwischen den Geschlechtern am deutlichsten hervor. Bei Frauen ist das Becken auf der Innenseite viel runder geschwungen, damit Babyköpfe hindurchpassen. Doch längst nicht alle Knochen lassen sich so einfach zuordnen. Falls Zähne vorhanden sind, ermöglichen auch sie, je nach Zustand, eine Geschlechtsbestimmung. Auch bei der toten Jägerin aus den Anden gelang das.

«Das bürgerliche Geschlechtermodell mit dem Mann als Versorger und der Frau als Hausfrau und Mutter hat lange den Blick auf die Prähistorie und auf ethnografische Studien geprägt», sagt Brigitte Röder, Professorin für ur- und frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Basel. Damit verbunden seien auch Zuschreibungen über das Wesen von Mann und Frau. «Der Mann gilt als aggressiv, die Frau als friedfertig.» Entstanden sind diese Rollenbilder aber nicht in der Prähistorie. Sie stammen aus dem 18. und dem 19. Jahrhundert und aus der Welt des Bürgertums und wurden den Jäger-und-Sammler-Kulturen einfach übergestülpt.

Bei der Gruppe der Awa in Brasilien gehen schon junge Frauen, hier mit Pfeilen in der Hand, auf die Jagd.

Interessant ist auch die Frage nach der Bedeutung von Grabbeigaben. Warum jemand etwas ins Grab gelegt bekam, lässt sich häufig nicht mehr abschliessend klären. Es gibt verschiedene Interpretationen. Die gängigste ist die Vorstellung, dass man den Menschen auf die Reise ins Jenseits jene Dinge mitgeben wollte, die ihnen auch im Leben wichtig waren. Begräbnisse sind oftmals aber auch Inszenierungen für die Lebenden, Grabbeigaben können in diesem Zusammenhang dazu dienen, den Reichtum oder die Macht einer Familie zu demonstrieren.

Eine DNA-Analyse der Knochen zeigte zweifelsfrei: Der Krieger im Grab Bj.581 ist eine Frau.

Viele Diskussionen gab es beispielsweise um ein Grab im schwedischen Birka. Dort fanden Forscher vor hundert Jahren das Grab eines Wikingerkriegers. Begraben war der Tote mit einem Waffenarsenal. Lange nahm man an, dass es sich um das Grab eines Mannes handelt. Vor einigen Jahren kam die grosse Überraschung. Eine DNA-Analyse der Knochen zeigte zweifelsfrei: Der Krieger im Grab Bj.581 ist eine Frau.

Trotzdem meldeten verschiedene Forscher Zweifel an, ob Waffen bedeuteten, dass die Frau kämpfte. Äxte waren auch im Haushalt ein wichtiges Werkzeug, Speere und Pfeile Jagdinstrumente. Schwerter könnten vererbte Machtinsignien einer Familie gewesen sein. «Wir sollten diese Gräber genau gleich behandeln wie Männergräber mit Waffen», sagte jedoch die norwegische Archäologin Marianne Moen von der Universität Oslo, die zum Thema forscht. Sobald man Frauen mit Waffen finde, suche man nach alternativen Erklärungen, warum die Waffen nicht zum Kampf gedient hätten, während man es bei den Männern als selbstverständlich annehme.

Eine Statue von Diana, der römischen Göttin der Jagd.

Die Diskussionen, wie viele Kriegerinnen es in vergangenen Gesellschaften gab, gehen weiter. Zumindest die Frage nach der Jagd scheint durch die neue Studie geklärt. Sie kann nichts über die Prähistorie aussagen, aber den Blick schärfen für die unterschiedlichsten Geschlechterrollen, die es in der Vergangenheit gab und heute noch gibt.

Dass Frauen auch jagen, wussten eigentlich schon die alten Römer. Und sie sind nicht bekannt dafür, Frauen besonders viel Rechte zuzustehen. Aber für die Jagd war in der römischen Kultur eine Göttin zuständig: Diana wird meist mit Pfeil und Bogen dargestellt.

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