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Meinung

Strategie des neuen Terrors
Das Messer als Tatwaffe – die Wahl folgt einer grausamen, aber effektiven Logik

Symbolbilder zum Thema Gewalt mit Stichwaffen.
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Bevor es um die Anschlagsorte geht, die Grosskonzerte, die Volksfeste, all die Orte, an denen die Menschen ein paar Momente der Leichtigkeit finden, eine Idee von Gemeinschaft, von Identität vielleicht sogar, an denen sie sich und die Ihren, ja doch: ein bisschen selbst feiern, lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Strategie des Terrorismus. Also auf den «Weissen Hai».

Steven Spielbergs Film war auch deshalb so furchteinflössend, so wirkmächtig – auch in seinem Langzeiteffekt –, weil er die Urängste der Menschen einerseits bediente, andererseits aber überhaupt erst erschuf. Mit einem sehr simplen Trick: Nimm etwas, was jeder kennt und fast jeder liebt – und dann vergifte es.

Nicht komplett. Nur ein Tropfen, aber der maximal konzentriert, sehr tödlich, wenn es zu Kontakt kommt. Vulgo: Haifisch im Meer. Für viele das ultimative maritime Horrorszenario seither. Statistisch ein immenser Humbug. Man gewinnt eher an einem Freitag, dem 13., im Lotto, als durch einen Haiangriff zu sterben. Aber das ist dem Gehirn egal. Hier geht es um Emotionen, um Furcht und Panik, da existiert Statistik nicht mehr. Im Jahr 1975, als «Jaws» in den USA in die Kinos kam, verloren die Badestrände messbar Besucher. Dafür stiegen vermeintliche Hai-Sichtungen vehement an. So funktioniert Terrorismus. Schon immer. Und, so sieht es leider aus, auch auf unbestimmte Zeit weiter.

The titular giant Great White shark opens its mouth in a still from the film, 'Jaws,' directed by Steven Spielberg, 1975. (Photo by Universal Pictures/Courtesy of Getty Images)

Es ist nun mal kein Zufall, dass es gerade Messer sind, die die Angst zurückbringen.

Spätestens seit dem Anschlag in Solingen. Eigentlich aber natürlich schon länger. Vielleicht, seit die Konzerte des aktuell grössten lebenden Popstars, Taylor Swift, in Wien abgesagt wurden, weil dort wohl Anschläge geplant waren. Oder seit Ende Mai, als in Mannheim ein mutmasslicher Islamist den Polizisten Rouven Laur mit einem Messer tötete. Seit Dresden, Nürnberg, Duisburg. Oder schon seit dem 19. Dezember 2016, als Anis Amri einen LKW in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz steuerte und dreizehn Menschen ermordete. Noch so eine Veranstaltung, bei der die Menschen im besseren Fall zu sich finden oder gar zueinander. Auch das natürlich: kein Zufall.

Terrorismus schaltet die Rationalität aus

Terrorismus ist immer auch eine Kommunikationsstrategie – auf drei Ebenen. In letzter Instanz richtet sie sich an die eigene Gruppe, an jene Menschen, die man in der Forschung «als interessiert unterstellte Dritte» nennt. All jene Menschen, die sich, und sei es noch so abstrakt, mit den Zielen der Terroristen identifizieren und die man durch die Ausstellung von Gewalt, die ja immer auch eine Ausstellung von echter oder wenigstens behaupteter Macht ist, agitieren will: Sieh, was wir anrichten können. Schau, was wir uns nehmen. Die widerwärtige Gewalt der Hamas speziell gegen Frauen ist in diesem Kontext ein Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte.

Vorher richtet sich die Kommunikation aber an die attackierte Gesellschaft. Terroristische Gewalt kann in aller Regel keine Staaten stürzen oder Territorien erobern. Sie kann nur das Denken und das Fühlen besetzen. Die Köpfe. Und die Herzen. Sie kann eine Gesellschaft in Angst versetzen, vielleicht sogar in Panik. Und sie kann die Rationalität ausschalten.

Die Anschlagsorte sind dafür gezielt gewählt, weil sie sagen: Wir greifen euch überall dort an, wo ihr besonders verletzlich seid, weil ihr euch wohlfühlt. Ihr werdet nirgends mehr zur Ruhe kommen. Aber auch die gewählte Waffe, das Messer, folgt einer perfiden Logik. Ein Messer ist die wohl eindrücklichste Waffe für den Nahkampf. Man kann auf viele Arten effektiver und quantitativ verheerender töten. Aber man kommt auf kaum eine andere Art dem Opfer näher. Man kennt diese Logik schon von früher, als Terroristen das als Fernwaffe entwickelte TNT als Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürteln mitten in angeblich feindliche Gesellschaften trugen.

Jeder hat ein Messer, jeder könnte Täter sein

Das ist das besondere psychologische Moment, das bei dieser Form von Gewalt in den Menschen eindringt und wirkt. Neben dem Fakt, dass jeder, wirklich jeder, Messer zu Hause hat. Womit – die Rationalität ist, wie gesehen, ja weitestgehend ausser Kraft – wenigstens theoretisch alle Täter sein könnten. Ein riesiges Meer, und irgendwo der Hai, der gleitet und lauert, unsichtbar, abstrakt, statistisch quasi unmöglich. In den Köpfen sehr real.

