Nationalbank im DilemmaSteigende Mieten dürften die Inflation anheizen
Ab Herbst steigen wegen des erhöhten Referenzzinssatzes die Mieten. Ökonomen rechnen damit, dass dies die sich abschwächende Inflation wieder antreiben wird.
Eigentlich stehen die Zeichen auf Entspannung. Nach dem starken Anstieg in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres ist die Teuerungsrate in der Schweiz im März und im April wieder gesunken. Im April lag die Teuerung bei 2,6 Prozent, nachdem sie im vergangenen Jahr bis auf 3,3 Prozent gestiegen war. Der aktuelle Rückgang ist besonders auf die sinkenden Energiepreise zurückzuführen. Ökonomen gehen deshalb davon aus, dass die Inflationsrate in den nächsten Monaten weiterhin rückläufig sein wird.
Dieser Effekt dürfte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Ab Herbst dürften höhere Mieten die Teuerung wieder anheizen, sagen Wirtschaftswissenschaftler. So rechnet die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) in ihrer jüngsten Prognose von Ende März für das kommende Jahr mit einer Inflationsrate von 1,5 Prozent. Diese Entwicklung werde stark von der Mietzinserhöhung getrieben. «Die Mieten machen fast die Hälfte dieser Inflationsrate aus», sagte KOF-Leiter Jan-Egbert Sturm im «Echo der Zeit» von Radio SRF.
Der Grund: Bei vielen Mietern steht ab Oktober eine Mietzinserhöhung ins Haus, weil das Bundesamt für Wohnungswesen den Referenzzinssatz um 0,25 Punkte auf neu 1,5 Prozent angehoben hat. Das ist der erste Anstieg seit Einführung des schweizweiten Referenzzinssatzes im Jahr 2008.
Der sogenannte hypothekarische Referenzzinssatz bei Mietverhältnissen wurde 2008 ins Leben gerufen, um die Gestaltung der Mieten landesweit zu vereinheitlichen. Schweizer Mieten sind gemäss Mietrecht mit dem Referenzzinssatz verbunden. Steigt er, darf eine Liegenschaftsverwaltung auch die Mieten anheben. Von den Mietzinserhöhungen sind potenziell rund eine Million Haushalte in der Schweiz betroffen.
Mietausgaben beeinflussen die Inflation
Die Mieten haben deshalb einen bedeutenden Einfluss auf die Konjunktur, weil sie zur Berechnung der Inflation beigezogen werden. Das geschieht in Form eines Warenkorbs, der die wichtigsten von den privaten Haushalten konsumierten Waren und Dienstleistungen beinhaltet. Der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger beziffert allein den Anteil der Mieten am Landesindex der Konsumentenpreise mit 16 Prozent. «Deshalb haben Mieterhöhungen eine kurzfristige Wirkung auf die Inflation», sagt Eichenberger.
Hinzu kommen weitere Ausgaben für Energie und den Hausrat, darum macht Wohnen unter dem Strich fast ein Drittel eines jährlichen Haushaltsbudgets aus. Im Vergleich zum Durchschnitt des Euroraums steche die Schweiz bei den Wohnkosten hervor, erklärt Sturm seinerseits. «Die Schweiz ist ein Land, in dem Wohnen verhältnismässig teuer ist.»
Steigende Mieten seien aber nicht unbedingt schlecht, hält Eichenberger fest: Tiefe Mieten seien neben dem hohen Bevölkerungswachstum, der hohen Besteuerung von Erträgen aus Immobilien und den «teils absurden Regulierungen des Mietmarkts und des Baubereichs mit ein Grund dafür, dass der Liegenschaftsmarkt so durcheinander ist».
Würden Mieterhöhungen infolge steigender Hypothekarzinsen untersagt, könne das langfristig den Wohnungsmangel verstärken, was wiederum Mietsteigerungen und Inflation begünstige. «Denn das Bauen von Mietwohnungen würde gerade jetzt, wo sie unbedingt gebraucht werden, unattraktiver», so Eichenberger. «Zudem würden mehr Wohnungen zu Eigentumswohnungen umgenutzt, was den Mietmarkt weiter verengen würde.»
Laut dem Ökonomen Klaus Wellershoff könnte der Mietzinsschub abgesehen von der Inflation die Konjunktur beeinträchtigen. «Das hat einen Effekt, weil wir das Geld ja nicht für etwas anderes ausgeben können, wenn wir es schon für die Mieten brauchen», sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. Doch dies sei zu relativieren, denn das Gros der Mieter habe in den letzten Jahren fallende Mieten gesehen. Wellershoff sagt, dieser Aspekt gehe in der Diskussion um den aktuellen Kostenschub oft etwas unter.
Das Dilemma der Nationalbank
Der Kostenschub, der auf die Mieter zukommt, wirft auch ein Schlaglicht auf die Rolle der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Sie stehe vor einem Dilemma, meinen die Experten von Raiffeisen. «Sie will mit den höheren Zinsen die Inflation eigentlich dämpfen, treibt sie über den Referenzzinssatz aber selbst nach oben.» Die Nationalbank werde selber zum «Inflationstreiber», so das Fazit. Die Nationalbank hat wegen der hohen Inflation in den letzten Quartalen ihren Leitzins in vier Schritten von -0,75 auf +1,50 Prozent angehoben.
Zum Dilemma der SNB sagt Ökonom Eichenberger: «Höhere Zinsen haben ganz generell den Effekt, die Kapitalkosten zu erhöhen.» Also gebe es in allen Bereichen einen «Inflationsdruck». Einen solchen brauche es aber, damit die nachgefragte Menge an Gütern und Dienstleistungen zurückgehe. «Nur so können Nachfrage und Angebot wieder in ein Gleichgewicht kommen und die Inflation besiegt werden», so Eichenberger.
Dass die SNB mit steigenden Zinsen über den Referenzzinssatz auch die Inflation anheizt, ist der Nationalbank bewusst. «Wir schauen uns diesen Effekt sehr genau an. Doch grundsätzlich dämpft eine Erhöhung des SNB-Leitzinses die Inflation», sagte SNB-Vizepräsident Martin Schlegel am Freitag an einer Veranstaltung in Bern. Das Wissen um diesen Zusammenhang fliesse jeweils in den Zinsentscheid ein. Die nächste geldpolitische Lagebeurteilung findet Ende Juni statt.
Laut den Ökonomen der UBS wird die hartnäckige Inflation dann zu einer weiteren Zinserhöhung von 0,25 Prozentpunkten auf 1,75 Prozent führen. Immerhin sollte dann der vorläufige Höhepunkt der Schweizer Zinsentwicklung erreicht sein.
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