Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Weisser Tsunami»
Drogenmafia überschwemmt Europa mit Kokain

Mitglied der spanischen Steuerbehörde mit Diensthund vor beschlagnahmtem Kokain im Hafen von Pontevedra, Spanien.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

So etwas hatten die spanischen Beamten noch nie erlebt: Bei der Durchsuchung des Hauses eines Polizeichefs im Madrider Vorort Alcalá de Henares fanden sie versteckt hinter den Wänden mehr als 20 Millionen Euro – mutmasslich Schmiergeld aus Drogendeals. Ähnlich aussergewöhnlich war kurz zuvor im Hafen von Algeciras die Entdeckung von 13 Tonnen Kokain in einer Bananenladung aus Ecuador.

So viel Koks war zuvor in Spanien noch nie auf einmal beschlagnahmt worden. Die Arbeit der Drogenfahnder wird im beliebten Ferienland immer schwieriger und hollywoodreifer.

Europa wird via Spanien mit Kokain überschwemmt

«Ganz Europa wird derzeit mit Kokain überschwemmt, und Spanien spielt eine wichtige Rolle als Tor zum Kontinent», warnte jüngst der Regierungsbeauftragte für den Nationalen Drogenplan, Joan Ramón Villalbí, im Parlament in Madrid. Nur wenige Tage nach dieser Aussage von Villalbí meldete die spanische Polizei im März zwei weitere spektakuläre Schläge mit vielen Festnahmen, und zwar in Madrid und auch im Luxusbadeort Marbella, dem «spanischen Saint Tropez». 

Die Zahlen sprechen für sich: 2023 verdoppelte sich in Spanien die beschlagnahmte Kokainmenge im Vergleich zum Vorjahr auf 118 Tonnen. Vor fünf Jahren waren es lediglich 37 Tonnen gewesen. Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor, ein weiterer deutlicher Anstieg gilt aber als sicher. 

Es werde zwar immer mehr beschlagnahmt, gleichzeitig komme mit Sicherheit immer mehr durch, sagte ein Drogenfahnder der Deutschen Presse-Agentur. Am Wochenende erst meldete Europol die Beschlagnahme von 73 Tonnen Kokain, die von Ecuador aus über kriminelle Netzwerke in Deutschland und Spanien in die EU geschmuggelt werden sollten.

Die Nachbarn Frankreich und Portugal verzeichnen ähnliche Aufwärtstrends wie Spanien. In den Medien und auch bei Fahndern Südwesteuropas ist mittlerweile von einem «weissen Tsunami» die Rede. Besorgniserregend ist die Lage etwa in Le Havre im Norden Frankreichs, nach wie vor einer der wichtigsten Umschlagplätze für Kokain in Europa. 2018 wurden dort 3,6 Tonnen beschlagnahmt, 2019 und 2020 waren es jeweils über 10 und 2024 bereits 13 Tonnen.

Wichtige Umschlagplätze

Der Anstieg werde auch durch den Ausbau der Häfen und den höheren Umschlag in Le Havre und Dunkerque begünstigt, schrieb die Zeitung «Le Parisien». Vor einigen Tagen beschlagnahmte der Zoll im Hafen von Dunkerque knapp zehn Tonnen Kokain im Wert von 660 Millionen Euro.

In den Niederlanden nimmt man derweil an, dass Drogenbanden zunehmend nach Spanien und Frankreich ausweichen, weil die Sicherheitsvorkehrungen im Norden immer strenger werden. «In den internationalen Handelsströmen von Kokain ändert sich viel», sagte Jan Janse von der Rotterdamer Hafenpolizei. Dort, im grössten Hafen Europas, wurden 2024 deutlich weniger Drogen konfisziert – rund 26.000 Kilogramm, vor allem Kokain, im Vergleich zu fast 45.000 Kilogramm im Vorjahr. Es war der dritte Rückgang in Serie. Auch in Antwerpen und Hamburg wurden laut Janse zuletzt weniger Drogen beschlagnahmt.

Ein Milliardengeschäft

Das Geschäft mit dem «Schnee» aus Südamerika boomt jedenfalls in Südwesteuropa. In Frankreich wird ein Umsatz von drei bis sechs Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, in Spanien sollen es inzwischen sogar mehr als acht Milliarden sein. Die Gründe? Es gibt einige. Villalbí berichtete sichtlich besorgt, die Produktion sei in Lateinamerika auf «Rekordniveau» angestiegen.

Polizisten durchsuchen Bananenkisten, in denen über fünf Tonnen Kokain versteckt wurden, in einem Lagerhaus bei Malaga, Spanien, 2018.

