Stadtratswahlen ZürichTops und Flops: Was André Odermatt erreicht hat – und was nicht
Freundlich, konsensorientiert, aber vielen auch zu mutlos: André Odermatts Bilanz im Zürcher Stadtrat fällt durchzogen aus. Knackpunkte: die Wohnpolitik und die Baukosten.

Das wars. Am Montag hat André Odermatt den monatelangen Spekulationen ein Ende gesetzt: Er will nicht mehr. 16 Jahre Hochbauvorsteher sind genug, im März 2026 wird er nicht mehr für die Stadtratswahlen antreten, wie der bald 65-jährige SP-Politiker vor den Medien bekannt gab.
Dabei hatte Odermatt in den vergangenen Wochen und Monaten bei öffentlichen Auftritten wie im Stadtparlament kaum Amtsmüdigkeit verspüren lassen. Eher zeigte er sich beschwingt, als gebe es für ihn als amtierenden Bauvorsteher der grössten Schweizer Stadt noch sehr viel anzupacken. Oder er wirkte tiefenentspannt, praktisch dauernd ein Lächeln im Gesicht.
Städtische Wohnsiedlungen, Schulraum-Offensive
Welche Spuren hat der SP-Stadtrat in Zürich seit seinem Amtsantritt 2010 hinterlassen? Er selber zeigt sich überzeugt, seinen Beitrag zum Aufschwung der Stadt geleistet zu haben. «Zürich hat sich in den letzten Jahren zu einer Stadt mit enorm hoher Lebensqualität entwickelt», verkündet er auf seiner Stadtratswebsite selbstbewusst. Das komme nicht von ungefähr, sondern sei das Resultat «einer konsequenten Politik, die den Weg zwischen Offenheit und gewissen Schranken sucht».

Tatsächlich kann sich Odermatts Leistungsausweis in mancher Hinsicht sehen lassen. In seiner Amtszeit hat das Hochbaudepartement mehrere städtische Wohnsiedlungen hochgezogen, darunter Rautistrasse, Kronenwiese, Hornbach, Leutschenbach und Tramdepot Hard. In den letzten Jahren entstanden so über 1100 neue bezahlbare Wohnungen.
Odermatt hat zudem eine Schulraum-Offensive auf den Weg gebracht: Seit 2019 wurden acht neue Schulhäuser in Betrieb genommen, dieses Jahr folgen nochmals drei. Hinzu kommen ein paar architektonische Leuchtturmprojekte wie das – sehr teuer – renovierte Kongresshaus oder der Kunsthaus-Erweiterungsbau.
Respekt erlangte der SP-Stadtrat und studierte Geograf 2017, als er eine Teilrevision der städtischen Bau- und Zonenordnung ohne grosse politische Grabenkämpfe ins Ziel brachte. Von einer «BZO mit Augenmass», schwärmte er damals. Selbst politische Gegner attestieren ihm Dossierfestigkeit in Baufragen und schätzen seine freundliche, konstruktive Art.
Politik der allzu ruhigen Hand
Als Erfolg kann Odermatt das Volks-Ja zum kommunalen Siedlungsrichtplan 2021 verbuchen. Dieser soll das prognostizierte Bevölkerungswachstum in geregelte Bahnen lenken. Die Grünen freut, dass Odermatt auch bei Klimamassnahmen und nachhaltigem Bauen vorwärtsmacht.

Eine Politik der ruhigen Hand hatte sich Odermatt zum Programm gemacht. Solide sollte sie sein, pragmatisch und konsensorientiert, ohne Experimente.
Nur wurde diese Politik vielen Linken und auch Teilen seiner Partei mit den Jahren dann doch zu ruhig. Um nicht zu sagen: lasch.
Kritik: Zu spät auf Wohnproblem reagiert
Vor allem in der Wohnbaupolitik musste sich Odermatt den Vorwurf gefallen lassen, die Sprengkraft des Wohnproblems und die rasanten Verdrängungsprozesse in der Stadt unterschätzt und lange zu mutlos darauf reagiert zu haben. Er habe sich zu spät und wenig entschlossen für den dringend benötigten Ausbau des gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnraums eingesetzt. Zudem sei er in Verhandlungen um Bauprojekte gegenüber der Immobilienbranche zu nachsichtig gewesen.
Warnsignale gab es. So war die Wohnproblematik im Verlauf von Odermatts Amtszeit zur grössten Sorge der Zürcher Bevölkerung aufgestiegen. Längst bringen die hohen Mieten auf dem Markt selbst mittlere Einkommen ans Limit. Der Sturm der Entrüstung nach der Leerkündigung der Sugus-Häuser Ende 2024 ist dafür nur ein weiteres Symptom.
Odermatt reagierte oft erst dann, wenn Impulse von SP, AL und Grünen aus dem Gemeinderat oder durch Volksinitiativen kamen. Auch beim Bauprojekt Josefareal muss Odermatt auf Geheiss einer Mitte-links-Allianz mehr gemeinnützige Wohnungen planen.