In den Worten von Wuppertals Polizeipräsident Markus Röhrl: «Eine solche Tat macht natürlich was mit allen Menschen.» So sagte er das auf einer Pressekonferenz nach dem Anschlag. Und: Sie schüre ein «unglaubliches Unsicherheitsgefühl». «Kann so etwas in Zukunft wieder passieren? Kann es überall passieren? Diese Frage stellt sich, glaube ich, heute fast jeder.»

24.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Wuppertal: Markus Röhrl, Polizeipräsident in Wuppertal, spricht bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidiumüber den Messerangriff in Solingen. Nach dem tödlichen Messerangriff schließt die Staatsanwaltschaft einen terroristischen Hintergrund nicht aus. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Henning Kaiser)

Klammer auf: Nur dass ein paar Menschen sie besonders laut stellen. Was zur verbleibenden Ebene der Kommunikationsstrategie führt. Terroristische Gewalt will nicht nur Schrecken verbreiten, sondern auch konkrete Reaktionen provozieren. Das hat mit dem Selbstverständnis von (westlichen) Staaten zu tun, die von ihren Bürgern das Gewaltmonopol übertragen bekommen und dafür eine Schutzfunktion übernehmen. Ein Staat kann in dieser Logik auf Gewalt auf seinem Gebiet quasi nicht nicht reagieren.

Staaten durch Gewalt zu (Über-)Reaktionen zu zwingen, ist unter dem Namen «Propaganda der Tat» im späten 19. Jahrhundert bekannt worden. In Deutschland erlebte das Konzept vor allem durch die RAF eine Renaissance. In der Gedankenwelt der Terroristen zeigte die Bundesrepublik durch Schleierfahndungen, Razzien und Inhaftierungen ihr angeblich noch immer faschistisches Gesicht. Die Islamisten von al-Qaida preisten amerikanische Militärschläge nach 9/11 als angeblich fortgesetzten Imperialismus ein.

Die aktuelle Gewaltkommunikation richtet sich nun, das ist in Teilen neu, nicht ausschliesslich an den Staat, sondern auch an eine zusehends radikale Opposition. Und zeigt den Riss, der mehr denn je in dieser Gesellschaft klafft. Auf der einen Seite die AfD, die reflexhaft und mit schauderhafter Wonne neuen Anlass für ihre völkische Weltteilung findet. Dazu Stimmen wie, leider, die von Friedrich Merz, der («Es reicht») Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan forderte und einen Aufnahmestopp: «Weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf.» Was Menschen direkt dem Tod überliesse.

Auf der anderen Seite diejenigen, die den Giftpanschern vorwerfen, wie gute Horrorregisseure die Urängste eben nicht nur zu bedienen, sondern vorher auch miterschaffen zu haben. Was ja stimmt. Aber wohl auch ein wenig naiv ausblendet, dass Terroristen hassgefütterte Menschen sind, die morden wollen. Und dass tote Mütter, Väter, Töchter, Brüder auch in einer liberalen Gesellschaft unerträglichen Schmerz bringen. Menschlich nachvollziehbare Vergeltungsrufe inklusive.

Den Mördern bleibt nur die Nische

Wollte man nun in dieser Gemengelage konstruktiv sein, dann womöglich mit diesem Hinweis: Egal, welche Position man vertritt, Worte, die im Schock gesprochen werden, und ganz allgemein Affektpolitik, die aus Panik entsteht, sind immer verdächtig. Man schaue nur, wie «Jaws» die Haipopulation gleichzeitig faktisch dezimiert und nach oben imaginiert hat.

Was nun das Messer als Tatwaffe betrifft, wäre dies womöglich die eine winzige gute Nachricht in dem ganzen Grauen: Man stellt sich Terroristen zwar gerade wieder mehr denn je als glutäugige Wahnsinnige vor. Die Forschung zeigt, dass terroristische Organisationen entgegen den individuellen Chaos-Perzeptionen sehr rational agierende Akteure sind. Sie wägen Kosten und (grauenhaften) Nutzen gegeneinander ab. Und passen ihre Taten dann dem an, was aktuell möglich ist und dabei den grössten Schaden bringt.

Das könnte bedeuten: Die Geheimdienste haben geplante Sprengstoffanschläge wie bei Taylor Swift, die aufwendiger Besorgungen und Kommunikation bedürfen, rechtzeitig bemerkt und verhindert. Viele Weihnachtsmärkte, Stadtfeste und Festivals sind gegen Mordversuche mit LKW durch Betonblöcke und Ähnliches gesichert. Durch schlaue, einfache Massnahmen also, die nicht in Bürger- und Menschenrechte eingreifen und gerade damit die Leichtigkeit bewahren.

Anders gesagt: Der Staat und seine Sicherheitsbehörden funktionieren oft gut. So gut, dass sie die Mörder gerade in die letzte Nische drängen. Eine grausame, widerwärtige Nische. Aber die Taten dort sind angesichts ihres Unvermögens, auf herkömmliche Art zuzuschlagen (oder, ganz verrückt: mit ihren Ansichten im Wettbewerb der Ideen zu bestehen) vor allem ein Zeichen von: Schwäche.