Die Drogenmafia wird beim Versuch, die Behörden in Europa auszutricksen, zudem immer einfallsreicher. Kokain wird inzwischen nicht nur in Containern zwischen Bananen und Autoteilen oder in Reissäcken versteckt. Im Mittelmeer werden an der Strasse von Gibraltar modernste Schnellboote eingesetzt. Und seit wenigen Jahren wird in selbstgebauten U-Booten Kokain tonnenweise über den Atlantik nach Europa gebracht. Ausserdem gibt es einen weiteren, relativ neuen Trend: Kokain wird zunehmend auch in Labors in Europa aus Cocapaste produziert.

Und wenn in grösseren Häfen die Kontrollen strenger werden, weichen die Händler in Spanien und in Frankreich nach Behördenerkenntnissen auf kleinere, weniger gesicherte Häfen. Verstärkt bedienen sich die Kriminellen zudem der sogenannten «Drop-Off-Methode»: Sie werfen Drogenpakete von Frachtschiffen ab, damit kleinere Boote sie später einsammeln können. Das geht manchmal allerdings schief – vor knapp zwei Jahren wurden am Ärmelkanal bei Cherbourg zwei Tonnen Kokain an Stränden angespült.

Die Zunahme des Angebots drückt den Preis gewaltig: Für ein Kilo Kokain werde mit 16.000 Euro nur noch halb so viel wie noch vor zwei Jahren bezahlt, erzählte ein Fahnder der spanischen Zeitung «El Mundo». Die einstige Upper Class-Droge sei in ganz Europa längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die Kokainschwemme bleibt nicht ohne Folgen, auch in der Schweiz. In Zürich hat sich in wenigen Jahren der Kokainkonsum verdoppelt. Fast jede vierte Person im Alter von 24 Jahren hat die Droge in den vergangenen drei Monaten geschnupft.

In Spanien wird bereits eine alarmierende Zunahme der Gewalt registriert, die von den «Narcos» – den Drogenkriminellen – ausgeht. Es gibt Entführungen auf Gran Canaria, immer mehr Schiessereien in Katalonien und in Andalusien, immer mehr Drogendelikte auf Mallorca. Voriges Jahr wurde etwa in Barcelona ein Hafenarbeiter von der Mafia ermordet, und zwei Fahnder starben im Hafen der südlichen Stadt Barbate, als ein Drogenhändler sie mit seinem Schnellboot absichtlich überfuhr.

Die Kokainmafia agiert immer einfallsreicher – und aggressiver

Barbate sei «eines der traurigsten und schlimmsten Ereignisse, die wir je erlebt haben. Es zeigt den Verlust des Respekts vor der Autorität, ein Problem, das besonders in Andalusien zu beobachten ist, sich aber auch auf andere Teile des Landes ausbreiten könnte», warnte die Antidrogenstaatsanwältin Rosa Ana Morán im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Die Drogenbanden setzten immer häufiger Waffen ein. «Gefährliche, gewaltbereite ausländische Banden, vor allem Albaner» seien zunehmend in den Drogenschmuggel involviert.

Die neuen Akteure, die hinter der «weissen Flut» stehen, darunter auch Gruppen aus dem Balkan und aus Schweden, und auch die niederländisch-marokkanische «Mocro-Mafia», die in Spanien immer aktiver wird, agieren aggressiver als frühere Player, investieren grosse Summen und nehmen hohe Verluste in Kauf. «Wenn ein Container mit Drogen beschlagnahmt wird, ist das eingepreist», sagte ein Drogenfahnder der Deutschen Presse-Agentur.

Und: «Der Drogenhandel bewegt enorme Beträge und hat eine enorme Fähigkeit, Beamte und auch Privatunternehmen zu korrumpieren», erklärt Morán. Neben dem Polizeichef in Madrid habe man im vorigen Jahr einen weiteren hochrangigen Beamten dingfest machen können.

Bei der Politik schrillen die Alarmglocken

Der Kokainboom versetzt die Politik bereits in Alarmzustand. Die Niederlande, wo die Mafia den prominenten Kriminalreporter Peter R. de Vries ermordete, dient als Warnung. Dort wurde sogar Kronprinzessin Amalia bedroht. Sie verliess zeitweilig das Land und studierte in Madrid. Mit einem neuen Gesetz namens «Frankreich aus der Drogenfalle befreien» will Paris verhindern, dass die organisierte Kriminalität staatliche Strukturen unterwandert und beschädigt.

Auch Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska kündigte jüngst eine Verstärkung des Kampfes an. Trotz grosser Investitionen und fortschrittlicher Technologien sei es aber äusserst schwierig, den Schmuggel insbesondere von Kokain vollständig zu verhindern, räumte er ein. Optimismus klingt anders.

DPA/aeg