Mit der Kritik, bei Verhandlungen mit Immobilieninvestoren zu wenig Biss zu zeigen, sah sich Odermatt auch bei Bauprojekten wie Harsplen in Witikon, an der Thurgauerstrasse oder beim UBS-Hochhaus in Altstetten konfrontiert.
Für die Linke hat Odermatt auch planerisch die Grenzen für mehr gemeinnützige Wohnungen zu wenig ausgelotet.
Neugasse-Fiasko und Airbnb
Sinnbildlich für die Entfremdung zwischen Odermatt und der Linken stand 2022 die Kontroverse um das Neugasse-Areal. Der SP-Bauvorsteher hatte zwar den SBB einige Zugeständnisse abgetrotzt. Doch seiner eigenen Partei genügte das nicht, sie unterstützte eine Initiative, die den SBB das ganze Areal abkaufen wollte, um gemeinnützige Wohnungen zu bauen. Prompt sagte das Volk Ja – eine bittere Niederlage für Odermatt, dem es nicht gelungen war, seine eigene Partei hinter sich zu bringen.
Unzufrieden sind Linke auch, weil Odermatt aus ihrer Sicht zu wenig entschlossen gegen Airbnb- und Business-Apartments in Zürcher Wohnquartieren vorgeht.
Dauerthema Kostenexplosion
Für die Bürgerlichen sind vor allem die teuren Bauten ein Versäumnis Odermatts. Exemplarisch dafür stehen die Mehrkosten beim Kongresshaus, beim Schulhaus Saatlen und beim geplanten Sportzentrum Oerlikon. Zwar versichert Odermatt seit Jahren, die Baukosten zu senken, wozu auch ein Benchmark für Schulhausbauten dienen soll. Der Erfolg der Sparbemühungen bleibt bislang aber überschaubar. Dies zeigt auch die neue Kritik am 54-Millionen-Franken-Kredit für das Schulhaus Entlisberg, der im Mai zur Abstimmung kommt.

Nebst zu teurem Bauen kritisieren Bürgerliche auch die angeblich überbordende Bürokratie im Hochbaudepartement, die eine stärkere Wohnbautätigkeit durch Private verhindere. Die Wohnungsknappheit sei vom Departement Odermatt verwaltet, nicht gelöst worden.
«Zürich kann sich das leisten»
Schon zu Beginn seiner Amtszeit musste Odermatt Niederlagen einstecken. So etwa, als das Stimmvolk im September 2013 das geplante Fussballstadion an der Urne versenkte und sich im gleichen Jahr Pläne für ein neues Kongresshaus auf dem Gerold-Areal in Zürich-West zerschlugen.
Doch je länger er regiert, desto routinierter steckt der SP-Stadtrat solche Rückschläge weg. Genauso wie Kritik wegen «Schulhaus-Gigantismus» oder «Regulierungswut» in seinem Amt. Odermatt nimmt sie zur Kenntnis – und lächelt sie weg. «Zürich kann sich das leisten», meinte er im Zusammenhang mit dem geplanten Sportzentrum Oerlikon, dessen Kosten von 210 auf 370 Millionen Franken angewachsen waren, nonchalant.

In einem Jahr wird also Schluss sein für André Odermatt im Hochbaudepartement. Auf seiner Website hat er eine Art Vermächtnis für seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger deponiert. Es gehe darum, «Zürich sorgfältig weiterzuentwickeln, damit die Stadt noch attraktiver wird». Diesen Weg gelte es weiterzugehen, heisst es dort.
Künftig muss Zürich dabei ohne «Wegweiser» Odermatt auskommen.
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