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Überraschende Studien
Bei den frühen Kelten hatten die Frauen die Macht

Ob es auch viele keltische Kriegerinnen gab, ist noch unklar – doch die Geschlechterrollen waren weniger starr, als man erwarten würde.
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Sie tranken gerne viel, richtig viel, hatten gleichzeitig mehrere Liebschaften und kannten sich aus mit Kriegsplanung. Das schrieben Autoren der griechischen Antike wie Plato oder Plutarch über jene Menschen, die sie Kelten nannten. In diesen Textstellen sprachen die antiken Denker jedoch nicht, wie man meinen könnte, von Männern, sondern sie berichteten, teilweise etwas erstaunt, von keltischen Frauen.  

Noch immer gibt es viele Geheimnisse um die Kelten, angefangen bei der Frage, ob sie sich überhaupt jemals selbst so nannten und wer sie waren. Als Kelten bezeichnete man lange all jene Menschen, die von rund 600 bis 100 vor unserer Zeitrechnung in West- und Mitteleuropa, einschliesslich der Schweiz, lebten. Die ganze Epoche heisst Eisenzeit. Bekannt sind mächtige Fürstensitze wie Heuneburg oder Hochdorf in Baden-Württemberg, nicht weit vom Gebiet der heutigen Schweiz entfernt.

Weil die Kelten selbst, besonders nördlich der Alpen, kaum Schriftliches hinterliessen, wusste man lange wenig über diese Kulturen, die sich deutlich von der antiken Welt des Mittelmeerraumes unterschieden. Was sich auch an der Irritation der antiken Autoren ablesen lässt, wenn sie über die Kelten berichten. Erzählen lässt sich die keltische Geschichte vor allem mithilfe der Archäologie und zahlreicher Grabfunde.

Im Grab der reichen Frau lag auch ein Herrschaftssymbol

Die britische Archäologin Rachel Pope von der Universität Liverpool wagt nun mit der Studie «Re-Approaching Celts» eine Neuinterpretation, die überraschende Ergebnisse zeigt. Pope führt bei ihrer Analyse die archäologischen Funde mit den schriftlichen Quellen zusammen. Vor allem aus der frühen Phase (600–450 v. Chr.) findet man in Frankreich mehr Gräber von mächtigen Frauen als von Männern. «Wir haben bisher versucht, die Geschichte der Kelten zu schreiben und dabei vor allem die eine Hälfte der Bevölkerung beachtet», sagt Pope.

Schon in den 1950er-Jahren stiessen Archäologen im Burgund zum Beispiel auf das Grab einer Frau, das für Erstaunen sorgte. Begraben lag die unbekannte Tote nahe dem Dorf Vix in einem prunkvollen Wagen. Ausserdem hatte sie viel goldenen Schmuck, einen Weinbehälter, der mehr als 1000 Liter fasste, einen Dolch, Schalen und Statuetten bei sich. Gestorben ist sie um das Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung.

Als schöne Keltenprinzessin, die sich gerne schmückte und schminkte, wurde die Tote von Vix dann lange porträtiert. Vergessen ging dabei ein kleines, aber wichtiges Detail. Im Grab lag auch ein Halsring aus purem Gold, und der galt bei den Kelten als Herrschaftssymbol. Dieser Halsring wurde auf den rekonstruierten Bildern zum Haarreif. 

Diese Goldperlen lagen im Grab einer reichen Frau in Bettelbühl in der Nähe der Heuneburg. Sie starb um das Jahr 600 vor unserer Zeitrechnung.

«Bei den frühen Kelten, vor allem in Frankreich, waren die Mütter die Oberhäupter der Familie», sagt Pope. Die Fürstin von Vix, wie sie heute genannt wird, war nicht allein. «Diese Kulturregion war geprägt von starken Frauen», sagt auch Archäologin Julia Katharina Koch, Keltenexpertin beim Landesmuseum Hessen. Popes Neuinterpretation schätzt sie als «sehr gute Zusammenfassung» ein.

Auch in der Schweiz gibt es Gräber aus der Keltenzeit, in denen Frauen mit wertvollen Grabbeigaben liegen. «Im Gräberfeld von Münsingen-Rain bei Bern gehört beispielsweise das am reichsten ausgestattete Grab einer Frau», sagt Pope, «auch diese Frauen trugen um das Jahr 400 vor unserer Zeitrechnung goldene Halsringe.»

Die Anführerin Boudicca kämpfte auf den Britischen Inseln gegen die Römer.

Von keltischen Anführerinnen erzählen auch antike griechische Texte. Sie stammen eher aus der Spätzeit der keltischen Geschichte. Ein Traktat berichtet von 14 Anführerinnen, unter ihnen eine Frau, genannt Onomaris. Sie soll im vierten vorchristlichen Jahrhundert gelebt haben.

Als die Menschen Hunger litten, übernahm Onomaris die Rolle der Anführerin, zog mit ihnen über die Donau, eroberte Gebiete südöstlich des Flusses und regierte anschliessend als Königin. Wo Onomaris genau lebte, ist nicht überliefert. Bekannter ist die keltische Anführerin Boudicca, vor allem auf den Britischen Inseln, wo sie die Menschen im ersten Jahrhundert im Kampf gegen die römischen Eindringlinge angeführt haben soll.

Der Anführerin Boudicca widmeten die Briten auf der Westminster Bridge sogar eine Statue.

All das heisst nicht, dass die Frauen im gesamten keltischen Kulturraum regierten oder dass sie das über mehrere Jahrhunderte taten. «Wichtig ist es vielmehr, auf regionale Unterschiede zu achten», sagt Pope. Und nicht alle Gruppen, die wir heute Kelten nennen, gehörten zur gleichen Kultur. Als Kelten und Keltinnen könne man ursprünglich eigentlich nur jene Menschen bezeichnen, die im Zentrum und im Norden Frankreichs, in der Schweiz und in Baden-Württemberg lebten. Sie waren allerdings sehr mobil. Keltische Gruppen zogen nach Norditalien, Nordspanien oder Österreich (siehe Karte).

Ein grosses keltisches Reich, wie wir es heute gerne definierten, habe es aber niemals gegeben, so Pope. Das sei eine Erfindung der letzten 150 Jahre. «Es gab regionale Gruppen, die sich in Europa ausbreiteten, sich aber teilweise stark unterschieden.» Weil man von zahlreichen anderen Bevölkerungsgruppen aus jener Zeit die Namen nicht kennt, ist die Verlockung gross, alle pauschal als keltisch zu bezeichnen. Auch das Geschlechterverhältnis war nicht überall und zu jeder Zeit gleich.

Es gab Regionen, wie beispielsweise am Glauberg im heutigen Hessen, wo Männer und Krieger in der überlieferten Kultur stärker dominierten. «Auch im Rheinland oder in Bayern finden wir mehrheitlich reiche Männergräber und weniger Gräber von mächtigen Frauen», sagt Pope. Um das dritte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung veränderte sich etwas in den keltischen Gesellschaften, die Macht der Frauen schrumpfte. Warum das so war, ist noch nicht geklärt. «Eine Möglichkeit sind Klimaveränderungen und verstärkte Migrationsbewegungen», sagt Koch.

Waffe im Grab hiess automatisch: Mann

Viel Diskussionen hat es in den letzten Jahren um die Frage gegeben, ob Frauen in früheren Kulturen auch als Kriegerinnen kämpften. Diese Vermutungen bekamen viel Auftrieb, als sich 2017 herausstellte, dass im Wikingergrab von Birka (Schweden), das für seine reiche Waffenausstattung bekannt ist, kein Mann, sondern eine Frau begraben liegt. Auch bei den Kelten und Keltinnen gibt es diese Diskussionen. So habe man im Gräberfeld von Magdalenenberg im Schwarzwald beispielsweise eine 20-jährige Frau gefunden, die mit einer Lanze bestattet worden sei, sagt Archäologin Julia Katharina Koch.

Vor allem bei Gräbern, die man schon vor Jahrzehnten ausgegraben hatte, lautete die Formel bei der Geschlechtsbestimmung lange: Waffen gleich Mann, Textilwerkzeug oder Schmuck gleich Frau. Denn nicht immer sind noch Knochen vorhanden, die man wissenschaftlich analysieren kann.

Heute gehen die Archäologinnen den umgekehrten Weg: «Wir ziehen Rückschlüsse aus jenen Gräbern, bei denen eine naturwissenschaftliche Geschlechtsbestimmung der Knochen möglich ist», sagt Brigitte Röder, Professorin für ur- und frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Basel. Aus den Funden in diesen Gräbern lasse sich dann ableiten, welche Dinge wem möglicherweise mitgegeben worden seien.

Dieses überdimensionierte Weingefäss fand man im reich ausgestatteten Grab einer Frau im französischen Vix.

Falls es keine brauchbare DNA mehr gibt, sind vor allem Beckenknochen aussagekräftig, um das Geschlecht zu bestimmen. Doch manchmal sind nur noch einzelne oder, je nach Bodenbeschaffenheit, keine Knochen mehr vorhanden.

Waffen im Grab waren in der keltischen Kultur aber allgemein nicht so wichtig wie beispielsweise bei den Wikingern. Eine grosse Rolle spielten dafür gemeinsame Trinkgelage. «Wir vermuten, dass das gemeinsame Festgelage auch ein wichtiges diplomatisches Instrument war», sagt Koch. «Die frühe Keltenzeit war eine sehr lebendige Epoche, in der die Menschen viel ausprobierten.» Die Rollen seien längst nicht so starr verteilt gewesen wie in den antiken Mittelmeerkulturen.

Wie wichtig es ist, sich bei der Interpretation alter Gräber nicht auf Rollenvorstellungen zu stützen, die aus dem bürgerlichen 19. Jahrhundert stammen, zeigt ein weiteres keltisches Grab in Frankreich. Archäologen gruben 2015 ein Grab in Lavau aus, das ebenfalls reich an prunkvollen Beigaben war. Das Skelett trug viel Goldschmuck um den Hals und an den Armen sowie einen Gürtel, in den Silberfäden gewoben waren.

Es müsse sich um eine Prinzessin handeln, nahm man zuerst an. Doch auch hier kamen der Interpretation spätere Rollenbilder in die Quere. Denn bei den Kelten trugen die Männer mehr Schmuck als in späteren Epochen. Auch Armreife liegen in Männergräbern oder kleine Ringe, die sich die Männer in die Haare flochten. Eine genauere Analyse der Knochen zeigte dann: Die Tote von Lavau ist ein Mann.